Politgerangel auf dem Wolfsrücken

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Nina
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Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Nina »

Das Niedersächsische Umweltministerium hat die Kritik von Teilen der Landesjägerschaft und der CDU an der Nicht-Veröffentlichung von Film- und Videosequenzen vom Truppenübungsplatz in Munster aus dem Jahr 2014 in einer Pressemitteilung zurückgewiesen.¹

Zuvor hatte der NDR berichtet, dass Foto- und Filmaufnahmen von Nahbegegnungen von Menschen, Hunden und Wölfen vom Truppenübungsplatz existierten, die "unter Verschluss" gehalten würden. Als namentliche Kritiker an dieser Begebenheit werden Teile der Landesjägerschaft genannt, z. B. Britta Habbe, Theo Grüntjens, Klaus Bullerjahn, auch Helge John und die Landtagsabgeordneten Ernst-Ingolf-Angermann (CDU) und Gero Hocker (FDP).²

Ernst-Ingolf Angermann erklärt in einer Pressemitteilung vom 15.07.2016:
Wenzel muss umgehend erklären, wann er von den Bildbeweisen erfahren hat und warum die Existenz der Bilder verschwiegen wurde.

http://www.cdu-fraktion-niedersachsen.d ... -menschen/
Das ist insofern interessant, als dass der NDR selbst sehr widersprüchliche Angaben gemacht hat. Die Bilder seien "ein wohlgehütetes Geheimnis" gewesen und würden "unter Verschluss" gehalten. Aber im selben Artikel ist auch zu lesen, dass die Bilder auf einer Veranstaltung des Umweltministeriums im Februar 2015 mit Naturschutzverbänden, Wolfsberatern und der Landesjägerschaft gezeigt worden sind. Habbe wird sogar zitiert, dass es dort "alle verwundert" hätte, dass diese Aufnahmen existierten. Das "umfangreiche" Fotomaterial" habe "viele Wolfsberater erstaunt".²

Dass die "Existenz der Bilder verschwiegen" worden sei, wie Angermann behauptet, ist also nicht zutreffend. Sogar das (nicht grüne) Bundesumweltministerium erwähnte diese Bilder in seinem Bericht zum Wolf am 28.10.2015:
Hinzu kamen Fotos und Videos, zumeist, aber nicht ausschließlich vom Truppenübungsplatz, die zeigten, dass
einzelne Welpen tolerierten, dass Menschen aus dem Fahrzeug ausstiegen und sich ihnen bis auf wenige Meter näherten.

Seite 71 http://www.bundestag.de/blob/393542/5e2 ... b-data.pdf
Dass ein Teil der Munsteraner Wölfe ein weniger scheues Verhalten gezeigt hat, wurde vom Niedersächsischen Umweltministerium in rund einem Jahr mindestens 45 Mal in Pressemitteilungen, Landtagsantworten etc thematisiert und im Netz veröffentlicht.³ Dazu kamen Veranstaltungen wie in Munster, auf denen die örtliche Bevölkerung aufgeklärt wurde. Thematisiert wurden hier u. a. die fatalen Auswirkungen von Anfütterungen und Abwehr möglicher aufdringlicher Wölfe.⁴

Dass die Staatsanwalt den Abschuss von MT6 als rechtens erklärt hat⁵, bringt viele Wolfsfreunde dazu, erneut gegen das Umweltministerium zu wettern und neue Klagen anzukündigen - wo man jetzt ja wisse, dass Kurti quasi unschuldig war, weil er zuvor habituiert worden sei. Was dieser Tunnelblick der Wut und Ohnmacht diese Wolfsfreunde leider nicht erkennen lässt: Sie stellen damit leichtfertig die Existenz des gesamten Munsteraner Rudels zur Diskussion.

Gero Hocker von der FDP hat das Thema schon mal für sich aufgegriffen:
Darüber hinaus stehe nun aber die Frage im Raum, wie der Umweltminister weiter vorgehen will. „Was ist mit den Geschwistern von MT6? Was unternimmt Wenzel mit denen, wenn sie auffällig werden? Wartet er dann wieder, bis mehr passiert?“ Es sei davon auszugehen, dass die Geschwister ebenso an Menschen gewohnt sind wie MT6.

http://fdp-fraktion-nds.de/gero-hocker- ... on-mt6-um/
Und Hocker formuliert, freundlich verpackt, aber deutlich, seine politischen Ziele im Hinblick auf die Wölfe in Niedersachsen:
Über kurz oder lang wird man nicht daran vorbei kommen, Quoten festzulegen, wie viele Tiere erträglich sind für Menschen sowie für Flora und Fauna. Wir brauchen mehr als den Abschuss verhaltensauffälliger Tiere, um die Wolfspopulation dauerhaft zu managen.

http://fdp-fraktion-nds.de/gero-hocker- ... on-mt6-um/
Wer es noch nicht bemerkt hat: Am 11. September 2016 sind Kommunalwahlen in Niedersachsen. Hier wird auf dem Rücken der Wölfe Wahlkampf betrieben. Die Oppositionsparteien möchten die Machthoheit über das Land und die Landesjägerschaft die Machthoheit über dort lebenden Wolfsbestände.

Wenn die Wolfbefürworter das nicht rechtzeitig erkennen, erzählt man sich spätestens nach den Landtagswahlen die Geschichte von den Wolfsfreunden, die diverse Wölfe mit gut gemeinten, aber schlecht gemachten Aktionen direkt vor die Jagdgewehrläufe einer neuen schwarz-gelben Landesregierung getrieben haben...


¹ Pressemitteilung 154/2016 v. 18.07.2016 http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktu ... 45282.html

² NDR, Ulrike Kressel: Haben Menschen "Kurti" zum Problem-Wolf gemacht", 15.07.2016 https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... fe518.html

³ http://www.umwelt.niedersachsen.de/star ... 31690.html

Ein Ausschnitt der Veranstaltung in Munster, auf der auch die drei Vertreter der Landesjägerschaft zugegen waren, die aktuell im NDR-Artikel als Kritiker zu Wort kommen, wurde in der NDR-Reportage "Expeditionen ins Tierreich XXL, Wölfe und Luchse in Norddeutschland, Sendetermin 15.05.16, gezeigt. Dort ist auch eine Aufnahme der Nahbegegnungen vom Truppenübungsplatz zu sehen.
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/e ... 11392.html

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... f2594.html
Grauer Wolf

Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Grauer Wolf »

Das Umweltministerium habe schlüssig darlegen können, dass allein die Tötung des Wolfes mögliche Gefahren für Menschen verhindern konnte, so Klinge.
Bullshit!
Die Staatsanwaltschaft Hannover prüfte die Anzeigen und fragte im Umweltministerium nach, ob es unumgänglich war, "Kurti" abzuschießen. Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Thomas Klinge gibt es keinen Anfangsverdacht.
Man fragt also quasi den Angeklagten, ob alles rechtens war. Unglaublich, zumal im Umweltministerium offensichtlich keinerlei Expertise vorhanden ist. Wurden eigentlich echte Wolfsexperten mit umfangreicher Felderfahrung angehört? Nein! Die Antwort hätte ja unpassend ausfallen können.

Manchmal frage ich mich, ob das alles nur ein billiger Horrorfilm ist... :(
Ich ziehe daraus die Konsequenz: Sollte ich jemals eine Nahbegegnung mit einem Wolf haben, wird das ein Geheimnis zwischen ihm und mir bleiben.

Gruß
Wolf
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Nina
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Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Nina »

Grauer Wolf hat geschrieben:Man fragt also quasi den Angeklagten, ob alles rechtens war. Unglaublich, zumal im Umweltministerium offensichtlich keinerlei Expertise vorhanden ist. Wurden eigentlich echte Wolfsexperten mit umfangreicher Felderfahrung angehört? Nein! Die Antwort hätte ja unpassend ausfallen können.
Deine Reaktion ist genau das, was ich in meinem Eingangspost kritisiert habe. Das Umweltministerium hat immer wieder erklärt, dass es laufend nach Absprache mit den Experten des Wolfsberatungszentrums des Bundes (DBBW) gehandelt habe. Zu diesem gehört auch LUPUS - Institut für Wolfsmonitoring und - forschung in Deutschland. Und Gesa Kluth und Ilka Reinhardt würde ich jetzt nicht unbedingt mangelnde "Felderfahrung" vorwerfen.
Die Bewährungsprobe kam wenige Wochen nach dem Startschuss: In Niedersachsen suchte im April ein junger Wolfsrüde immer wieder die Nähe zu Menschen. Daraufhin wurde Hilfe aus Görlitz angefordert. „Unsere Partner von „Lupus“ waren vor Ort. Es wurde versucht, das Tier zu vergrämen“, sagt Ansorge über den ersten Beratungsfall der Institution.Es half jedoch alles nichts: Der Rüde, in den Medien inzwischen Kurti genannt, näherte sich wiederholt Menschen mit Hunden und zeigte keinerlei Scheu. Per Skype-Konferenz entschieden schließlich alle Experten gemeinsam mit dem niedersächsischen Umweltministerium, das Tier abzuschießen. „Das war keine leichte Entscheidung“, sagt Ansorge. „Wir mussten für den Tod des Wolfes die Verantwortung übernehmen, aber auch dafür sorgen, dass sich das Image des Wolfes nicht weiter verschlechtert.“

Beratungszentrum „Canis Lupus“: Bundesweites Wolfs-Zentrum: Fall Kurti war die Bewährungsprobe | noz.de - http://www.noz.de/deutschland-welt/nied ... rungsprobe
Wenzel hat bereits am 18.02.16 verlauten lassen, dass er parallel zu den Vergrämungsmaßnahmen auch eine mögliche Entnahme vorbereiten lässt. Was die Wolfsfreunde empört hat, hatte aus Wenzels Sicht durchaus Sinn: Nämlich einen Wolf unverzüglich töten zu können, wenn er aufdringliches Verhalten intensiviert und tatsächlich unmittelbar gefährlich wird. Man darf also davon ausgehen, dass das Umweltministerium sämtliche rechtlichen Absicherungen im Vorwege getroffen hat. Ob die Staatsanwaltschaft den Fall nun wirklich so lapidar abgehandelt hat, wie es uns der NDR vermittelt, ist mehr als zweifelhaft. Der NDR hat in seinen letzten Berichterstattungen seine einseitigen Antiwolf/AntiGrüne - Pro Jägerschaft/pro Oppositionsparteien-Tendenzen mehr als deutlich durchscheinen lassen und greift nach meinem Ermessen dafür mehr in das Politikgeschehen ein, als es für einen öffentlich-rechtlichen Sender per Programmauftrag vorgesehen ist.

Erst heute musste das Umweltministerium wieder die "von der Opposition und von einzelnen Medien berichteten Vorwürfe" zurückweisen:

http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktu ... 45282.html

Versteh' mich nicht falsch - auch aus meiner Sicht spricht viel dafür, dass Kurti vor allem das Opfer einer Medien- und PR-Kampagne von Lobbyisten geworden ist. Ich finde es merkwürdig, dass neben Wanderwolf Kurt hauptsächlich nur ein - und zwar ausgerechnet der besenderte Wolf - wenig Scheu gezeigt hat, obwohl ja das ganze Rudel dieselben Erfahrungen mit Menschen gemacht haben soll. Ich habe große Zweifel, ob alle der beschriebenen Geschichten um ihn sich auch tatsächlich so zugetragen haben. Ich kann aber auch nicht beweisen, dass es nicht so war. Und das konnte das Umweltministerium offenbar auch nicht. Gleichzeitig haben Medien - allen voran der NDR - und die Opposition den politischen Druck immer weiter erhöht, dass der Handlungsspielraum immer kleiner würde. Zudem gab es ja Aufnahmen, auf denen Kurti regelrecht verfolgt und ausgiebig fotografiert und gefilmt wurde. Diese Handlungen festigen das ohnehin wenig scheue Verhalten weiter. Wie weit wären Menschen bereit gewesen zu gehen, wenn nicht der Abschuss diesem Verhalten den Boden unter den Füßen entzogen hätte?

Zu glauben oder zu hoffen, dass die Staatsanwaltschaft Licht ins Dunkle der Machenschaften der Wolfsgegner gebracht und die Spreu vom Weizen bezüglich wahrer und erfundener Wolfsbegegnungen getrennt hätte, halte ich für naiv. Dafür ist unser Rechtssystem (leider) auch nicht ausgestattet.
Grauer Wolf

Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Grauer Wolf »

Nina hat geschrieben:Deine Reaktion ist genau das, was ich in meinem Eingangspost kritisiert habe. Das Umweltministerium hat immer wieder erklärt, dass es laufend nach Absprache mit den Experten des Wolfsberatungszentrums des Bundes (DBBW) gehandelt habe. Zu diesem gehört auch LUPUS - Institut für Wolfsmonitoring und - forschung in Deutschland. Und Gesa Kluth und Ilka Reinhardt würde ich jetzt nicht unbedingt mangelnde "Felderfahrung" vorwerfen.
Mit Feldforschungserfahrung meine ich tausende Stunden am oder im wilden Rudel, jeden einzelnen der zu erforschenden Wölfe auf Anhieb erkennen.... etc. pp. Mir fallen da Namen wie Bloch, Mech, Doug Smith, McAllister und ähnliche dieses Kalibers ein, oft genug selber zum halben Wolf geworden...
Nina hat geschrieben:Ich habe große Zweifel, ob alle der beschriebenen Geschichten um ihn sich auch tatsächlich so zugetragen haben. Ich kann aber auch nicht beweisen, dass es nicht so war.
Nett ausgedrückt. Ich halte so einiges für gewaltige Überteibungen, ggf. sogar für faustdicke Lügen. Es wäre nicht das erste mal.

Wie gesagt, ich hoffe, daß die Wölfe in nicht zu ferner Zukunft auch hier aufschlagen. Von mir wird allerdings niemand was erfahren, schon gar nicht, sollten sich Nahbegegnungen ergeben, die ich ganz allgemein bei Wildtieren sehr oft habe. Medien, Politik, "Jäger", Schafzüchter und Rotkäppchen sind für mich mittlerweile eine unheilige Allianz.

Gruß
Wolf
Widukind

Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Widukind »

Grauer Wolf hat geschrieben:Medien, Politik, "Jäger", Schafzüchter und Rotkäppchen sind für mich mittlerweile eine unheilige Allianz.
... dito :!:
Widukind

Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Widukind »

... der Vollständigkeit halber ...

Der Wolf in Niedersachsens Politik

http://www.lausitz-wolf.de/index.php?id=1556
Grauer Wolf

Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Grauer Wolf »

Ich bin also net der einzige, dem das übel aufstieß:
Und nun folgt ein Satz im NDR-Beitrag, der mir ein ungewolltes Schmunzeln ins Gesicht zauberte: „Die Staatsanwaltschaft Hannover prüfte die Anzeigen und fragte im Umweltministerium nach, ob es unumgänglich war, „Kurti“ abzuschießen.“
http://wolfsmonitor.de/?p=2513

Gruß
Wolf
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Nina
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Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Nina »

Grauer Wolf hat geschrieben:Ich bin also net der einzige, dem das übel aufstieß:
Und nun folgt ein Satz im NDR-Beitrag, der mir ein ungewolltes Schmunzeln ins Gesicht zauberte: „Die Staatsanwaltschaft Hannover prüfte die Anzeigen und fragte im Umweltministerium nach, ob es unumgänglich war, „Kurti“ abzuschießen.“

http://wolfsmonitor.de/?p=2513
Herr Vogler garniert diese Aussage dann noch mit Bildern, die er sich nach eigener Aussage vor seinem geistigen Auge vorstellt...

Und wieder springen also alle blind mit auf den Zug, dessen Richtung momentan vom NDR gesteuert wird. Oder kennt jemand einen anderen Artikel, der sich in diesem Fall nicht auf die NDR-Berichterstattung beruft? So schreiben alle vom NDR ab. Ob die Staatsanwalt einverstanden ist, ihre Tätigkeit in den Medien auf eine lapidare Nachfrage beim Umweltministerium reduziert zu sehen, bleibt zunächst mal unklar.

Natürlich erhalten die Beschuldigten bei der Prüfung eines Anfangsverdachts die Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Das gebieten die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit.

Aber Gesetze spielen in der aufgeheizten Wolfsdebatte wohl keine Rolle mehr - nicht mal in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Oder wie soll man damit umgehen, wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender wie der NDR in einer offensichtlichen Medienkampagne anprangert, dass das Umweltministerium nicht gewillt ist, geltendes Recht zu brechen und Urheberrechtsverletzungen zu begehen, nur um die Neugier der Medien und einer aufgeheizten Öffentlichkeit zu befriedigen?

Welche Grundsätze muss die Staatsanwaltschaft eigentlich beachten, wenn sie nach einer Anzeige den Anfangsverdacht prüft?
Die Staatsanwaltschaft hat gemäß § 160 Abs. 1 StPO im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens „zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen“, sobald sie „durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer
Straftat Kenntnis erhält”. Der zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erforderliche „Anfangsverdacht” liegt gemäß § 152 Abs. 2 StPO vor, wenn„zureichende tatsächliche Anhaltspunkte” für eine „verfolgbare Straftat” vorhanden sind.


Rautenberg: Richtlinien für die Prüfung eines Anfangsverdachts wegen einer Straftat http://www.gsta.brandenburg.de/media_fa ... rdacht.pdf
Eine nicht sorgfältig durchgeführte Prüfung des Anfangsverdachts kann auch für den Staatsanwalt zu rechtlichen Konsequenzen führen:
Die Annahme eines Anfangsverdachts setzt deshalb eine sorgfältige Prüfung voraus und kann der gerichtlichen Überprüfung in einem Amtshaftungsprozess unterliegen. So stellt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dann eine Amtspflichtverletzung dar, wenn diese Entscheidung nicht mehr vertretbar, d.h. bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafverfolgung nicht mehr verständlich ist (BVerfG NJW 1984, 1452; BGH NStZ 1988, 511).

Rautenberg: Richtlinien für die Prüfung eines Anfangsverdachts wegen einer Straftat http://www.gsta.brandenburg.de/media_fa ... rdacht.pdf
Was wird geprüft?
Der Staatsanwalt hat bei der Prüfung eines Anfangsverdachts zunächst festzustellen, ob überhaupt eine Straftat, also eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung vorliegen könnte, und sodann zu klären, ob diese auch verfolgbar wäre, [...] Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens hat zu unterbleiben, wenn ein Element der „verfolgbaren Straftat” offensichtlich fehlt.

a.a.O., http://www.gsta.brandenburg.de/media_fa ... rdacht.pdf
Wie wird geprüft?
In der der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorgeordneten Phase sind informatorische, formlose Befragungen zur Gewinnung eines groben Bildes, ob wirklich der Verdacht einer Straftat besteht und wer als Beschuldigter oder Zeuge in Betracht kommt, zulässig. [...] Im Rahmen der Prüfung, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten oder von dessen Einleitung abzusehen ist, hat der Staatsanwalt ihm freiwillig zur Verfügung gestellte Unterlagen auszuwerten und kann zur Erweiterung seiner Beurteilungsgrundlage auch allgemein zugängliche oder in amtlicher Verwahrung befindliche Unterlagen oder Akten beiziehen.

a.a.O., http://www.gsta.brandenburg.de/media_fa ... rdacht.pdf
Wie wir ja nun wissen, wurde die Entscheidung zum Abschuss von MT6 nicht von einzelnen Personen und auch nicht nach nach Belieben entschieden.

Vielmehr lag ein Gutachten der bundesweiten Beratungsstelle zum Wolf (DBBW) vor, in der der Abschuss empfohlen und mit anzunehmender Sicherheit auch hinreichend begründet wurde:
Vor dem Abschuss eines Wolfs in Niedersachsen gab es ein Gutachten aus der Oberlausitz

Die Entscheidung zum Abschuss hat zwar das niedersächsische Umweltministerium getroffen. Doch zuvor gab es ein Gutachten vom neuen bundesweit zuständigen Wolfsberatungszentrum. Das sitzt in Görlitz. Hauptverantwortlich ist Professor Hermann Ansorge vom Senckenbergmuseum für Naturkunde. Er arbeitet zusammen mit verschiedenen anderen Einrichtungen wie dem Lupus-Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland, zu dem die Wissenschaftlerinnen Gesa Kluth und Ilka Reinhardt gehören, und mit dem Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin.

sz-online: Erste Bewährungsprobe für Görlitzer Wolfsberater 02.05.2016 http://www.sz-online.de/nachrichten/ers ... sktop=true
Desweiteren haben verschiedene Naturschutzorganisationen, auch der Freundeskreis freilebender Wölfe e.V. und die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V., den Abschuss von MT6 für notwendig erachtet:
Die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe und der Freundeskreis freilebender Wölfe bedauern den Abschuss zutiefst, müssen aber leider feststellen, dass die Maßnahme notwendig und richtig war, um mögliche Risiken für Menschen auszuschließen, da dieses Tier inzwischen ein nicht mehr zu kalkulierendes Risiko darstellte.

http://www.gzsdw.de/erklaerung_zum_absc ... n_wolf_mt6
Der WWF:
Klose empfahl deshalb die sogenannte "letale Entnahme": Also den Abschuss.

http://www.abendblatt.de/region/nieders ... Kurti.html
Worauf könnte sich der Staatsanwalt angesichts dieser Einigkeit der Experten denn noch berufen, um die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu rechtfertigen?
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Nina
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Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Nina »

Und es geht weiter im Kompetenzgerangel.

Dieses Mal geht es um die Wolfsfalle der Jäger Klaus Bullerjahn und Theo Grüntjens, die die beiden auf Eigeninitiative konstruiert haben.
Obwohl sie damit nicht vom Niedersächsischen Umweltministerium beauftragt worden sind, äußerten sie wenig Verständis für dessen bisherige Ablehnung eines Einsatzes, z. B. in der NDR-Reportage "Die Nordstory - Leben mit dem Wolf" (Sendetermin 24.06.16).

https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ ... 25020.html

Nun wird die selbstkontruierte Wolfsfalle auch von Herrn Bullerjahn in der az-online vom 20.07.16 beworben. Eine Besenderung weiterer Wölfe mit Hilfe der Falle sei vom Umweltministerium abgelehnt worden, weil "die gewählten Forschungsansätze nach eingehender Prüfung nicht geeignet erschienen, um weitere, tiefergehende Erkenntnisse zum Verhalten der Wölfe zu gewinnen", wie das Ministerium zitiert wird.

Darauf folgt ein verblüffende Aussage:
„Wir haben in Deutschland null Forschung zum Wolf“, kritisiert Bullerjahn. Die meisten Studien basierten auf fremden Forschungen."

az-online: Klaus Bullerjahns Apparatur: Wenn der Wolf in die Falle geht, 20.07.16 https://www.az-online.de/uelzen/bad-bev ... 93419.html
Null Forschung in Deutschland? Ja, gehört denn der Freistaat Sachsen nicht zu Deutschland? :lol:

Sachsen blickt auf nun mehr 15 Jahre professionelle, wissenschaftliche Wolfsforschung zurück:
Das LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland - Gesa Kluth und Ilka Reinhardt - ist seit 2001 vom Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz federführend mit der wissenschaftlichen Datenerfassung über die Wölfe, dem Monitoring, in Sachsen beauftragt [...]

http://www.wolfsregion-lausitz.de/index ... monitoring
Im Rahmen des "Projekts Wanderwolf" wurden verschiedene Wölfe besendert und deren Telemetriedaten erfasst:
Das Projekt „Wanderwolf“ wird auf Grundlage einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Sächsischen Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) und der Projektgruppe „Wanderwolf“ bestehend aus der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V. (GzSdW), dem Internationalen Tierschutz-Fonds gGmbH (IFAW), dem Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) und dem World Wide Fund For Nature Deutschland (WWF) durchgeführt.

http://www.wolfsregion-lausitz.de/index ... anderwolfq
Pikant: Eine Weiterführung des Forschungsprojekts Wanderwolf wurde durch eine Strafanzeige des Landesjagdverbandes Sachsen wegen "rechtswidriger Fangemethoden" unmöglich gemacht. Dabei wird die verwendete Falle weltweit von Wildbiologen eingesetzt und fängt die Tiere schmerz- und verletzungsfrei. Weil alle rechtlichen Genehmigungen eingeholt worden waren, wurde das Verfahren gegen die Wildbiologen eingestellt, aber eine Weiterbesenderung liegt bis zur Klärung des Sachverhalts durch die EU erstmal auf Eis.

http://woelfeindeutschland.de/verfahren ... ngestellt/

Auch bei der Besenderung der Munsteraner Wölfe in Niedersachsen kam es zu öffentlichen medialen Attacken aus Kreisen der Jägerschaft:

http://woelfeindeutschland.de/pleiten-p ... lfsgegner/

Wenn Herr Bullerjahn nun seine Falle bewirbt und dabei behauptet, dass in Deutschland "null Forschung" gäbe, fragt man sich schon nach den Gründen, warum er sowas sagt...
Grauer Wolf

Re: Politgerangel auf dem Wolfsrücken

Beitrag von Grauer Wolf »

Nina hat geschrieben:Worauf könnte sich der Staatsanwalt angesichts dieser Einigkeit der Experten denn noch berufen, um die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu rechtfertigen?
Ich hab's schon mal erwähnt. Z.B. auf die Erfahrung echter Wolfsexperten mit vieltausendstündiger Beobachtungen am oder gar im Rudel?
Was wird denn hier gemacht? Häufchen gesammelt, Tabellen und Statistiken geführt, Politik getrieben usw. usf. Wer hat denn in D wirkliche Expertise in Wolfsverhalten? Die Meinung von G. Bloch (über 30.000 Stunden Beobachtungserfahrung) zu MT6 war ja wohl eindeutig: Extrovertierter neugieriger A-Typ (was auch, ohne mich Experte zu nennen (weil mir die Feldforschungserfahrung fehlt), meine Meinung war). Das reicht wohl hierzulande schon, einen Abschuß anzuordnen. In Banff kräht kein Hahn danach, wenn sich das Banff Town Rudel im Randgebiet der Stadt einen Wapiti schlägt. Hier wäre Panik pur angesagt und es würde Mord und zeter geschrien.
Die sogenannten Zeugenaussagen zu MT6 waren ja wohl mehr als zweifelhaft bis völlig unglaubwürdig (von Stalken des armen Kerls durch die verfluchten Handyknipser ganz abgesehen) und über die Hetzkampagne der Jägerschaft und Schafzüchter im trauten Verein mit den Medien muß ich wohl kaum ein Wort verlieren: Aus einem Hund, dem MT6 aus welchen Gründen auch immer (er wird aus Wolfssicht einen trifftigen Grund gehabt haben) einen kleinen, kaum sichtbaren Ratscher verpaßt hat, wird dann laut Blutzeitung gleich ein gerissener Hund.
Und das sind dann Grundlagen für eine so weitreichende Entscheidung? Wie ich schon schrieb, hier wurde MT6 wirtschaftlichen und politischen Interessen geopfert und damit ein Damm gebrochen: Danach schrien ja schon einige nach dem Abschuß der Goldenstedter Wölfin, die sich ein paar mehrheitlich ungeschützte(!) Schafe holte...

Das ganze hat einen sehr üblen Gestank: Den nach Lobbyismus und Politik!

Gruß
Wolf
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