Gleichermaßen lässt die Geschichte an sich schon jede Menge Zweifel aufkommen:
1. Drei weiße Wölfe und ein schwarzer ODER drei hellgraue und ein dunkelgrauer?
Der mutmaßliche Wolf ist nicht allein. Wenige Meter entfernt sieht der Mann drei weitere Tiere, insgesamt sind es drei weiße und ein schwarzes.
MK Kreiszeitung, 28.11.2018: Mann bei Arbeiten am Waldrand offenbar von Wolf gebissen https://www.kreiszeitung.de/lokales/rot ... 66932.html
Update, 29. November, 16.45 Uhr:
Laut des niedersächsischen Umweltministeriums sollen drei der gesichteten Tiere grau und eines dunkler Farbe gewesen sein, gegenüber der Rotenburger Kreiszeitung hatte der Mann die Tiere als drei weiße und ein schwarzes beschrieben, sie dabei aber nicht als Wölfe bezeichnet.
MK Kreiszeitung, 29.11.2018: Mann bei Grünarbeiten an Friedhof offenbar von Wolf gebissen https://www.kreiszeitung.de/lokales/rot ... 66932.html
2. Wie realistisch ist der geschilderte Vorfall?
Der Mann kniete nach eigener Aussage an einem Zaun und arbeitete, als er mit seiner Hand nach hinten fasste. Er stellte den Angaben zufolge fest, dass seine Hand festgehalten wurde. Als er sich umblickte, will er gesehen haben, dass ein Wolf nach seiner Hand schnappte. Drei weitere Wölfe hätten mit etwas Abstand ebenfalls in der Nähe des Zauns gestanden. Er habe sich selbst befreien und die Tiere vertreiben können. [...]
Zeugen für den Vorfall gibt es nicht.
NDR, butenunbinnen, 29.11.2018: Mann verletzt - Bürgermeister geht von Wolfsbiss aus https://www.butenunbinnen.de/nachrichte ... g-100.html
Dass jemand kniet und dabei "blind" gezielt hinter sich am Boden nach einem Werkzeug tastet, ohne auch nur im Blickwinkel erfassen, wo in etwa es sich genau befindet, erscheint schon einmal außergewöhnlich.
Der Moment aber, wo der Wolf zugepackt haben soll, war dann lediglich durch die Feststellung geprägt, an der Hand "festgehalten" worden zu sein? Was dann den Mann erst dazu veranlasst haben soll, sich überhaupt danach umzublicken, wer oder was ihn da gerade "festhält?"
Müsste auf ein
unerwartet zupackendes Canidengebiss - egal ob Hund oder Wolf - nicht als allererstes ein deutliches
Schmerzsignal erfolgen, das ein reflexartiges Zurückziehen der Hand zur Folge hätte?
Wer schon einmal mit seinem Hund ausgelassen auf dem Fußboden herumgebalgt hat, weiß sehr genau, welchen
deutlichen Schmerzreiz ein Umpacken des Armes durch den Hund setzt, selbst wenn es kontrolliert, rein spielerisch und selbstverständlich ohne Hautperforation erfolgt. Das gilt umso mehr für eine Perforation der Haut, die eine ärztliche Behandlung erforderlich macht.
"Festhalten"
ohne Schmerz für den "Festgehaltenen" gibt's beim
Canidengebiss nicht.
Zudem erscheint es schwer vorstellbar, wie ein knieender Mensch, der mit nach vorn gerichtetem Blick quasi blind hinter sich greift und dabei ganz überraschend von einem großen Caniden gepackt wird, in dieser Position überhaupt noch das Gleichgewicht halten und sich dabei auch noch umschauen kann, während er am Arm gepackt ist? Wir haben's nachgestellt und sind trotzdem jedes Mal umgefallen, obwohl wir darauf vorbereitet waren, festgehalten zu werden.
Und beim Umblicken wurde aus dem "Festhalten" durch den Wolf dann ein "Schnappen"? Muss man sich aus einem "Schnappen" befreien?
Vielleicht ist ja einfach nur die Schilderung des Vorfalls etwas unbeholfen, aber plausibel klingt sie nicht.
Das erinnert doch sehr an den "
angeknabberten Jogger" in Gartow, der gleichermaßen irgendetwas von hinten an seiner Hand bemerkt haben wollte, sich dann umdrehte und feststellte, überraschenderweise von einem Wolf gebissen worden zu sein. Auch damals handelte es sich um eine geringfügige Verletzung an der Innenseite (!) des Daumens. Die typische Armhaltung beim Joggen mit angewinkelten Armen nahe am Körper und nach innen einwärts gedrehter Hände macht eine unbemerkte Verletzung der Innenseite des Daumens durch ein hinter einem laufenden Tier unmöglich - es sei denn, man ist ein Schlangenmensch und joggt mit den Armen auf dem Rücken mit dabei auswärts gedrehten Händen und nach unten zeigenden Daumen.
Bei manchen Schilderungen reicht es schon, die beschriebene "Szene" selbst mal nachzustellen, um die Unstimmigkeiten und Widersprüche festzustellen.
Was sich auch nicht erschließt, ist der Widerspruch zwischen dem angeblich "zerrissenen" Pullover (MK-Kreiszeitung), der auf DNA untersucht wurde und der äußerst geringfügigen Verletzung der Hand ("Unser Angestellter hat schon am Mittwoch wieder seine Arbeit aufgenommen. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“, BILD, 28.11.2018).
Wer schon einmal "Tauziehen" beispielsweise mit einem Handtuch mit seinem Hund gespielt hat, kann die geballte Kraft dessen "Vierrad-Antriebs" feststellen: Es ist gar nicht so einfach, dagegen zu halten, bis das Handtuch reißt.
Wenn jetzt ein Wolf überraschend von hinten ein derartiges "Zerrspiel" ausübt, dass der Stoff reißt, dürfte es den Mann nicht lange auf den Knien oder in der Hocke gehalten haben.
3. Wie zuverlässig sind DNA-Proben von Tierhaaren aus der Umgebung?
Der Wahrheitsgehalt der Geschichte soll nun also anhand eines "Abstrichs" der (zuvor bereits gereinigten und desinfizierten) Wunde, einer DNA-Beprobung von Haaren am "zerrissenen" Pullover, vom Hammer, mit dem der Betroffene dem Wolf auf die Pfote geschlagen haben will und von "Tierhaaren, die in der Umgebung gefunden" (NDR) worden sein sollen, festgemacht werden?
Ich habe selbst einen Langhaarhund, dessen Fellwechsel Ende November allerdings abgeschlossen ist. Wenn der sich draußen schüttelt, verteilen sich die einzelnen Haare zügig in alle Windrichtungen. Kann mir jemand erklären, wie man sich das vorstellen soll, dass in der Nähe des "Tatorts" in der freien Landschaft mehr als 24 Stunden später Haare gefunden werden? Wurde der Wolf auf dem Friedhof zuvor noch gebürstet, dass man zufällig noch ein paar umherfliegende Püschel sichern konnte?
4. Wird die politische Absicht Einfluss auf das Ergebnis haben?
Den Schilderungen des Betroffenen nach sei ein
weißer Wolf Verursacher der vermeintlichen Bissverletzung gewesen sein, begleitet von zwei weiteren
weißen Wölfen und einem
schwarzen. Demnach müsste die DNA
Polarwolf/Timberwolf ergeben oder
Hund.
Wenn trotz alledem Grauwolf herauskommen sollte, wirft das weitaus mehr Fragen auf als dass es Antworten liefern würde.
Wie Herr Lies heute im NDR verkündet hat, deckt sich seine Absicht erstaunlich exakt mit der des Landvolks in Niedersachsen:
Das niedersächsische Landvolk nimmt den Vorfall zum Anlass, nochmals den Abschuss der Wölfe zu fordern. Beispiele für den Verband sind Schweden oder Frankreich, wo Jäger eine Lizenz haben, Wölfe sehr begrenzt zu töten. "Das sind gute Beispiele, wie man in diesen Ländern mit dem Wolf umgeht. Dass man die Population nicht so rasant wachsen lässt, wie hier bei uns, und so auch der Wolf lernt, dass der Mensch eine Gefahr für ihn darstellt", sagt Jörn Ehlers vom Landvolk Niedersachsen.
NDR, butenunbinnen, 29.11.2018: Mann verletzt - Bürgermeister geht von Wolfsbiss aus https://www.butenunbinnen.de/nachrichte ... g-100.html
Man bemerke den neuen
Euphemismus für Wolfsjagd und das Abknallen von Wölfen:
"Langsameres Anwachsen der Population" - das ist noch mehr Volks-Verarsche als der abgetakelte Begriff Entnahme.
Dazu passt, dass die Expertise aus dem Wolfsbüro "die Kommunikation" an das Umweltministerium "abtreten" soll. Der Bereich Herdenschutz soll gar an die Landwirtschaftskammer fallen:
Umweltminister Olaf Lies (SPD) plant den Aufbau eines eigenen Wolfsreferats im Ministerium. Das Wolfsbüro am Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) soll unter anderem die Kommunikation zum Thema abtreten. Auch der bisher beim Wolfsbüro angesiedelte Herdenschutz soll ausgelagert werden – das Ministerium ist in Gesprächen mit der Landwirtschaftskammer in Oldenburg.
NOZ, 27.11.2018: Ministerium übernimmt Kommunikation - Minister Lies krempelt Niedersachsens Wolfsbüro um
https://www.noz.de/deutschland-welt/nie ... fsbuero-um
Vernunft, Rationalität und Wissenschaft als Grundlage der Wolfspolitik werden in Niedersachsen damit Lobbyismus, Populismus und Klientelpolitik weichen.
Vermutlich muss die SPD bundesweit wirklich erst unter die 5%-Hürde rutschen, bis auch ein Herr Lies begreift, dass man beim Fischen nach einer Klientel im niedrigen einstelligen Prozentbereich, das ohnehin lieber die CDU wählt, bis die Demographie diese Gruppe auf natürliche Weise versiegen lässt, keine politische Karriere befördert, sondern das politische Ende besiegelt. Aber für den Fall gibt's bestimmt noch lukrative Angebote in der Agrar-, Jagd- oder sonstiger Wirtschaft.
Lies' geplantes Geschenk an die Jägerschaft -
endlich Wölfe abknallen zu dürfen und das zweifelhafte Freizeitvergnügen auch noch dreist als
"Verlangsamung des Anwachsens der Population" zu beschönigen, hilft weder den Tierhaltern noch den Menschen, die irrationale Ängste vor dem Wolf haben - schließlich fanden die bisherigen tödlichen Wolfsattacken allesamt in bejagten Populationen statt.
Und auch wenn sie möglich wäre: Auch eine regulierte Jagd kann den Dauerzwist um den Wolf wohl nicht beenden. Das zeigen die Beispiele skandinavischer Staaten und auch anderer Länder, in denen die Beutegreifer getötet werden dürfen.
Der Spiegel, Julia Koch: Gefährliche Märchen, Print-Ausgabe 10/2018, 03.03.2018, Seite 105
Wäre schön, wenn sich Herr Lies statt um nutzlose Wolfsjagden mal langsam um die längst überfällige Umsetzung der Natura-2000-Naturschutzvereinbarung in Niedersachsen kümmern würde:
Europaweit ist Deutschland – und dort nur Niedersachsen – das einzige Land, das trotz großzügiger Fristverlängerung die Richtlinie bisher nicht vollständig umgesetzt hat. Bis Ende Dezember diesen Jahres müssen alle 385 vom Land gemeldeten Gebiete formal gesichert sein. [...]
„Es zeichnet sich ab, dass Niedersachsen die Frist nicht einhalten kann“, sagt eine Sprecherin von Landesumweltminister Olaf Lies (SPD). [...]
Das könnte das Land teuer zu stehen kommen. In einer Stellungnahme des Bundesumweltministeriums vom Juli zum Vertragsverletzungsverfahren heißt es: „Bei einer Verurteilung könnte eine pauschale Strafzahlung von mindestens 11,83 Millionen Euro sowie ein Zwangsgeld von bis zu 861.000 Euro pro Tag bis zur Beendigung des Verstoßes verhängt werden.
Schaumburger Nachrichten, 14.11.2018: Niedersachsen drohen hohe Strafen http://www.sn-online.de/Nachrichten/Der ... he-Strafen