Justitia ist nicht blind und Richter sind auch nur Menschen. Ziemlich überlastete obendrein:
Justiz und Ermittlungsbehörden haben ein Problem: Zu viele Strafverfahren, zu wenig Mitarbeiter, zu viele Überstunden. [...]
Diese Überlastung hat Folgen. 50 Verdächtige mussten 2017 in Deutschland aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die Gerichte nicht schnell genug arbeiten. [...]
Die durchschnittliche Verfahrensdauer an den Landgerichten steigt seit Jahren.
MDR, 30.04.2019: So überlastet sind deutsche Gerichte
https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ ... ea056.html
Ist natürlich ungünstig, wenn schwerer Kriminelle einer Strafe z. B. wegen Körperverletzung entgehen können, weil sich die Gerichte damit auseinandersetzen müssen, dass z. B. ein Schweinezüchter und -mäster¹ sich durch den Begriff "Schweinepriester" derart in strafrechtlich relevanter Weise beleidigt fühlt, dass hierfür gleich Ermittlungsbehörden und Gerichte bemüht werden müssen.
Ich kann mich an einen ähnlichen Fall erinnern, bei dem ein Lokalreporter des Nordkurier einen Jäger, der ein totes Reh schleifend an seiner Anhängerkupplung festgebunden und so im öffentlichen Verkehrsraum "transportiert" hat, in der Überschrift eines Artikels als "Rabauken-Jäger" betitelte. Diese umgangssprachliche Bezeichnung, die laut Duden ihre Synonyme z. B. in "Rüpel" oder "Grobian" findet, hat es auf die empörte Anzeige durch den Jäger wegen "Beleidigung" tatsächlich durch sämtliche Instanzen geschafft, in denen der Reporter anfangs zu einer Geldstrafe von 1.000 € verurteilt und letztinstanzlich vom Oberlandesgericht Rostock freigesprochen wurde.
Vgl.
HAZ, 09.09.2016: "Rabauken-Jäger" ist keine Beleidigung https://www.haz.de/Nachrichten/Medien-T ... eleidigung
Im aktuellen Fall werden die Gerichte wohl auch weiter beschäftigt, da ein Verweis in der "Harke" auf einen Bezahlartikel vom 03.10.2019 mit der Überschrift "Wolfsfreund legt Berufung ein" nahelegt, dass hier noch nicht das letzte Urteil gesprochen wurde.
Mir erscheint es eher, als werden hier die ohnehin überlasteten Gerichte genutzt, um die politische und persönliche Wolfs-Diskussion, bei der die Fronten festgefahren und verhärtet sind, in eine Richtung zu Gunsten der eigenen Befindlichkeiten zu geben, notfalls auch im juristischen Klein-Klein durch die Instanzen. Bei der Vielzahl und der stetig steigenden Zunahme der Beiträge im Netz kommt unser Staat da aber schnell an seine Grenzen.
Ich sehe bei den obengenannten Fällen allerdings einen deutlichen Unterschied in Qualität, Quantität und Relevanz zu den Beleidigungen gegen Renate Künast:
Als "Drecks Fotze" hatte ein User die Grünen-Politikerin Renate Künast im März auf Facebook bezeichnet. Nach einem Beschluss des Berliner Landgerichts vom 9. September muss Künast diese und andere auf Facebook getätigte ähnliche Zuschreibungen wie "Stück Scheisse", "Krank im Kopf", "altes grünes Drecksschwein", "Geisteskrank", "kranke Frau", "Schlampe", "Gehirn Amputiert"", "Sondermüll", "Alte perverse Dreckssau" unter bestimmten Umständen hinnehmen.
Spiegel, 19.09.2019: "Altes grünes Drecksschwein": Gericht hält Pöbeleien gegen Künast für zulässig https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... 87592.html
Aber die Einschätzung mit dem deutlichen Unterschied ist nur meine Meinung - solange ich sie noch im Rahmen der Meinungsfreiheit äußern kann. Wenn das so weiter geht, diskutiert man umstrittene Themen demnächst nicht mehr in den sozialen Medien, sondern ausschließlich vor Gericht. Oder wir errichten ein System wie in China, wo man für jeden Kommentar gute oder böse Punkte sammeln kann, je nachdem, wie systemkonform man argumentiert.
¹
Heimische Landwirtschaft: Landwirtschaftsbetrieb Tobias Göckeritz, Zitat: "Wir züchten und mästen Sauen, Ferkel und Mastschweine." https://www.heimischelandwirtschaft.de/ ... goeckeritz