Warum so auf das ZDF geschimpft wird? Vielleicht, weil es mit seiner Wolfsreportage von Ulli Rothaus seine eigenen Grundsätze missachtet hat:
Was ist der Auftrag des ZDF?
Der Auftrag des ZDF lautet: Mit einem Vollprogramm aus Information, Bildung und Unterhaltung den Fernsehteilnehmern in Deutschland einen
objektiven Überblick über das Weltgeschehen und insbesondere ein umfassendes Bild der deutschen
Wirklichkeit zu vermitteln.
Welchen Grundsätzen ist das ZDF verpflichtet?
Die Programme des ZDF sind den publizistischen, ethisch-moralischen und gesellschaftlichen Standards und rechtlichen Vorgaben der
Sachlichkeit,
Objektivität,
Ausgewogenheit,
Unabhängigkeit und
Fairness verpflichtet.
http://www.zdf.de/fragen-und-antworten- ... 82516.html
(Eigene Anm.: Besonders relevante Stellen von mir hervorgehoben)
"Ausgewogenheit" bedeutet in dieser Reportage: Man lässt zu Wort kommen:
- 7 wolfsablehnende Nutztierhalter
- 1 Paar mit Hund, welches nun Pfefferspay beim Gassigehen mit sich führt
- 1 Paar mit Hund, welches sich nach einem vermeintlichen Angriff auf den Hund einer Hetzkampagne durch Wolfsfreunde ausgesetzt sieht
versus
- 1 Paar, das Wölfe mag und selbst welche im Gehege hält.
Die "
Wirklichkeit" scheitert u. a. an der Feststellung des Autors, dass ausgerechnet Wölfe der Grund dafür seien, dass die Landschaft sich verändere, weil die Weiden ihretwegen leer blieben und die Nutztiere im Stall verschwänden. Von den wirklich relevanten Gründen wie Höfesterben, Massentierhaltung, Milchpreiskrise, Fleischpreisverfall, Landknappheit, Pachtpreisanstieg, Gewinnmaximierung, Vermaisung und Biogasanlagen-Boom hat Herr Rothaus wohl noch nichts mit bekommen. Für die Beteiligten in der Reportage ist klar: Der Wolf sei schuld am Verschwinden von Rohrdommel, Libellen, Fröschen und Faltern (Schäfer Kurt K.) und am Aussterben bedrohter Arten wie dem Kiebitz (ein anderer Schäfer), was den Autor unweigerlich zu der Frage führt: "
Der Wolf als heilige Kuh? Mit Vorrang vor anderen Arten?" Wäre dem Autor an der Darstellung der Wirklichkeit gelegen, hätte er die tatsächlichen Gründe für den Rückgang der Artenvielfalt nicht komplett ausgeblendet. Dem Wolf den Artenschwund anzulasten, wenn Vögel und Insekten in der zunehmend industriellen Agrarwirtschaft keine Nahrung, Brut- und Lebensräume mehr finden, entbehrt jeglichem Realitätsanspruch.
"
Objektivität" und "
Fairness" erzielt der Autor auch nicht gerade, in dem er der einen Interessengruppe eine ausführliche Bühne bietet, um über die andere Interessengruppe unwidersprochen und unhinterfragt herzuziehen. So skizziert der Autor die Wolfsfreunde als "
Balkonbiologen", die sich Schäfer Kurt K. breit grinsend als Berliner Weiße trinkend in der Hängematte in Berlin-Neukölln ausmalt.
Auch Mutterkuhhalterin "N." aus W. mit dem Basecap eines Jagdwaffenherstellers auf dem Kopf erklärt die Freude der Menschen am Wolf mit "
Unwissenheit" und "
Stadtbevölkerung" bzw. fehlender "
Berührungspunkte mit den Wölfen", was wiederum den Autor dazu veranlasst, die Fronten als "
Naturromantiker in der Stadt gegen Betroffene auf dem Land" festzustecken und dem wolfshaltenden Paar Vogelsang zu widersprechen, dass man einem indianischen Sprichwort zufolge nur fürchte, was man nicht kenne. Hier gelte nämlich offenbar das Gegenteil: "
Die Angst geht um in der Heide. Wer schlechte Erfahrungen mit dem Wolf gemacht hat, der hält lieber den Mund."
Und so sind Hetzkampagnen im Netz, wie sie die Familie mit dem vermeintlich von MT6 gebissenen Hund nach eigenen Angaben erlebt haben will, in der Reportage offensichtlich auch nur ein Phänomen der Wolfsbefürworter, denn die allgemeine Problematik der Hasskommentare in sozialen Medien zu beliebigen Themen geschweige denn die unrühmliche Rolle von Wolfsgegner-Gruppen auf diesem Gebiet bleibt wiederum komplett unerwähnt.
Leider bleibt auch die
Sachlichkeit in dieser Reportage auf der Strecke. Wolfsfreund Vogelsang wird gefragt, ob er es für möglich halte, dass "
der große Horror und die große Angst, dass der Wolf irgendwann einmal einen Menschen angreift", für möglich halte. Der antwortet, dass er das niemals zu 100% ausschließen würde. Der Autor hätte ebenso sinnvoll fragen können, ob der gute Mann es für möglich halte, dass irgendwann ein Meteorit auf der Erde einschlägt, ein Störfall in einem deutschen Atomkraftwerk auftritt, ein Kreuzfahrtschiff sinkt, oder ob in Kürze wieder eine Hüpfburg oder ein Trampolin bei einer Windböe in die Luft gehen und dabei Menschen verletzt werden. Kann Vogelsang das zu 100% ausschließen?
Das Thema wird später von Mutterkuhhalterin "N." aus W. vertieft. Die Reportage zeigt ihre Tochter, die Schaukel und die Sandkiste, während Frau N. sagt: "
Die Freiheit, die man hier sonst hatte, also wie ich es als Kind kannte, dass man sich hier frei bewegen konnte, mit dem Fahrrad fahren - also meine Tochter wird nie alleine Fahrrad fahren können oder alleine ausreiten können oder 'ne Bude bauen - das funktioniert nicht mehr."
Das Mädchen könne auch nicht mehr allein zu dem 150m entfernten Haus der Großeltern gehen...
Und der Zuschauer denkt sich: Moment, ein Mädchen auf dem Weg zur Großmutter und ein Wolf - richtig, das ist doch schon mal schiefgegangen, bei Grimm...
Leider gibt der Autor dem Zuschauer keine Antwort, warum Kinder in Sachsen, in Polen, in Rumänien usw. auch allein Fahrrad fahren, ausreiten oder die Großeltern besuchen können, ohne vom Wolf gefressen zu werden. Menschen, die sich mit wildlebenden Wölfen tatsächlich in der Praxis auskennen oder sie gar wissenschaftlich erforschen, existieren in der Reportage von Herrn Rothaus nicht. Niemand vom Wolfsbüro oder der bundesweiten Beratungsstelle zum Wolf, niemand von Senckenberg, Leibniz, LUPUS, kein Wotschikowsky, nicht mal die Wolfsbeauftragte der Landesjägerschaft Niedersachsen - niemand wird gehört.
Ebenso wenig die Veterinäre der Tierärztliche Hochschule in Hannover, die der vermeintlich vom Wolf gerissenen Kuh von Frau N. einen krankheitsbedingten Tod bescheinigt haben. Auch die anderen beiden Kühe seien laut Behördenangaben nicht vom Wolf gerissen worden. Für den Zuschauer wäre diese Experteneinschätzung durchaus interessant gewesen, aber der Autor beschränkt sich auf die bloße Sicht der Halterin und übernimmt ihre Darstellung sogar wörtlich, dass "
drei ihrer Mutterkühe auf dieser Wiese gerissen" worden seien. Erstaunlich. Versteht Herr Rothaus das als "
umfassendes Bild der Wirklichkeit"?
Schäfer B. begibt sich auf Einladung der Familie Vogelsang zum Wisentgehege Springe und damit laut Autor "
fast in die Höhle des Löwen", und setzt sich sogar mit ins Wolfsgehege. Während Herr Vogelsang betont, dass B.s Geruch von Herdenschutzhunden und Schafen "
für die Wölfe überhaupt kein Problem" sei, kommentiert der Autor: "
... für die Wölfe nicht..." Als eines der Tiere kurz Schäfer B. beschnuppert, schlussfolgert der Autor: "
Wolf ohne Zaun. Der eine gibt sich lammfromm, der andere riecht Beute." Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass der Autor immer wieder solche Botschaften im Zuschauer verankern möchte.
Last but not least wird natürlich noch der Mehraufwand der Nutztierhalter durch den Wolf dargestellt, allerdings nicht sehr realitätsnah, was die Zäune betrifft. Der Autor betont im Hinblick auf die Schäfer: "
Die Weide wechseln, das heißt auch jedes Mal einen Elektrozaun aufstellen". Das ist wohl richtig, aber auch ohne Wolf sinnvoll, wenn die Schafe an Ort und Stelle bleiben sollen. Frau N. erklärt, dass sie nun "
ungefähr einmal die Woche" das Gras unter dem E-Zaun freimähen müsse und zeigt dem Zuschauer eine Kostprobe ihres Tuns. Aber auch hier: Ein E-Zaun ohne "E" ist für Rinder (oder Pferde) nun einmal kein Hindernis und gewährt unabhängig vom Wolf keine Hütesicherheit.
Was dem unwissenden Zuschauer nicht weiter auffallen mag, bringt den praxiserfahrenen Weidetierhalter ins Grübeln: Wie schafft es die Dame beim wöchentlichen Mähen, dass Motorsense und Tragegurt aussehen wie frisch aus der Verpackung? Schon bei einmaligem Gebrauch sind Dreck und kleinste Grasschnipselchen weiträumig über Geräte und Körper (einschließlich in den Ohren) verteilt, und die Dame benötigt nicht einmal eine Schutzbrille. Das wirkte nicht wie aus der Praxis, sondern wie für die Kamera gestellt, einschließlich fabrikneuer (oder in liebevoller Feinarbeit blankgeputzter) Motorsense samt Tragegurt.
Und nachdem der Zuschauer eine halbe Stunde lang mit all den einseitigen Sichtweisen geradezu überschüttet worden ist, fragt der Autor: "
Fragen bleiben. Wieviel Wildnis wollen wir und was ist sie uns wert?" So also wird der Zuschauer auf den gewünschten Meinungskurs gebracht.
An seiner Stelle hätte ich noch hinzugefügt: Wenn Sie die Informationen alle nochmal nachlesen wollen, verweisen wir auf die Wolfsgegner-Gruppen im Netz.
