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Wolfs ForumInformationen und Austausch über Wölfe
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Jagdfreies Gebiet
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sz-online vom 04.05.2010: Wild richtet immer mehr Schäden an :: Nun doch: Wolf kommt in Sachsen ins Jagdrecht |
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Lupos
Anmeldungsdatum: 05.04.2010 Beiträge: 3 Wohnort: Schweiz

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Verfasst am: 05 Apr 2010 15:24 Titel: Im Kanton Genf in der Schweiz... |
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...ist übrigens die Jagd 1974 per Volksabstimmung verboten worden. Ein paar staatliche Ranger kümmern sich notfalls um die Tiere. Will heissen, wenn spezifische Individuen ein Problem für die Bevölkerung darstellen sollte, dann ist die letzte Massnahme ein Abschuss. Eigentliche Bestandesabschüsse für die Regulation der Populationen sind aber nicht nötig und werden deshalb auch nicht vorgenommen. Die Tiere regulieren sich alle selbst. Nicht über die Beutegreifer sondern entweder über die eigene Geburtenregelung (zum Beispiel die Füchse), über Revieransprüche, Krankheiten und Hunger (alle). Die einzigen Tiere die ab und an bejagt werden, sind die Wildschweine. Diese intelligenten Tiere flüchten jeweils während der Jagdsaison von Frankreich nach Genf. Dann kommt es zu einer ungewollten Kumulation. Deshalb wurden in den letzten Jahren ein paar hundert geschossen. Ingesamt ist der Kanton Genf aber sehr zufrieden mit seinem gewählten Weg. Siehe (benötigt allerdings französisch Kenntnisse): etat.geneve.ch/dt/nature/chasse-274-2011.html
Der Kanton Genf ist übrigens der einzige Schweizer Kanton mit einer steigenden Feldhasenpopulation. Für die Kleinheit des Gebietes (mit grossen Siedlungsgebieten und einer intensiven Landwirtschaft (Wein)) ist erstaunlich, wie viele Wildtierarten dort leben. Unter anderem Hirsch und Biber. Genferverhältnisse wären, wenn man möchte, vermutlich in ganz Mitteleuropa möglich. |
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SammysHP

Anmeldungsdatum: 30.06.2006 Beiträge: 2459 Wohnort: Celle / Niedersachsen

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Verfasst am: 05 Apr 2010 19:38 Titel: |
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Das klingt ja interessant, wusste ich noch gar nicht. Vielen Dank für die Info! _________________
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Wolfsheuler
Anmeldungsdatum: 01.04.2009 Beiträge: 460

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Verfasst am: 06 Apr 2010 8:33 Titel: |
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Mich wundert nur, warum noch kein anderer Schweizer Kanton dem Beispiel Genf gefolgt ist. Die Volksabstimmung ist doch in der Schweiz sehr grossgeschrieben. |
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jurawolf
Anmeldungsdatum: 01.01.2009 Beiträge: 283

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Verfasst am: 06 Apr 2010 13:20 Titel: |
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zur situation im kanton genf muss ich auch ein paar worte verlieren, da dieses beispiel von beiden seiten (jägern wie auch jagdgegnern) gerne als untersützung ihrer argumentation verwendet wird.
im kanton genf ist es ja nun so, dass es seit anfang 1974 (nach einer volksabstimmung im vorjahr) keine volksjagd mehr gibt. das heisst aber nicht, dass einfach keine tiere mehr geschossen werden. es werden nach wie vor diverse arten bejagt, aber halt nicht mehr von privaten, "unverbeamteten" jägern, sondern von staatlichen "umweltschutzaufsehern". dies hat bestimmt auch seine verteile, man sollte sich aber keine illusionen machen:
Lupos hat folgendes geschrieben: | Ein paar staatliche Ranger kümmern sich notfalls um die Tiere. Will heissen, wenn spezifische Individuen ein Problem für die Bevölkerung darstellen sollte, dann ist die letzte Massnahme ein Abschuss. |
es werden schon etwas mehr als nur "spezifische individuuen" geschossen. die stückzahlen von getöteten wildschweinen bewegen sich zwischen 150 und 400 (im 2009 sogar ein rekord mit über 500!), auf 282 km2 fläche. diese zahl ist für schweizer verhältnisse sehr hoch, nur in wenigen kantonen werden mehr geschossen. das wildschwein ist also auch im kanton genf faktisch eine bejagte tierart – trotz “jagdverbot“. der kanton genf tut bei der wildschweinjagd übrigens auch etwas, was sonst zu recht weitgehend verpönt ist, nämlich die nachtjagd mit scheinwerfern. störungsarm und schonend ist dies nicht gerade…
Lupos hat folgendes geschrieben: | Eigentliche Bestandesabschüsse für die Regulation der Populationen sind aber nicht nötig und werden deshalb auch nicht vorgenommen. Die Tiere regulieren sich alle selbst. Nicht über die Beutegreifer sondern entweder über die eigene Geburtenregelung (zum Beispiel die Füchse), über Revieransprüche, Krankheiten und Hunger (alle). |
das stimmt, der kanton genf erhebt mit seinem system nicht den anspruch, die tierpopulationen zu regulieren. in den meisten gebieten europas ist das anders, dort wird mittels jagd eine regulation angestrebt. allerdings dürfte die gewöhnliche jagd weitgehend ebenso "bestandsneutral" sein, eine effektive regulation ist selten nachgewiesen (auch mit der gewöhnlichen jagd lassen sich wildschweine beispielsweise kaum regulieren, füchse noch viel weniger).
Lupos hat folgendes geschrieben: | Die einzigen Tiere die ab und an bejagt werden, sind die Wildschweine. |
nicht ganz, es werden auch tauben, diverse krähenvögel und sogar kormorane gejagt. eine ganze reihe weiterer tierarten wurden ebenfalls noch bis ende 1990er jahre bejagt, obwohl schon lange ein jagdverbot bestand.
Lupos hat folgendes geschrieben: | Der Kanton Genf ist übrigens der einzige Schweizer Kanton mit einer steigenden Feldhasenpopulation. Für die Kleinheit des Gebietes (mit grossen Siedlungsgebieten und einer intensiven Landwirtschaft (Wein)) ist erstaunlich, wie viele Wildtierarten dort leben. Unter anderem Hirsch und Biber. Genferverhältnisse wären, wenn man möchte, vermutlich in ganz Mitteleuropa möglich. |
dass der genfer hasenbestand als einziger in der schweiz steigt, liegt nicht an der einstellung der jagd. denn in zahlreichen anderen kantonen der schweiz wird der feldhase auch nicht mehr bejagt, ohne dass sich aber die bestände derart erholen. der kanton genf hat dagegen umfangreiche habitatverbesserungsmassnahmen eingeleitet, also extensivierung, heckenpflanzung, pufferstreifen, etc.. dies wurde zwar im rahmen eines projekts zur wiederansiedlung des rebhuhns gemacht (welches trotzdem faktisch gescheitert ist), für den feldhasen ist das aber äusserst profitabel.
dieses beispiel zeigt sehr gut, dass der rückgang der feldhasenpopulationen nicht auf die jagd zurückzuführen ist. ebenso zeigt es, dass auch nicht unbejagte raubtierbestände dafür verantwortlich sind und eine kontrolle der fuchspopulation aus diesen gründen nicht notwendig ist. hasenbestände werden generell kaum je durch prädation oder entnahme beeinflusst, sondern viel mehr durch die habitatqualität und v.a. auch die witterung/klima.
was ich mit all dem eigentlich sagen will, ist, dass in unserer gesellschaft abschüsse von wildtieren wohl deshalb notwendig sind, weil die gesellschaft nur begrenzt mit wildtierschäden umgehen kann und will. jagdverbot hin oder her. da sind selbst in einem jagdfreien gebiet abschüsse nötig, um die unterschiedlichen interessen zufrieden zu stellen. ich will das nicht verteidigen, sondern bedaure dies ausdrücklich, auch wenn ich überhaupt nicht gegen die jagd an sich bin, ganz im gegenteil.
noch zu folgender aussage:
Wolfsheuler hat folgendes geschrieben: | Mich wundert nur, warum noch kein anderer Schweizer Kanton dem Beispiel Genf gefolgt ist. Die Volksabstimmung ist doch in der Schweiz sehr grossgeschrieben. |
volksabstimmungen über die jagd gab es schon in den verschiedensten kantonen, auch in der jüngeren vergangenheit. verbote oder einschränkungen der jagd wurden aber alle mehr oder weniger deutlich von einer mehrheit abgelehnt. es ist also überhaupt nicht so, dass die jagdgegner in der schweiz irgendwie eine mehrheit hinter sich hätten.
übrigens ist auch der kanton genf daran, die jagd wieder schleichend einzuführen. einerseits hat er sich gerade letztes jahr in einer volksabstimmung eine neue verfassung gegeben, in der das jagdverbot nicht mehr explizit festgeschrieben ist. damit ist die jagd zwar auch nicht einfach wieder eingeführt, es wird vorerst mit dem status quo weitergemacht. im kantonsparlament wurde aber bereits ein vorstoss eingerecht, der verlangt, man möge aus kostengründen für die abschüsse der wildschweine doch gewöhnliche genfer jäger zulassen, die zur zeit noch im ausland oder den anderen kantonen jagen müssen. |
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Lupos
Anmeldungsdatum: 05.04.2010 Beiträge: 3 Wohnort: Schweiz

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Verfasst am: 16 Mai 2010 23:27 Titel: An Jurawolf betreffend Genf |
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Deine Kenntnisse zeigen ein tiefergehendes Auseinandersetzen mit der Thematik. Das finde ich gut. Allerdings finde ich auch, dass Du das berühmte Haar in der Suppe suchst: Die Jagd wird in Genf nicht gleich wieder schleichend eingeführt, nur weil man sich überlegt die Wildschweine günstiger zu bejagen als bislang. Die genannten anderen Abschüsse ändern nichts an der grundsätzlichen Aufhebung der Jagd. Die bösen Knospenbeisser, sprich Rehe, haben den Wald die letzten 30 Jahre nicht kahl gefressen. Und immerhin ist das der meistgenannte Grund warum man so viele Rehe in Mitteleuropa schiessen müsse. Rehe werden bei der Wiederausbreitung des Wolfes eine entscheidende Rolle in Mitteleuropa spielen. Wenn die Jäger den Wölfen aber futterneidig sind, wie es schon viele Jäger im Schweizer Mittelland gegenüber den paar Luchsen sind, dann wird es schwierig für den Wolf. Deshalb ist die Diskussion über wissenschaftlichen Sinn und Unsinn der Jagd ganz, ganz wichtig. Und es ist eben entscheidend, für eine intakte Fauna (also inklusive der heimischen Beutegreifer), dass die wilden Beutetiere sich in ihrem Verhalten nicht dem menschlichen Jäger sondern dem Tierischen anpassen müssen. Die Vorteile für den Menschen liegen auf der Hand. Zum Beispiel werden die Beutetiere Reh oder aber auch Hirsch für die Bevölkerung wieder sichtbar. Da sie bei einer Nichtbejagung sehr rasch die Fluchtdistanzen verkleinern werden als auch mehr Tagesaktivitäten entwickeln werden. Begegnungen mit wilden Tieren sind nachhaltige Erlebnisse. Sie schulen unser Bewusstsein für die Umwelt und die Kreatur ganz allgemein. Sie sorgen für eine ausgeglichene Stimmung und verbreiten Harmonie. Umweltschutzanliegen würden besser verstanden werden, wenn eine artenreiche Fauna für jedermann erlebbar wäre. (Ganz nach der Ur-Erkenntnis, dass man nur schützt, was man kennt). Der Wolf aber müsste bei einem grossflächigen Jagdbann auf seine Beutetiere nicht das Risiko einer Begegnung mit dem Mensch oder Hütehund eingehen. Er könnte Rehe jagen. Nicht weil es viel mehr geben würde - vermutlich wäre sogar das Gegenteil der Fall - sondern weil die Rehe nicht nach menschlichen Zuchtvorstellungen "gehegt" würden, sondern nach natürlichen geschwächt. Vielleicht könnte er sie nicht grad in der Stadt Genf jagen, aber zum Beispiel im Jura...  |
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jurawolf
Anmeldungsdatum: 01.01.2009 Beiträge: 283

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Verfasst am: 18 Mai 2010 14:13 Titel: |
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wie zu beginn meines letzten postings gesagt: es gibt sicherlich auch vorteile im "genfer system". nur zeigt genf "ohne" jagd eben auch, dass dort die situation nicht so einfach ist, wie es durch diverse jagdgegner immer wieder verbreitet wird.
ich gebe dir ja recht und habe das hier wie auch in diversen anderen threads in diesem forum immer wieder gesagt: ich halte die jagd nicht für eine ökologische notwendigkeit und glaube nicht, dass unsere wälder ohne jagd weggefressen würden. für die regulation in der natur sorgen nicht immer nur die prädatoren, sondern es gibt auch andere faktoren, die ebenso spielen (und v.a. noch vorhanden sind!). ich anerkenne deshalb auch ohne probleme an, dass es sehr wohl ohne jagd gehen würde. zumindest aus ökologischer sicht - ob die gesellschaft ohne jagd leben kann und will, ist eine andere frage...
nur sehe ich einfach nichts grundsätzlich verwerfliches an der jagd. der mensch ist von natur aus ein jäger und sammler und solange er die wildbestände nachhaltig nutzt - warum denn nicht? der wolf tut dies ja auch... vieles, was rund um die jagd geschieht (wildfütterungen, abschusspläne, prädatorenkontrolle, etc.) passt mir natürlich überhaupt nicht, nur spricht das für mich nicht generell gegen die jagd, sondern höchstens gegen gewisse formen der jagd.
und meine kritik an der staatsjagd hat noch eine andere ursache, nämlich meine generelle staatspolitische einstellung. ich bin kein freund davon, alles in staatliche hände zu legen, weil ich nicht glaube, dass der staat immer alles besser macht. ich bin anarchist (und zwar kein jugendlicher blauäugiger, sondern ein über die jahre in seiner gesinnung gefestigter!) und stelle damit grundsätzlich werte wie eigenverantwortung, selbstbestimmung, selbstverwaltung vor den staat. das macht auch bei der jagd nicht halt. |
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Lupos
Anmeldungsdatum: 05.04.2010 Beiträge: 3 Wohnort: Schweiz

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Verfasst am: 18 Mai 2010 15:10 Titel: |
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Na, das freut mich ja schon mal ungemein, dass es noch jemanden gibt, der einsieht, dass die Jagd wildbiologisch gesehen unsinnig ist. Ob es sie gesellschaftlich noch braucht ist nach dieser Erkenntnis tatsächlich die nächste Frage. Nun, wer braucht denn die Jagd gesellschaftlich gesehen? Nebst den Jägern? In der Schweiz sind dies vermutlich die Bündner Bevölkerung. Die lieben ihre Jagd wirklich. Der grosse Rest der Bevölkerung würde hingegen, wenn diese denn wüsste, dass es die Jagd wildbiologisch nicht nur nicht braucht sondern für vieles sogar schädlich ist, eine Abschaffung der Jagd kaum vermissen. Im Gegenteil. Die Angst bei Dämmerungslicht in wildreichen Gebieten spazieren zu gehen, nimmt auf jeden Fall ab. Und zudem - wie im vorangegangen Kommentar schon erwähnt - werden viel mehr Begegnungen mit der wilden Fauna möglich. Und wie der Erfolg von Safaris in Nationalpärken zeigt: die Menschen lieben das. Dann gibt es noch die kulinarischen Aspekte der Jagd: Viele Leute wissen allerdings nicht, dass das Wild das sie bei uns essen zu 99% nicht aus dem Wald sondern aus Neuseeland (Farmen) kommt. Die allermeisten Tiere die geschossen werden, sind aber sowieso gar nicht schmackhaft. Also Dein Argument, von der Nutzung wie der Wolf es tut, gilt hier nicht. Die um die 35'000 Füchse die jährlich abgeschossen werden, kommen in die Verbrennungsöfen: Denn nicht einmal das Fell hat noch etwas wert. Dann werden aber zum Beispiel auch superfette Murmeltiere geschossen anstatt diese dem Steinadler zu gönnen. Oder Dachse, Baummarder und Steinmarder. Und so weiter. Und da wird es dann eben klar: Die Jagd wird betrieben aus Spass an der Jagd. Und nichts anderem. Dabei ist der Akt des Tötens ein ganz wichtiger Teil: Er gibt dem Schussabgebenden das Gefühl von Macht und Überlegenheit. Daraus erfolgt ein Adrenalinkick. Adrenalin macht immer Lust nach mehr. Also mehr jagen - mehr töten. Danach muss man dann aber versuchen, sein tun zu rechtfertigen. Also kommt man mit den schon längst widerlegten pseudowissenschaftlichen Behauptungen, es brauche die Hege und Pflege. Töten aus Lust ist aber gemäss geltendem europäischen und schweizerischen Tierschutzrecht eigentlich rechtswiedrig. Dies kann man nur ändern, wenn man die Jagdaufsicht und falls nötig Ausübung an Rangers weitergibt. Dein staatspolitisches Argument hier zu für "möglichst wenig Staat", ist sympathisch und aber auch kein Problem: Die Rangerlizenzen könnten ja auch problemlos an private Unternehmungen vergeben werden, welche einem vom Staat definierten Auftrag erfüllen müssten. (Der staatliche Einfluss mit all den Beamten, Wildhütern und Vorschriften passiert ja jetzt schon). Die Freiheit für den einzelnen Bürger hingegen würde durch diese Massnahmen natürlich massiv gesteigert werden. Die Bewegungsfreiheit würde für 99.6% der Einwohner - also allen Nichtjägern - vergrössert. Unsinniges wie "Wildruhezone - nicht betreten" könnte man getrost vergessen. In Wildruhezonen in die niemand rein darf ausser den Jägern, bleiben natürlich die Tiere scheu und fühlen sich rasch gestresst. In jagdfreien Gebieten hingegen erlangen die wilden Tiere sehr schnell eine Gelassenheit gegenüber der menschlichen Anwesenheit. Damit können sie tatsächlich stressfreier leben - und die Menschen die Wildgebiete auch problemlos für Freizeitaktivitäten nutzen. Bleibt dein letztes Argument: der Mensch war schon immer ein Jäger und Sammler. Das ist ungefähr so richtig, wie "es gab schon immer Stierkampf in Spanien"... Gemäss dem auch schon von Dir zitierten Professor Reichholf, waren unsere Vorfahren zuerst einmal sehr lange Pflanzenfresser. Dann mit dem Anwachsen der Savannen wurden wir Fleischfresser. Aber nicht Jäger. Sondern Aasfresser. Und das blieben wir ziemlich laaaange. Dann wurden wir in gewissen Regionen der Welt sehr gute Jäger. Und Sammler. Bis wir gecheckt haben, dass man Fleisch auch in der Form von Nutztieren gewinnen kann. Kurz darauf kam der Ackerbau. Und die Jagd wurde das Vorrecht von ganz wenigen Adligen. (In Kulturen in denen dem nicht so war: also zum Beispiel bei den Prärieindianern oder am Amazonas. Wird/wurde aber ganz sicher nie wegen dem Spass am töten gejagt.) Ich glaube Herrn Reichholf hier auf jeden Fall. Sprechen doch Indizien klar für diese Theorien: 1. Unsere Anatomie und unser Gebiss weist uns klar NICHT als Raubtier aus. 2. Die typischen Beutetiere der Savanne haben von Geburt aus Angst vor Löwen und anderen Beutegreifern. In jagdfreien Gebieten aber NICHT vom Menschen. Ergo ist die Jagd des Menschen etwas Neues. 3. Leben grosse Teile der Erdbevölkerung (zum Beispiel in Indien) seit Jahrtausenden praktisch fleischlos. (Und bis die Engländer gekommen sind praktisch auch jagdlos.) Bin ich jetzt ein Jagdgegner, weil mir das arme Bambi leid tut: nein. Ich bin ein Jagdgegner, weil die Jagd eine von den wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Entwicklungen her eine überhohlte Sache ist. So wie heute niemandem mehr in den Sinn kommen würde, zu Lehrzwecken Massais, Sioux oder Kleinwüchsige im Zirkus oder im Zoo auszustellen, so wird eines Tages (hoffentlich) das Relikt "Jagd" entsorgt werden. Damit unsere Kinder und Kindeskinder wieder eine reiche heimische Fauna vor ihrer Haustüre antreffen können. Dir danke ich, wenn Du bis zum Schluss gelesen hast...  |
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jurawolf
Anmeldungsdatum: 01.01.2009 Beiträge: 283

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Verfasst am: 19 Mai 2010 0:09 Titel: |
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du gehst auf sehr viele unterschiedliche aspekte ein und mit vielem davon bin ich auch absolut einverstanden. bis vor einigen jahren habe ich sogar noch exakt gleich argumentiert, sehe ich jedoch heute das eine oder andere etwas anders. aber eben, in vielem gebe ich dir recht, deshalb gehe ich nur auf ein paar aussagen weiter ein, die ich so nicht unterschreiben würde.
Lupos hat folgendes geschrieben: | Also Dein Argument, von der Nutzung wie der Wolf es tut, gilt hier nicht. Die um die 35'000 Füchse die jährlich abgeschossen werden, kommen in die Verbrennungsöfen: Denn nicht einmal das Fell hat noch etwas wert. Dann werden aber zum Beispiel auch superfette Murmeltiere geschossen anstatt diese dem Steinadler zu gönnen. Oder Dachse, Baummarder und Steinmarder. Und so weiter. |
wie gesagt, ich verteidige längst nicht alles, was in der heutigen jagd geschieht. genau deswegen habe ich die "prädatorenregulation" explizit genannt, weil ich darin keinen sinn sehe. ich habe geschrieben, dass ich die jagd an sich als etwas natürliches ansehe und habe mich damit auf die jagd bezogen, bei der es darum geht, sich selbst zu versorgen.
ich lehne es in jeder form ab, tiere zu töten, die ich nicht verwerten kann. solange die beute aber verwertbar ist (und die population natürlich keinen nachhaltigen schaden nimmt), sehe ich kein problem darin, tiere zu jagen. das schliesst theoretisch auch prädatoren ein, da auch diese vielfach verwertbar sind. dachs z.b. schmeckt sehr gut. fuchs allerdings weniger, zumal der auch recht viele feine knochen hat. murmeltier widerum (ist zwar kein prädator) schmeckt ebenfalls ausgezeichnet. dies nur ein paar beispiele.
und selbst wenn die ganze sache mit der jagd noch spass macht: ist doch nicht schlimm! so lange das ganze nachhaltig geschieht, sauber ausgeführt wird (also kein rumgeballere ist), die beute verwertet wird, etc. ist das doch kein problem.
Lupos hat folgendes geschrieben: | Also kommt man mit den schon längst widerlegten pseudowissenschaftlichen Behauptungen, es brauche die Hege und Pflege. |
wie schon zuvor gesagt, halte auch ich nichts von der argumentation von der angeblich notwendigen hege der wildbestände. man darf jedoch nicht vergessen, dass diese begründung massgeblich durch die aufkommende naturschutzbewegung an gewicht gewonnen hat. während es früher noch gereicht hat, die jagd mit dem erwerb von fleisch zu begründen, wurde es zunehmend notwenig, übergeordnete gründe zu finden. da hat man eben die pseudo-ökologische argumentation von der angeblich notwendigen bejagung des wildes entwickelt.
Lupos hat folgendes geschrieben: | Töten aus Lust ist aber gemäss geltendem europäischen und schweizerischen Tierschutzrecht eigentlich rechtswiedrig. Dies kann man nur ändern, wenn man die Jagdaufsicht und falls nötig Ausübung an Rangers weitergibt. Dein staatspolitisches Argument hier zu für "möglichst wenig Staat", ist sympathisch und aber auch kein Problem: Die Rangerlizenzen könnten ja auch problemlos an private Unternehmungen vergeben werden, welche einem vom Staat definierten Auftrag erfüllen müssten. |
womit wir aber wieder bei der gewöhnlichen jagd gelandet sind. in der schweiz ist es so, dass die kantone das jagdregal besitzen und damit für die regulation der wildbestände verantwortlich sind. mit der verpachtung der reviere oder der vergabe der patente delegieren sie dies aber an private, welche einen klar definierten auftrag erfüllen müssen.
Lupos hat folgendes geschrieben: | Unsinniges wie "Wildruhezone - nicht betreten" könnte man getrost vergessen. In Wildruhezonen in die niemand rein darf ausser den Jägern, bleiben natürlich die Tiere scheu und fühlen sich rasch gestresst. In jagdfreien Gebieten hingegen erlangen die wilden Tiere sehr schnell eine Gelassenheit gegenüber der menschlichen Anwesenheit. Damit können sie tatsächlich stressfreier leben - und die Menschen die Wildgebiete auch problemlos für Freizeitaktivitäten nutzen. |
das stimmt so einfach nicht. die jagd ist in der schweiz zumindest ist den patentkantonen eine kurze angelegenheit, da sie nur zwei, drei wochen dauert. störungen durch wanderer, pilzsucher, tourenskifahrer, etc. halten oft monatelang an. zudem darf keinesfalls die jahreszeit ausser acht gelassen werden. nehmen wir als beispiel den rothirsch, der ja einen verborgenen winterschlaf hält (also seinen stoffwechsel im winter massiv runterfährt). eine störung im wintereinstand durch eine tourenskifahrer ist dann weitaus gravierender als im september während der hochjagd, wenn sich die hirsche noch im sommereinstand befinden. eine kurze, intensive jagdzeit ist für das wild weitaus schonender, als den ganzen winter skifahrer im revier zu haben.
übrigens sind die ganzen wildruhezonen selbst unter naturschützern, die der jagd durchaus kritisch gegenüber stehend, weitgehend unbestritten. sie sind also nicht bloss irgendeine schnappsidee.
auch sollte noch gesagt werden, dass wildruhezonen sehr wohl auch für jäger gelten. gewöhnlich gelten diese zonen nur im winter (wenn ohnehin keine jagd stattfindet) und gelten für jedermann. sie umfassen wintereinstandsgebiete, in denen die tiere sich ständige störungen schlicht nicht leisten können. da geht es auch nicht um scheu oder nicht scheu.
und eigentlich ist auch der wolf schlussendlich ein stressfaktor. aber stress kann eben auch gesund sein, weil er für eine selektion sorgt. das ganze ist also ein ziemlich zweischneidiges schwert.
Lupos hat folgendes geschrieben: | Bleibt dein letztes Argument: der Mensch war schon immer ein Jäger und Sammler. Das ist ungefähr so richtig, wie "es gab schon immer Stierkampf in Spanien"... Gemäss dem auch schon von Dir zitierten Professor Reichholf, waren unsere Vorfahren zuerst einmal sehr lange Pflanzenfresser. Dann mit dem Anwachsen der Savannen wurden wir Fleischfresser. Aber nicht Jäger. Sondern Aasfresser. Und das blieben wir ziemlich laaaange. Dann wurden wir in gewissen Regionen der Welt sehr gute Jäger. Und Sammler. Bis wir gecheckt haben, dass man Fleisch auch in der Form von Nutztieren gewinnen kann. Kurz darauf kam der Ackerbau. Und die Jagd wurde das Vorrecht von ganz wenigen Adligen. (In Kulturen in denen dem nicht so war: also zum Beispiel bei den Prärieindianern oder am Amazonas. Wird/wurde aber ganz sicher nie wegen dem Spass am töten gejagt.) |
selbst wenn das meiste davon nur eine rekonstrierte theorie ist, zu der es auch viele gegenteilige annahmen gibt, ist doch genau diese aufzählung eigentlich auch zeichen dafür, dass wir durchaus schon lange fleisch fressen. ohne den verzehr von fleisch hätte sich der mensch auch nie derart weit ausbreiten können, weil in vielen gebieten der welt eine rein vegetarische ernährung gar nie möglich gewesen wäre. vielerorts gerade in den hohen und tiefen breiten ist das pflanzenangebot schlicht viel zu spärlich, ebenso wäre in der eiszeit eine kolonisierung europas unmöglich gewesen, wenn keine tiere gejagt worden wären.
das menschliche gebiss spricht m.e. im prinzip für einen allesfresser. den meisten pflanzenfressern fehlen die canini (eckzähne) und ausgeprägte incisivi (schneidezähne), die der mensch aber noch hat. auch die tatsache, dass wir überhaupt fleisch verdauen können, spricht für einen allesfresser (die meisten pflanzenfresser könnten überhaupt kein fleisch verdauen).
ganz unabhängig davon ist es jedoch weitgehend unbestritten, dass der mensch problemlos ohne fleisch leben könnte. die frage ist aber, ob er es soll oder will. wollen tun es die allermeisten mit sicherheit nicht und ob er es soll, ist wohl eine ethisch-moralische frage, auf die es keine eindeutige antwort gibt.
Lupos hat folgendes geschrieben: | 1. Unsere Anatomie und unser Gebiss weist uns klar NICHT als Raubtier aus. |
natürlich, wir haben nicht mit dem gebiss getötet. aber so oder so, die grosse mehrheit der menschen isst fleisch und wird sich das auch nicht verbieten lassen. und solange fleisch gegessen wird, halte ich es nur für vernünftig, dass mindestens ein teil daraus wildfleisch ist, da dieses das weitaus tiergerechteste und ökologisch nachhaltigste ist.
Lupos hat folgendes geschrieben: | 2. Die typischen Beutetiere der Savanne haben von Geburt aus Angst vor Löwen und anderen Beutegreifern. In jagdfreien Gebieten aber NICHT vom Menschen. Ergo ist die Jagd des Menschen etwas Neues. |
von wegen. tiere sind ja zweifellos intelligent und lernen sehr gut, mit ihren jägern umzugehen. zebras, gnus, impalas und all die tiere in der savanne haben keineswegs einfach angst vor löwen. oft genug sieht man löwenrudel, die von pflanzenfresserherden umgeben sind. wildtiere wissen sehr gut, wie sie räuber einschätzen müssen und wann sie planen zu jagen. das ist gegenüber dem menschen nicht anders. wenn wir wildtiere jagen, werden sie scheu und ziehen sich zurück. wenn wir nicht jagen, werden sie zutraulich. dass sie in nationalparks zutraulich sind, ist ja nur die logische folge davon, dass in nationalparks nicht gejagt wird. das heisst aber noch lange nicht, dass dies dem urzustand entspricht.
Lupos hat folgendes geschrieben: | 3. Leben grosse Teile der Erdbevölkerung (zum Beispiel in Indien) seit Jahrtausenden praktisch fleischlos. (Und bis die Engländer gekommen sind praktisch auch jagdlos.) |
nur am rande: in indien sind nicht wenige vegetarier, weil sie sich fleisch schlicht nicht leisten können. nebenbei konsumieren sie aber übrigens mit milchprodukten auch tierisches eiweiss. wer bei uns milchprodukte konsumiert, ist aber auch dafür verantwortlich, dass fleisch produziert wird. denn die kuh gibt ja nur milch, wenn sie regelmässig kalbt, das kalb aber nicht trinken kann, sondern im normalfall geschlachtet wird. |
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