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Verhaltensauffällig?

Verfasst: 31. Okt 2011, 19:12
von C.J.W. Handendoek
Gestern hat mich ein Erlebnis zum Grübeln gebracht.

Auf Zingst, ganz im Osten, wo der Radweg an einem Balken mit Uhu-Schild endet, tippelte jenseits des Balkens ein Füchslein umher. Fünf Meter vor mir. Ohne Eile. Nase mal hierhin, mal dahin. Dabei war ich nicht allein, etwa zwanzig Leute waren vor Ort. Dieser Fuchs kennt offenbar keine Fuchsjagd und die Leute, die dorthin geradelt kommen, sind in der Regel gut Freund. Warum also in Panik geraten? Zu Hause im Fuchsjagd-Gebiet (wir wissen: 20 Euro pro Paar Fuchsohren, egal, ob vom toten oder lebendigen Fuchs), zeigen die Füchse natürlich ein ganz anderes Verhalten. Zeigt sich so ein besch... Zweibeiner, gilt es, unauffällig das Weite zu suchen.

Wie ist das nun beim Wolf?

Wir lernen: Der Wolf ist scheu und meidet den Menschen. Tut er dies nicht, ist er verhaltensauffällig und ein "Problemwolf".

Wer hat dies eigentlich auf welcher Grundlage definiert? Ist es nicht eher so, dass der Wolf aufgrund der üblen Bejagung scheu ist? Woher wissen wir eigentlich, wie sich der Wolf gegenüber dem Menschen verhalten hat, bevor der anfing, ihn bei jeder Gelegenheit und mit jedem Mittel nachzustellen. Wäre es nicht völlig normal, wenn ein Wolf, der vom Menschen in Ruhe gelassen wird, seine Scheu ablegt? Sind wir hier nicht bereits guten Glaubens Opfer einer Propaganda geworden, deren Schöpfer darauf warten, dass sich das Verhältnis des Wolfs zum Menschen normalisiert, nur um ihn dann wieder ordnungsgemäß "scheu schießen" zu dürfen?

Ich habe schon alle möglichen "scheuen" Tiere und nun ein "scheues" Füchslein erlebt, die überhaupt nicht scheu waren, weil sie in Ruhe gelassen wurden. Mein Waldkauz sitzt auch nur sieben Meter neben meinem Küchenfenster und schaut beim Kochen zu. Warum sollte das beim Wolf eigentlich anders sein?

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 31. Okt 2011, 20:13
von Grauer Wolf
Ähnliche Erlebnisse mit Füchsen hatte ich auch mehr als einmal, inkl. 'ner Stunde neben einer spielenden Fuchsfamilie im Gras sitzen... :pleased: Solche Erlebnisse sind unbezahlbar und zeigen, wie es sein könnte und sollte...
C.J.W. Handendoek hat geschrieben:Wie ist das nun beim Wolf?

Wir lernen: Der Wolf ist scheu und meidet den Menschen. Tut er dies nicht, ist er verhaltensauffällig und ein "Problemwolf".

Wer hat dies eigentlich auf welcher Grundlage definiert? Ist es nicht eher so, dass der Wolf aufgrund der üblen Bejagung scheu ist?
Natürlich ist das so. Seit sich die Zivilisation breit macht, wurde und wird der Wolf verfolgt. Scheu ist letztlich dann nichts anders, als das Ergbis eines Selektionsprozesses...
C.J.W. Handendoek hat geschrieben:Woher wissen wir eigentlich, wie sich der Wolf gegenüber dem Menschen verhalten hat, bevor der anfing, ihn bei jeder Gelegenheit und mit jedem Mittel nachzustellen. Wäre es nicht völlig normal, wenn ein Wolf, der vom Menschen in Ruhe gelassen wird, seine Scheu ablegt? Sind wir hier nicht bereits guten Glaubens Opfer einer Propaganda geworden, deren Schöpfer darauf warten, dass sich das Verhältnis des Wolfs zum Menschen normalisiert, nur um ihn dann wieder ordnungsgemäß "scheu schießen" zu dürfen?

Ich habe schon alle möglichen "scheuen" Tiere und nun ein "scheues" Füchslein erlebt, die überhaupt nicht scheu waren, weil sie in Ruhe gelassen wurden. Mein Waldkauz sitzt auch nur sieben Meter neben meinem Küchenfenster und schaut beim Kochen zu. Warum sollte das beim Wolf eigentlich anders sein?
Die (meisten) Menschen, beeinflußt durch gesellschafltiche und religiöse Traditionen, Schauermärchen, Fehlinterpretationen und nicht zuletzt durch die Politik werden nicht wollen, daß es beim Wolf so ist, wenige ausgenommen, die mentalitätsmäßig tief in der Natur verankert sind. Unkontrollierte Natur macht den Menschen Angst. Sie entzieht sich seinen Erfahrungen, seiner Kontrolle, er hält sie für unberechenbar, weil er sie nicht versteht. Himmel, der heutige Durchschnittsbürger ist von der Natur so weit entfernt, daß er in Regionen wie dem Hohen Norden oder den Wäldern Kanadas keine 3 Tage überleben würde, der sogar im heimischen Wald durch einen Schneesturm in Gefahr gerät. Er hat sich von der Natur emanzipiert, glaubt, ohne sie auskommen zu können...
Die "Verhaltensauffälligkeit", die Du zitierst, wird willkürlich definiert, nur und ausschließlich gemessen am Nutzen des Menschen und seiner Interessen, nicht etwa am Verhalten eines gesunden Tieres irgendwo in der Wildnis. Oft genug wird sie geradezu provoziert: Sei es das Schöps, das hinterm Haus nachts angepflockt wird, sei es das Anfüttern von Wölfen (in den USA z.B.: Touris in Nationalparks!) um mit 'ner Kompaktknipse zu "Meisterfotos" zu kommen, sei es, daß man den Lebensraum der Tiere immer weiter einengt, bis er faktisch nicht mehr vorhanden ist...
M.E. müßte der vertraute, nicht scheue Wolf in der Nachbarschaft, mit dem man sich auf gegenseitigen Respekt arrangiert hat, der eigentliche Normalfall sein. Beispiele dafür gibt es:
Die Erlebnisse von Gudrum Pflüger mit den Küstenwölfen weitab der Zivilisation zeigen, daß Wölfe ohne schlechte Erfahrungen problemlos und sogar gut mit Menschen "können" und diesen wohlwollend neugierig gegenüberstehen. Ähnliche Erfahrungen machte auch L. David Mech bei seinen Forschungen an den Weißen Wölfen auf Ellesmere Island. Grundlage für Respekt ist Verständnis für die Denkweise des anderen und überneugierigen, übermütigen Wölfen, die Schlafsäcke fledderten und Proviant klauen wollten, wurde mit Urinmarkierungen klargemacht, daß so etwas nun gar nicht geht: Eine Sprache, die sie verstanden und respektierten. Umgekehrt fing sich Mech seinerzeit einen gewaltigen Rüffel des Leitwolfes ein, weil er sich ungebührlich einer erbeuteten, toten Robbe näherte... Eine Episode, über die ich sehr schmunzeln mußte... ;)
Hier liegt denn auch der Knackpunkt: Mensch und Wolf müssen einander verstehen, einander respektieren, die Signale wechselseitig interpretieren können. Der Mensch hält sich für den klügeren Part der beiden, was ich mal nicht weiter kommentieren möchte. Also sollte er nicht nur konfliktfreie Lösungen finden, sondern auch sein Verhalten nicht nur gegenüber dem Wolf grundsätzlich überdenken und lernen, daß er nicht das Maß der Dinge ist, daß es es viele Lebewesen gibt, die diesen Planeten, diesen Kontinent, dieses Land Heimat nennen...
Wie auch immer, ich hätte mit "unscheuen" Wölfen keine Probleme. Im Gegenteil, es würde mich freuen, wenn man bei einer Wanderung einem oder mehreren Wölfen begegnet, man/wolf einander sich gegenseitig als Beutegreifer respektierend das Äquivalent von "Guten Tag und gute Jagd" wünschen und einfach wieder ihrer Wege gehen: Ohne Konflikte, ohne Probleme, ganz unaufgeregt...

Und bitte, nehmt meinen kleinen Beitrag nicht "wissenschaftlich"... Das ist er nicht und das soll er auch nicht sein! Es sind einfach nur ein paar ungeordnete Gedanken zu einer Welt, die wahrscheinlich einiges lebenswerter wäre als das, was wir jetzt haben, und in der es keine Menschen gibt, die sich selber "Jäger" nennen, aber im Grunde keine sind, die nicht töten, weil sie sich und ihre Familie ernähren wollen, sondern weil es "Spaß" macht...
Ich vertrete jedenfalls nach wie vor die Auffassung, daß unter natürlichen, normalen Bedignungen Wolf und Mensch eine natürliche Affinität zueinander haben, Faszination aufeinander ausüben. Wie sonst hätten wir von zehntausenden von Jahren zueinander finden und eine Co-Evolution zum heutigen Mensch-Hund-Team durchmachen können... Das sollten wir nie vergessen...

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 31. Okt 2011, 22:45
von SammysHP
Das Beispiel mit Gudrun Pflüger wollte ich auch gerade nennen...

Zu einem gewissen Grad vererbt sich Verhalten, das zeigen viele Studien. Es wäre interessant zu untersuchen, welche Bedingungen für Scheu erforderlich sind und wie sie sich vererbt.

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 31. Okt 2011, 23:19
von LarsD
Ist diese angeblich genetisch determinierte Scheu des Wolfes vor dem Menschen am Ende nicht einfach ein Stück Wunschdenken? Welchen Stellenwert sollte eine solche genetisch veranlagte Scheu gegenüber dem Lernvermögen eines Wolfes haben? Wildschweine werden landauf landab bis heute wirklich streng bejagt. Während ich mir hier auf dem Land wirklich verdammt Mühe geben muss, um dann und wann mal eins zu erwischen, rennen sie in Berlin rotzfrech auf der Straße rum und betteln nach Futter. Haben die Schweine was verpasst? Ganz sicher nicht. Beim Wolf soll das anders laufen? Glaube ich nicht. Entsprechende Beispiele für "freche" Wölfe gibt es bereits in Deutschland. Aber das dürfte erst der Anfang sein. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, was da noch kommen wird:

http://www.timberwolfinformation.org/?p=6515

Viele Grüße

Lars

Edit: Link ausgetauscht ...

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 1. Nov 2011, 06:12
von balin
Aus meiner Erfahrung heraus ist die Scheu und Vorsicht in den Tieren von Natur aus angelegt. Meine Rinder waren vor ein paar Generationen auch mal im Anbindestall. Seitdem sie als gewachsene Herde das ganze Jahr nach ihrem eigenen Willen unterwegs sind, ist es für fremde Menschen nahezu unmöglich, näher wie 10 Meter an sie heranzukommen. Mich können sie berechnen und ich gehöre zum Inventar. Die Phantasievorstellungen über medizinische Vorsorge und Ohrmarken oder was es sonst noch gibt, die unsere Behörden produzieren, kommen bei natürlich lebenden Tieren schnell an ihre Grenzen.
Den Wölfen, meinen Hunden und auch den Füchsen traue ich die Fähigkeit durchaus zu, den nötigen Abstand zu den Menschen einzuhalten. Unsere Hinterlist besteht vor allem im Anfüttern. Wo das nicht ist, da ist auch die nötige Distanz da. Neugierig sind Tiere auch, aber das darf man nicht verwechseln. So interessant sind wir für Selbstversorger nicht.
Die Probleme schaffen wir, wenn wir uns aufdrängen!

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 1. Nov 2011, 19:30
von C.J.W. Handendoek
Bei meinem Fuchs kann es natürlich auch daran liegen, dass er die Menschen als (hoffentlich wenigstens passiven) Futterspender erkennt.

Weiterhin war da eben der Balken mit dem Uhu-Schild. So eine Begrenzung wirkt, wenn sie respektiert wird, Wunder. So kann man an der Laguna de Fuente di Petra (zwischen Cordoba und Malaga) Stelzenläufer aus drei Meter Entfernung betrachten. Aber man steht da auf einem Holzbohlenweg mit Geländer in einem stikt gemanagten Naturreservat.

Trotzdem glaube ich eher, dass ein "normaler" Wolf eher wenig Angst vor einem Menschen haben wird und zwar nicht schwanzwedelnd schmusen will, aber durchaus mal kuckt, mit wem er es da zu tun hat.

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 2. Nov 2011, 10:44
von Vogesenwolf
Seit kurzem mache ich mir ähnliche Ueberlegungen. Als ich im Spätsommer dieses Jahres verschiedene Nationalparks in den USA besuchte, beobachtete ich morgens um 11 Uhr einen grossen Schwarzbären auf 300 Meter Distanz und gleich anschlissend, vom Auto aus, eine Schwarzbärenmutter mit zwei Jungen kaum 100 Meter von der Autostrasse enternt.
Zur Mittagszeit sahen wir (wir waren 12 Personen) etwa 200 Meter von der Passstrasse entfernt, auf rund 3000 m Mehrehöhe, einen grossen Schwarzbären an einem Bergach sich gütlich tun. Zwischen 17 und 21 Uhr (Spätnachmittag bis Dämmerung) ästen links und rechts unseres Wanderwegs (50 - 100 Meter Distanz) mehrere grosse und kapitale Wapiti-Hirsche, samt Kühen und Kälbern (Rocky Mountain Elk, grösser als unser Rothirsch), ohne jegliche Scheu (es war fast wie im Zoo) aber absolut in weiter freier Wildbahn. Also: Dort wo der Mensch (Jäger) den Wildtieren nicht nach dem Leben trachtet, herrscht Frieden unter den Lebewesen.

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 2. Nov 2011, 11:08
von timber-der-wolf
LarsD hat geschrieben:Ist diese angeblich genetisch determinierte Scheu des Wolfes vor dem Menschen am Ende nicht einfach ein Stück Wunschdenken? ...
Nein, die Scheu des Wolfes vor dem Menschen ist kein WUNSCHDENKEN, sondern nachweisliche Realität (zumindest in dem größten Teilen dieser Erde, wo der Wolf seit tausenden Jahren wegen seiner gnadenlosen Bejagung schlechte Erfahrungen mit dem Menschen gemacht hat) !!!

Warum wohl nimmt man in Tierparks / Zoos der Wölfin die Wolfswelpen i.d.R. ab dem 10. ... 12. Tag weg und zieht sie per Hand auf?

Genau, um sie bewußt auf den Menschen zu sozialisieren / zu prägen, damit sie ihre natürliche Angst / Scheu vor dem Menschen weitestgehend verlieren. Denn werden die Welpen nicht per Hand aufgezogen und bei der Wölfin belassen, dann werden sie mit zunehmendem Alter nach der Welpen-(spiel)zeit auch im Gehege des Tierparks / Zoos ängstlich und scheu.
Die Handaufzucht hat den großen Vorteil, dass die Tiere streßfrei im Gehege leben können und sie sich nicht aus Angst ständig vor den Besuchern verkriechen müssen, eine unkomplizierte medizinische Betreuung möglich ist, und auch die Pflege der Gehegeanlage für die mitarbeiter wird erleichtert.

Leider will diese Wahrheit ein Teil der Jägerschaft nicht wahr haben, weshalb ja lauthals nach Aufnahme ins Jagdrecht und notwendiger "Bestandsregulierung", also Abschuß von (Problem-)Wölfen, ( :x ) geschrien wird.

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 2. Nov 2011, 16:31
von LarsD
timber-der-wolf hat geschrieben:
Warum wohl nimmt man in Tierparks / Zoos der Wölfin die Wolfswelpen i.d.R. ab dem 10. ... 12. Tag weg und zieht sie per Hand auf?

Genau, um sie bewußt auf den Menschen zu sozialisieren / zu prägen, damit sie ihre natürliche Angst / Scheu vor dem Menschen weitestgehend verlieren.


Die lebenslange Haft mit allen daraus resultierenden Macken bei den davon betroffenen Wölfen soll jetzt ernsthaft als Beweis für deren "genetisch" fixierte Scheu herhalten? *autsch* Wölfe gehören nicht in die Käfige von Zoos und schon deshalb taugt deren dort zu beobachtendes Verhalten nicht wirklich zu Erklärung des Verhaltens ihrer Artgenossen in der Freiheit. In dem Link oben wird beschrieben, dass Wölfe in Polen sechs Jahre nach Einstellung der Jagd ein geradezu freches Verhalten an den Tag legen und sich weder durch menschliche Präsenz, noch durch diverse Lärmquellen ernsthaft beeindrucken und vom Reißen der Schafe abhalten lassen. Ansätze davon wurden erst jüngst auch aus der Lausitz geschildert. Sind das dann Wölfe mit einem Gendefekt? ;-)

Viele Grüße

Lars

Re: Verhaltensauffällig?

Verfasst: 2. Nov 2011, 17:22
von jurawolf
der wolf wurde in europa unbestritten seit langer zeit weitaus intensiver verfolgt als in nordamerika. wenn sich eine derart starke selektion hin zu scheuen individuen nicht auch genetisch niederschlagen würde, wäre das überraschend. dass eine solche selektion und vererbung stattgefunden hat, zeigt eigentlich der direkte vergleich zwischen europäischen und nordamerikanischen wölfen sehr gut: während der wolf auch in nordamerika legal und illegal gejagt wird, sind die dortigen individuen weitaus weniger scheu als die europäischen, die ja meistens ebenso gejagt werden (oft halt nur illegal, aber dem wolf ists egal, ob er nun legal oder illegal geknallt wird -> faktisch ist der wolf überall wo er vorkommt eine bejagte tierart).

dennoch hat trotz dieser selektion der wolf natürlich nicht verlernt zu lernen. sprich: wenn sich die umstände ändern, sprich die jagd wegen des verbots vielleicht trotzdem extensiver wird, wird der wolf schnell lernen können, dass er sein verhalten wieder anpassen kann. dem steht die genetik nicht grundsätzlich im wege.

es ist also kein wiederspruch, einerseits anzuerkennen dass sich die starke selektion auf scheue individuen genetisch niedergeschlagen hat und andererseits zu akzeptieren, dass sich die wölfe dennoch schnell darauf einstellen können, wieder sicherer zu sein unter menschen als auch schon.