Wenn ich das richtig verstanden habe, handelt es sich dabei erst einmal um ein
Gerücht. Und dann auch noch im Zusammenhang mit einer Person, die durch die bisherige Nichtbeachtung ihrer selbst konstruierten Wolfsfalle durch die verantwortlichen Institutionen leicht verschnupft reagiert. Den tatsächlichen Wahrheitsgehalt hinter dem Gerücht zu seinem konkreten Vorhaben kann ja aber nur das Niedersächsische Umweltministerium selbst offenlegen.
Spätestens seit der Situation, dass immer derselbe besenderte Wolf gesichtet, fotografiert, gefilmt und dabei teilweise sogar regelrecht verfolgt worden ist, täten die Verantwortlichen aber auf jeden Fall gut daran, eine weitere Besenderung gründlich abzuwägen.
Den Begriff der "Judaswölfe" habe ich erstmals bei Ulrich Wotschikowsky gelesen:
Man hätte unmittelbar nach der erfolgreichen Besenderung mit der Vergrämung dieses Tieres, besser noch des gesamten Munsterrudels beginnen sollen. Die beiden besenderten Jungwölfe hätte man als „Judaswölfe“ nutzen können, die das Vergrämungsteam zum Rudel führen. Ich glaube, dass sich jeder schmerzhafte Treffer mit einem Gummigeschoss im Rudel „herumgesprochen“ hätte – schließlich haben wir es mit außerordentlich sozial lebenden, hoch entwickelten, intelligenten Tieren zu tun.
Ulrich Wotschikowsky: MT6 hätte nicht sterben müssen, 27.04.216 http://woelfeindeutschland.de/mt6-haett ... n-muessen/
Bei manchen Ratschlägen zur Vergrämung - die zudem im Nachhinein leicht gesagt sind, da der betreffende Wolf nicht mehr lebt - fühle ich mich mitunter an die "80 Millionen Bundestrainer" erinnert, die im Nachgang eines vergeigten Spiels der Nationalmannschaft selbstverständlich ganz genau wissen, wie die verlorene Meisterschaft ganz easy zu gewinnen gewesen wäre...
Theo Grüntjens, der zusammen mit dem in dem az-online Artikel erwähnten Klaus Bullerjahn die oben genannte Wolfsfalle konstruiert hat, erhielt in der NDR-Nordstory "Leben mit dem Wolf" die Gelegenheit, seine Lösungsvariante zu präsentieren.
Theo Grüntjens zeigt, wie so eine Vergrämung aussehen könnte:
"Hey hey, hau ab, los, lauf, lauf" [schießt]. Ein Schrotgewehr, geladen mit einem Gummigeschoss soll Schmerzen verursachen und den Abstand zum Menschen wiederherstellen.
"Er hat hoffentlich dann verknüpft - durch mein Schreien - dass der Schmerz quasi von mir verursacht wird und er dann kombiniert: Wenn ich den Menschen zu nahe komme, tut mir das weh. Ich bleib lieber weg. Darauf auch noch mal nachschreien, nach dem Motto: Das Schreien tut mir weh.
Wenn er demnächst irgendeinem Menschen zu nahe kommt, die schreien, wird er sich erinnern: Oh, das tut weh, ich hau lieber ab. Und dadurch hoffe ich, dass wir eine gewisse Distanz zwischen Mensch und Wolf herstellen können."
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/d ... 25020.html
Herr Grüntjens gibt in der NDR-Nordstory "Leben mit dem Wolf" zudem seine Einschätzung ab, warum die Vergrämung durch Jens Karlsson aus seiner Sicht nicht funktionieren konnte:
Für die Vergrämung wird extra ein Experte aus Schweden eingeflogen. Doch dessen gewählter Ansatz der Vergrämung schlägt fehl. Der Wolf witterte seine Gegner. Theo Grüntjens nennt Gründe für die gescheiterte Aktion:
"
Es ist schwierig, die Situation, die zufällig entsteht, draußen in der Fläche, die herbeizuführen. Weil die Wölfe sind ja vorher nicht zielgerichtet auf einen Punkt zu, sondern es waren immer Zufallsbegegnungen an irgendeinem undefinierbaren Ort, der nicht festzulegen, zu kalkulieren war. So, und wenn der Wolf eben dann merkt: Mir läuft jemand hinterher - dann tut er das, was jedes Tier tut: Er versucht, auszuweichen.
Insofern war die Chance, eine erfolgreiche Vergrämung zu machen, bei dieser Art nicht gegeben."
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/d ... 25020.html
Als Alternative schlägt er die Vergrämung auf dem Rendevouzplatz als eine Art
generelle Präventionsmaßnahme vor:
Kurze Zeit später wurde Kurti dann doch durch einen gezielten Schuss im Auftrag des Umweltministeriums getötet. Grüntjens glaubt, dass es soweit gar nicht hätte kommen müssen:
"Ich hab' die Idee schon mal gebracht, dass wir quasi auf dem sogenannten Rendevouzplatz - also der feste Platz, wo die Tiere meistens gefüttert werden von den Alttieren - dass man an der Stelle hingeht, und schon den Kontakt zum Menschen herstellt, weil, da kann ich's provozieren. Und dabei den Jungwölfen schon beibringen: Wenn ein Mensch kommt, ist das für mich nicht gut. Damit kann ich gleich die ganze Gruppe so konditionieren, dass sie erst gar nicht auf die Idee kommen, nahe an die Menschen ranzugehen."
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/d ... 25020.html
Bei dem Satz "Damit kann ich gleich die ganze Gruppe so konditionieren, dass sie erst gar nicht auf die Idee kommen, nahe an die Menschen ranzugehen" frage ich mich aber schon, warum es bei derzeit 44 von 45 Wolfsrudeln in Deutschland offenbar gar nicht nötig ist, präventiv den Jungtieren auf den Rendevous-Plätzen schmerzhafte Begegnungen mit den Jagdwaffen der Menschen zuzufügen.
Selbst in Munster hat sich das zunächst auch als auffällig beschriebene Verhalten der 2012er und 2013er Würfe offenbar von allein gelegt.¹
Kurti war bislang der einzige aus dem 2014er Wurf, der distanzloseres Verhalten auch im adulten Alter gezeigt hat. Die Jungtiere aus dem Jahrgang 2015 sind bislang unauffällig.²
Auch mir stellt sich damit die Frage, warum man die Tiere jetzt nicht einfach mal in Ruhe lassen kann.
Außerdem sollte vielleicht erst einmal geklärt werden, ob eine schlecht durchdachte bzw. schlecht durchgeführte Vergrämung zu Präventionszwecken nicht auch Aggressivität von Wölfen gegenüber Menschen sogar fördern und provozieren kann. Immerhin war die Hälfte der zehn seit 1900 in Nordamerika dokumentierten tödlichen Wolfsattacken auf Jagdunfälle zurückzuführen. (Bei den übrigen fünf wurde in drei Fällen der Wolf als Haustier gehalten).
¹
Sebastian Körner auf Wolfsite- Wölfe on Deutschland: Scheu verloren? Zum Verhalten der Munster-Wölfe, 15.06.2015: "Der Mangel an Scheu der Welpen 2012 und 2013 hat sich offensichtlich im Verlaufe ihrer Entwicklung zu Altwölfen gelegt."
http://woelfeindeutschland.de/scheu-ver ... n-koerner/
² Freundeskreis freilebender Wölfe e.V.: Der Wolf in Niedersachsens Politik
http://www.lausitz-wolf.de/index.php?id=1556
³
http://www.wolfszone.de/000main/texte/Wolfsattacken.pdf