Gerissenes Kalb in Südbayern

Über freilebende Wölfe in Deutschland.
Antworten
Benutzeravatar
steppenwölfin
Beiträge: 3
Registriert: 10. Nov 2011, 23:26

Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von steppenwölfin »

Ich bin neu hier im Forum und habe mich angemeldet, weil ich mich für das Thema "Wölfe in Deutschland" aus aktuellem Anlass interessiere. Als Tierärztin musste ich letzte Woche ein Kalb begutachten, dass auf einer Weide am Fuße eines Berges, knapp unterhalb des Waldes, gerissen wurde. Es wurde am 31.10 auf der Weide von einer Kalbin (Fährse) geboren und von Spaziergängern noch beobachtet, wie es quicklebendig neben seiner Mutter her lief.
Am nächsten Tag fand der Landwirt nur noch das, was vom Kalb übrig war, und so bekam ich es zu sehen: es handelte sich vermutlich um ein Stierkalb, jedenfalls ein sehr kräftiges Kalb, geschätzt mind. 40 kg Geburtsgewicht. Die Bauchdecke war total aufgebrochen, eigentlich nicht mehr vorhanden, das Kalb war völlig ausgeweidet, eine Vordergliedmaße fehlte ab Schulterblatt, die Hintergliedmaßen waren teils stark zerfleischt. Es bestand nur noch aus Kopf, Hals (ohne Kehle), Rücken und drei Gliedmaßen. Es sah aus, als wäre es von einem Profi-Beutegreifer zerlegt worden, und, nebenbei bemerkt, in seiner immer noch stattlichen Größe noch mindestens 20 m über die Wiese geschleift worden in der Zeitspanne, die verging, bis der Landwirt nach der grausigen Entdeckung wenige Stunden später mit einem Anhänger kam, um den Kadaver abzutransportieren.
Ein Fuchs kommt meines Erachtens überhaupt nicht in Betracht. Der packt allenfalls ein Rehkitz oder Lamm, was beides gerade mal ein Viertel von so einem Kalb auf die Waage bringt.
Wildernde Hunde kommen angeblich in der Gegend vor, der Jäger weiß von ihnen und unternimmt, wie mir scheint, nichts gegen sie, was ich sehr merkwürdig finde. Außerdem fressen Hunde keine oder kaum Eingeweide, und in diesem Fall haben die Eingeweide komplett gefehlt. Selbst Heerscharen von Mardern, Füchsen und Krähen schaffen es kaum in so kurzer Zeit, quasi übernacht, so ein großes Kalb, wenn es schon tot ist, komplett leer zu fressen. Und selbst wenn, bliebe noch die Frage, wer es umgebracht hat. Die große Fleischwunde am Hinterlauf, dicht über dem Sprunggelenk wäre eine typische Verletzung, wie Wölfe sie setzen bei dem Versuch, das Tier zu Fall zu bringen.
Nun, so wie es aussieht verläuft die Sache im Sand. Der Jäger wiegelt ab und faselt von Füchsen, Luchsen und streunenden Hunden, obwohl in den letzten Monaten auch vermehrt Rehe in seinem Revier gerissen wurden.
Ich vermute, der Jäger sagt nicht, was er wirklich denkt, weil er keinen Aufruhr möchte. Stattdessen hofft er vielleicht darauf, den Wolf klammheimlich abzuschiessen. Das sind alles nur Vermutungen meinerseits, ich hab den Jäger nicht persönlich gesprochen und kenne seine Äußerungen nur aus zweiter Hand,durch den Landwirt, den ich heute nochmal befragt habe.
Doch der Anblick des Kalbes war sehr beeindruckend und ich werde den Verdacht nicht los, dass hier ein "großer Beutegreifer" am Werk war.
Hat jemand ähnliche Beobachtungen gemacht, evtl. sogar in Oberbayern?
balin
Beiträge: 1314
Registriert: 10. Okt 2010, 06:53

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von balin »

Die Konstellation Kalb - Hunde kenne ich. So wie ich es in den vielen Jahren mitbekommen habe, öffnen Hunde ihre "Beute"
von hinten oder vom Kopf her, eben von den Körperöffnungen her. Daß die Bauchdecke aufgebrochen war, habe ich nur einmal erlebt, als mit Sicherheit keine Hunde anwesend waren. Das rechne ich dem Fuchs an, der ja immer geht, wenn ich mit den Hunden komme.
Im schneereichen Winter 2006 war ich fast jeden Tag mit den Skiern unterwegs. Da konnte ich beobachten, wie ein gefallenes Reh innerhalb eines Tages bis auf ein paar Fellreste in irgendwelchen Mägen verschwunden war. Das sind ungefähr die Dimensionen eines Kalbes. Über das würde ich mich also nicht wundern.
Und zu den Wunden - wie unterscheidet man denn das, ob es vor oder nach dem Tod war? Als Arzt muß man sich ja da bestimmt
irgendwann in seiner Laufbahn Gedanken drüber machen. Die Situation kann uns Tierhaltern auch mal begegnen.
Und Hunde fressen auch Eingeweide, es sei denn, sie hätten schon vorher einen Sack Hundefutter intus. Das würde ich nicht sagen, wenn ich es nicht schon gesehen hätte. ;-)
Benutzeravatar
SammysHP
Administrator
Beiträge: 3704
Registriert: 4. Okt 2010, 18:47
Wohnort: Celle
Kontaktdaten:

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von SammysHP »

Hunde und anschließend andere Aasfresser ausschließen sollte man bei der geschilderten Situation nicht. Obdas Kalb eventuell bereits tot war, kann man ja jetzt auch nicht sagen.

Der Fall sollte der zuständigen Naturschutzbehörde gemeldet werden, damit dort ggf. gehäufte Fälle bemerkt werden. Je nach Zustand des Kalbs kann vielleicht auch ein erfahrener Gutachter aus einem Wolfsgebiet hinzugezogen werden.
LarsD

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von LarsD »

Wenn so ein Kadaver eine Nacht lang in der Landschaft liegt, bedient sich eine Vielzahl von Tieren daran. Deshalb ist es nicht verwunderlich, was Du da beschreibst. Zur Klärung, ob eventuell ein Wolf an der Aktion beteiligt war, sollten Fachleute vor Ort. Dafür scheint es aber zu spät zu sein. Einen ganz guten Überblick zur Abgrenzung findest Du hier: http://www.wolfsregion-lausitz.de/biolo ... /gangarten

Noch kurz zum Jäger. Warum nicht erst den Kontakt zu dem Jäger suchen und mit ihm reden, statt hier in einem öffentlichen Forum wilde Theorien über die Denke des Mannes zu postulieren? Diese Tour ist mehr als unfair! Warum sollte er einen möglicherweise im Revier lebenden Wolf über den Haufen schießen wollen, wenn er Deiner Ansicht nach schon gegen wildernde Hunde nichts unternimmt? Die dürfte er schließlich schießen. Dass er es dennoch nicht tut, passt zwar nicht in das Weltbild eingegfleischter Jagdgegner, entspricht aber der Vorgehensweise der meisten Jäger. Ich drücke Dir jedenfalls die Daumen, dass Deine Äußerungen hier nicht über Umwege in die Gegend gelangen, in der Du tätig bist.

Viele Grüße

Lars

Edit: @ Balin: Ein Reh mit einem Kalb von 40 kg Lebendgewicht zu vergleichen, geht an den Realitäten etwas vorbei. Rechne bei einem gesunden Reh mal mit durchschnittlich 20 kg. Im Winter verendete Rehe sind eher ein gutes Stück leichter.
balin
Beiträge: 1314
Registriert: 10. Okt 2010, 06:53

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von balin »

Von dem Kalb war ja auch noch das schwerste übrig, von dem Reh aber so gut wie nichts. Knochen vertilgen braucht auch Zeit.
Insofern liege ich nicht unbedingt falsch. Ein Fuchs alleine schafft weder das eine noch das andere im angegebenen Zeitraum.
Gemerkt habe ich mir das damals, weil ich immer zwei Hunde dabei hatte. Ich hätte vermutet, daß das Reh noch so liegt oder
daß es jemand weggeräumt hätte. Es waren aber irgendwelche wilden Kerle, denen ich es nicht zugetraut hätte.
Grauer Wolf

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von Grauer Wolf »

steppenwölfin hat geschrieben:Die Bauchdecke war total aufgebrochen, eigentlich nicht mehr vorhanden, das Kalb war völlig ausgeweidet, eine Vordergliedmaße fehlte ab Schulterblatt, die Hintergliedmaßen waren teils stark zerfleischt. Es bestand nur noch aus Kopf, Hals (ohne Kehle), Rücken und drei Gliedmaßen.
Mit Ferndiagnosen ist das ja immer so eine Sache. Aber diese Passage macht mich stutzig. Wölfe pflegen den Pansen rauszureißen und beiseitezuwerfen und fressen ihn nicht. Das kenne ich nur von Hunden. Leber, Milz und dergleichen stehen hoch im Kurs, dto. fettes Fleisch mit hohem Energiegehalt. Lunge (energiearme Diätkost) und Gedärm rangieren eher am Schluß...
Interessant wäre auch die genaue, gefressene Menge und die Todeursache. Aber aussagekräftige Spuren dürften ja nach den Aasfressern (das spricht sich via Rabenvögel blitzschnell rund!) und dem Abtransport kaum noch vorhanden sein...
Was den Jäger angeht, so würde ich mich erst mal zurückhalten. Ich bin bekanntlich nun wirklich kein Freund der "Lodenzunft", aber ich denke doch, daß ein Jäger, der streunenden Hunden tolerant gegenübersteht, nicht auf Wölfe schießt. Ein unbefangenes Gespräch resp. Meinungsaustausch wäre hier sinnvoller!
Daß Hunde keine Eingeweide fressen, stimmt nicht. Im Gegensatz zu Wölfen steht da auch z.B. "grüner Pansen" hoch im Kurs.
Die 20 m Schleifspur besagen im Prinzip auch erst mal nichts. Natürlich würden ein Wolf das schaffen, aber eben auch ein kräftiger Hund, ein Luchs (Beutespektrum bis Gemse, Gewicht paßt also. Allerdings sind 40 kg neugeborenes Kalb erheblich einfacher als 40 kg durchtrainierte Gemese) oder (hier unwahrscheinlich) ein Bär... Fuchs, Dachs und andere Marder scheiden aufgrund der Körpergröße/Lebensgewohnheiten aus, die treten nur als sekundäre Nutznießer auf...
Langer Rede kurzer Sinn: M.E. ist hier eine solide, auf harten Fakten basierende Spurenaufnahme nicht mehr drin und alles mehr oder weniger ein Fischen im Trüben. Einfach mal die Augen aufhalten und schauen, was weiterhin passiert...
Und vor allen Dingen totes Hausvieh erst dann beiseiteschaffen, wenn's ein Experte begutachtet und Spuren (also net um das tote Tier rumtrampeln wie 'ne Horde Elefanten, bis alles platt ist) gesichert hat. Ist ja auch nicht uninteressant wegen allfälliger Entschädigung...
Bin mal gespannt, ob noch was rauskommt, aber ich glaube nicht dran...
Benutzeravatar
steppenwölfin
Beiträge: 3
Registriert: 10. Nov 2011, 23:26

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von steppenwölfin »

Hallo Grauer Wolf,

nur noch eine kleine Anmerkung zu deiner Antwort:
Du schreibst:" Aber diese Passage macht mich stutzig. Wölfe pflegen den Pansen rauszureißen und beiseitezuwerfen und fressen ihn nicht."

Ein Kalb hat zunächst keinen Pansen, nur eine ganz kleine, zarte "Anlage" von dem , was später, ab dem Zeitpunkt der Rauhfutteraufnahme, sich zum Pansen entwickelt. Die Milch wandert ohne Umwege in den Labmagen, und der ist samt Inhalt sicher eine Delikatesse für jeden Räuber.

Was du über die Begutachtug durch Experten schreibst ist richtig, jedoch: er wird nur dann gerufen, wenn ein Interesse besteht an einem fundierten Gutachten.
Solange die Schäden nicht überhand nehmen, wird jeder Landwirt größeren Rummel vermeiden und die Sache lieber im Sande verlaufen lassen, solange er seine Entschädigung bekommt.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Landwirt in Gebieten, in denen Wölfe evtl. vorkommen, ein Interesse am Schutz des Wolfes hat. Ebenso wie kein Fischer Verständnis für den Schutz des Kormorans hat.
So betrachtet kann es dem betroffenen Landwirt nur recht sein, wenn die Jäger das Wolfsproblem auf ihre Weise stillschweigend lösen, denn auch für die Jäger ist der Wolf ein Konkurrent, wenn er Rehe und Hirsche reißt. Mag sein, dass das in anderen Gegenden Deutschlands nicht so gesehen wird, aber hier in Oberbayern ist die Mentalität eine ganz spezielle, wie schon an anderer Stelle bemerkt wurde. ("Oberbayern bereitet sich auf den Wolf vor...")

Gruß,
Steppenwölfin
Grauer Wolf

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von Grauer Wolf »

steppenwölfin hat geschrieben:nur noch eine kleine Anmerkung zu deiner Antwort:
Du schreibst:" Aber diese Passage macht mich stutzig. Wölfe pflegen den Pansen rauszureißen und beiseitezuwerfen und fressen ihn nicht."

Ein Kalb hat zunächst keinen Pansen, nur eine ganz kleine, zarte "Anlage" von dem , was später, ab dem Zeitpunkt der Rauhfutteraufnahme, sich zum Pansen entwickelt. Die Milch wandert ohne Umwege in den Labmagen, und der ist samt Inhalt sicher eine Delikatesse für jeden Räuber.
O.k., ich bin kein Experte für Rindviecher. Was ich zerlege und verfüttere, ist ausgewachsen... ;)
steppenwölfin hat geschrieben:So betrachtet kann es dem betroffenen Landwirt nur recht sein, wenn die Jäger das Wolfsproblem auf ihre Weise stillschweigend lösen, denn auch für die Jäger ist der Wolf ein Konkurrent, wenn er Rehe und Hirsche reißt. Mag sein, dass das in anderen Gegenden Deutschlands nicht so gesehen wird, aber hier in Oberbayern ist die Mentalität eine ganz spezielle, wie schon an anderer Stelle bemerkt wurde. ("Oberbayern bereitet sich auf den Wolf vor...")
Das ist und bleibt eine justiziable Tat und entsprechende Leute gehören mit aller Härte des Gesetzes verfolgt und verurteilt, ohne wenn und aber, ohne Ansehen der Person (z.B. örtliche Honoratioren). Der Wolf ist nicht nur kein jagdbares Tier, sondern auch streng nach nationalem und internationalem Recht geschützt und für Jäger absolut tabu. Je eher diese Herrschaften das kapieren, desto besser! Ein Wolf dürfte theoretisch nicht einmal gestört und vertrieben werden...
Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ein illegaler Abschuß wird mit Glacée-Handschuhen behandelt, aber wenn man als Photograph eine streng geschützte Tierart gezielt fotografieren will, braucht man eine kostenpflichtige Genehmigung, die sich bei mir mal fast ein Jahr hinzögerte... :x
Jäger45
Beiträge: 3
Registriert: 28. Jan 2012, 01:03

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von Jäger45 »

Sieht meines Erachtens nicht nach einem Problemwolf aus. Wildernde Hunde schon eher. Weiß auch gar nicht ob Wölfe so gerne Rinder fressen.
aka

Re: Gerissenes Kalb in Südbayern

Beitrag von aka »

Die richtige Antwort müsste lauten: Keine Ahnung.
Auf der Welle der Wolfshysterie kommt jede so oder anders krepierte Kreatur aufs Konto der Raubtiere oder bietet zumindest
Gelegenheit Jagdphobie auszuleben. Auch schön.
Antworten