Jetzt wird es spannend:
GzSdW stellt Eilantrag gegen Abschussverfügung in Bayern
Wegen der gestern 17.01.2022 verfügten Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs.7 S.1 Nr. 4 BNatSchG für die Entnahme des Wolfes GW 2425m hat die GzSdW einen Eilantrag gestellt und reicht Klage ein.
Der Wolf, dessen Tötung durch eine Allgemeinverfügung zugelassen wird, ist seit dem 20.12.2021 nicht mehr gesichtet worden und es wurden ihm auch keine weiteren Schadensereignisse oder Annäherungen an Siedlungen zugeordnet. Damit ist der Prognose, dass eine Gefährdung von Menschen durch diesen Wolf wahrscheinlich ist, die tatsächliche Grundlage entzogen. [...]
Gesellschaft zum Schutz der Wölfe, 18.01.2022: GzSdW stellt Eilantrag gegen Abschussverfügung in Bayern https://www.gzsdw.de/GzSdW_stellt_Eilan ... _in_Bayern
In Erinnerung an das Tapiola-Urteil und das Urteil zum Schutz von Wölfen auch in Siedlungsgebieten durch den EuGH dürfte die Begründung interessant sein, aus der die Regierung von Oberbayern eine Gefährdungslage für den Menschen ableitet. Das Durchstreifen von Siedlungen allein rechtfertigt keine Ausnahme vom Schutzstatus, da zum natürlichen Verbreitungsgebiet der Wölfe auch die Siedlungsbereiche zählen können:
Der in der Habitatrichtlinie vorgesehene strenge Schutz bestimmter geschützter Tierarten erstreckt sich auch auf Exemplare, die ihren natürlichen Lebensraum verlassen und in menschlichen Siedlungsgebieten auftauchen
[...]
Dabei hat der Gerichtshof bestätigt, dass dieses strenge Schutzsystem für die in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie genannten Arten, darunter den Wolf, auch für Exemplare gilt, die ihren natürlichen Lebensraum verlassen und in menschlichen Siedlungsgebieten auftauchen. [...]
Daraus folgt, dass der durch Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie gewährte Schutz keine Abgrenzungen oder Grenzen kennt, so dass ein wildlebendes Exemplar einer geschützten Tierart, das sich in der Nähe oder innerhalb von menschlichen Siedlungsgebieten befindet, das solche Gebiete durchquert oder sich von Ressourcen ernährt, die der Mensch erzeugt, nicht als ein Tier angesehen werden kann, das sein „natürliches Verbreitungsgebiet“ verlassen hat. [...]
Es geht nämlich darum, die betreffenden Arten nicht nur an bestimmten Orten zu schützen, die restriktiv definiert werden, sondern auch ihnen angehörende Exemplare zu schützen, die in der Natur bzw. in freier Wildbahn leben und damit eine Funktion in natürlichen Ökosystemen erfüllen. Insoweit hat der Gerichtshof zudem betont, dass Wölfe in zahlreichen Regionen der Union – wie auch im vorliegenden Fall – in vom Menschen beanspruchten Gebieten leben und die Anthropisierung dieser Räume auch zu einer teilweisen Anpassung der Wölfe an diese neuen Bedingungen geführt hat. Außerdem tragen die Entwicklung der Infrastrukturen, die illegale Waldbewirtschaftung, die landwirtschaftlichen Betriebe und bestimmte industrielle Tätigkeiten dazu bei, auf die Wolfspopulation und ihren Lebensraum Druck auszuüben. Daher ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verpflichtung, die geschützten Tierarten streng zu schützen, für das gesamte „natürliche Verbreitungsgebiet“ dieser Arten gilt, unabhängig davon, ob sie sich in ihrem gewöhnlichen Lebensraum, in Schutzgebieten oder aber in der Nähe menschlicher Niederlassungen befinden.
Gerichtshof der Europäischen Union, PRESSEMITTEILUNG Nr. 72/20, Luxemburg, den 11. Juni 2020 Urteil in der Rechtssache C-88/19: Der in der Habitatrichtlinie vorgesehene strenge Schutz bestimmter geschützter Tierarten erstreckt sich auch auf Exemplare, die ihren natürlichen Lebensraum verlassen und in menschlichen Siedlungsgebieten auftauchen https://curia.europa.eu/jcms/upload/doc ... 0072de.pdf
Zwar könnten die Mitgliedsstaaten gesetzliche Regelungen schaffen, die "Maßnahmen zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen oder in der Tierhaltung oder Maßnahmen im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art", beinhalten.
Wie das Tapiola-Urteil jedoch zeigt, können diese Maßnahmen nicht einfach willkürlich nach eigenem Gutdünken festgelegt werden.
Zweitens darf eine Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nicht genehmigt werden, wenn das mit dieser Ausnahme verfolgte Ziel durch eine anderweitige zufriedenstellende Lösung im Sinne dieser Vorschrift erreicht werden kann. Eine solche Ausnahme ist somit nur zulässig, wenn es an einer anderweitigen Maßnahme fehlt, mit der das verfolgte Ziel in zufriedenstellender Weise erreicht werden kann und die in der Richtlinie vorgesehenen Verbote beachtet werden.
EuGH, Urteil vom 10.10.2019, C-674/17, Rn. 47 https://curia.europa.eu/juris/document/ ... id=2165691
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das bloße Bestehen einer illegalen Aktivität wie der Wilderei oder die Schwierigkeiten, denen bei der Umsetzung der Kontrolle dieser Aktivität begegnet wird, nicht genügen können , um einen Mitgliedstaat von seiner Pflicht zu entbinden, den Schutz der gemäß Anhang IV der Habitatrichtlinie geschützten Arten zu gewährleisten.
EuGH, Urteil vom 10.10.2019, C-674/17, Rn. 48 https://curia.europa.eu/juris/document/ ... id=2165691
Übertragen könnte man ebenso anführen, dass das bloße Durchstreifen von Siedlungsgebieten durch Wölfe und selbst ihre dortige Ernährung mit "Ressourcen, die der Mensch erzeugt" (siehe oben) für sich allein noch keinen Ausnahmetatbestand für eine Tötung rechtfertigen. Mit "Nö", reinen Mutmaßungen, Wölfen suchten "offenbar" den Siedlungsbereich aktiv auf, "vergrämen bringt nix", "Herdenschutz bringt nix" usw. dürfte den strengen Kriterien kaum Genüge getan sein. Der EuGH verlangt dafür:
Außerdem verpflichtet Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie die Mitgliedstaaten, eine genaue und angemessene Begründung für die Annahme darzutun, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt, um die Ziele zu erreichen, auf die die fragliche Ausnahmeregelung gestützt wird.
EuGH, Urteil vom 10.10.2019, C-674/17, Rn. 49 https://curia.europa.eu/juris/document/ ... id=2165691
Diese Begründungspflicht ist nicht erfüllt, wenn die Entscheidung über eine Ausnahme weder Angaben zum Fehlen einer anderen zufriedenstellenden Lösung enthält noch auf die in diesem Zusammenhang relevanten technischen, rechtlichen und wissenschaftlichen Berichte verweist.
EuGH, Urteil vom 10.10.2019, C-674/17, Rn. 50 https://curia.europa.eu/juris/document/ ... id=2165691
Nach alledem obliegt es den zuständigen nationalen Behörden, im Zusammenhang mit der Genehmigung von Ausnahmen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nachzuweisen, dass es insbesondere unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie der Umstände des konkreten Falls keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt , um das verfolgte Ziel unter Beachtung der in der Habitatrichtlinie niedergelegten Verbote zu erreichen.
EuGH, Urteil vom 10.10.2019, C-674/17, Rn. 51 https://curia.europa.eu/juris/document/ ... id=2165691
Ein Urteil könnte also dem zunehmendem Trend konservativer und sozialdemokratischer Politiker entgegenwirken, eine Ausnahmegenehmigung allein auf der Basis zu erteilen, "Wolf hat überwiegend unzureichend geschützte Weidetiere gerissen", "zwei Fohlen sind zum Selbstschutz befähigt", "20 Jäger wollen einen Wolf gesehen haben = macht 20 Wölfe" oder aufgrund des neuen Klassikers: "Mutter mit Angst vor dem Wolf hat Umweltminister einen Brief geschrieben".