Wie heute die dpa meldet, will die Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen, angeblich auch in Einigkeit mit den Grünen, den Wolfsabschuss in Brandenburg erleichtern. Zitiert wird allerdings nur CDU-Fraktionschef Jan Redmann mit den bekannten abenteuerlichen Begründungen, die in der Wissenschaft keine Entsprechung finden.
«Wir wollen schießen, weil wir in Brandenburg den höchsten Wolfsbesatz haben, der zunehmend zu Schadensereignissen führt», sagte CDU-Fraktionschef Jan Redmann » [...].
«Sie müssen ihre Scheu behalten vor menschlichen Siedlungen und Stallungen, meinte der Fraktionschef. «Wölfe merken, wenn sie nichts zu befürchten haben und werden immer dreister.» [...]
«Künftig sollen Tiere aus dem Rudel, das für Schadensereignisse veranwortlich ist, geschossen werden können.»
ZEIT, 19.01.2021: Koalition will Abschuss von Wölfen erleichtern https://www.zeit.de/news/2021-01/19/koa ... htern?utm_
Nun muss man bei dpa-Meldungen immer vorsichtig sein, was die Meldungen über die Grünen oder den NABU betrifft. Fakt ist, dass das grün geführte Agrar- und Umweltministerium noch im Juli 2020 verstärkte Abschüsse strikt abgelehnt hat.
Das Brandenburger Landwirtschaftsministerium lehnt die Forderung nach einem verstärkten Abschießen von Wölfen wegen zunehmender Nutztierrisse ab. Ein Abschuss von Wölfen ohne die erforderlichen Ausnahmevoraussetzungen sei nicht mit geltenden EU-Recht vereinbar und damit unzulässig, teilte die Sprecherin des Ministeriums Frauke Zelt [...]
mit [...].
Aus diesem Grund gebe es bereits zwei Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Schweden. Weidetiere müssten immer ausreichend vor Übergriffen geschützt werden. Daran würde auch der Abschuss einzelner Wölfe nichts ändern, so Zelt weiter.
rbb, 23.07.2020: Brandenburg Agrarministerium lässt Wolfsabschüsse nur unter bestimmten Voraussetzungen zu https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/pa ... nburg.html
Es war vielmehr der Wunsch der "Freien Bauern", Wölfe im großen Stil zu bejagen - mit derselben (fachlich unzutreffenden) Begründung, die nun aktuell der CDU-Fraktionschef Redmann übernommen hat:
"Wenn die Jäger in Brandenburg jedes Jahr 100 Wölfe legal erlegen dürften, würde das Raubtier seine Scheu zurückgewinnen und die Probleme wären zumindest entschärft", wurde Landessprecher Marco Hintze in einer Mitteilung zitiert.
rbb, 23.07.2020: Brandenburg Agrarministerium lässt Wolfsabschüsse nur unter bestimmten Voraussetzungen zu https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/pa ... nburg.html
Dabei sind die Risse zumindest von 2018 auf 2019 nicht einmal nennenswert angestiegen:
Im Jahr 2019 seien rund 410 Tiere geschädigt worden, im Jahr 2018 seien es rund 400 Tiere gewesen, berichtet das Landesamt für Umwelt.
rbb, 23.07.2020: Brandenburg Agrarministerium lässt Wolfsabschüsse nur unter bestimmten Voraussetzungen zu https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/pa ... nburg.html
Dass eine Bejagung den Wölfen keine "Scheu" beibringt, zeigen die Ereignisse in Schweden, wo Wölfe trotz Bejagung in Dörfern und auf Höfen gesichtet werden und Jäger fortlaufend über gerissene Jagdhunde und Landwirte über tote Nutztiere klagen. Auch konnten die Konflikte zwischen Natur- und Artenschützern mit Jägern dadurch nicht beruhigt werden; die Diskussion verschärft sich eher. Fakten, die Jagd- und Agrarlobby samt der sie gehorsam bedienenden Politik zur Kenntnis nehmen sollten:
Wie alle Wildtiere, die in Kulturlandschaften leben, müssen Wölfe damit umgehen, dass es in ihrem Lebensraum überall menschliche Siedlungen gibt. Es bleibt daher nicht aus, dass sie an diesen vorbei laufen oder – bei Streusiedlungen – auch gelegentlich hindurch. [...]
Eine häufig vertretene Meinung ist, dass Wölfe in unbejagten Populationen früher oder später ihre Vorsicht gegenüber dem Menschen verlieren und in Konsequenz für den Menschen gefährlich werden. Dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg. [...] Die wenigen nach 1950 aus Europa bekannten Fälle, in denen nicht tollwütige wilde Wölfe Menschen getötet haben, geschahen in einer bejagten Population (Spanien).
BfN-Skript 502, 2018: Konzept zum Umgang mit Wölfen, die sich dem Menschen gegenüber auffällig verhalten, Seite 12 und Seite 14 https://www.dbb-wolf.de/Wolfsmanagement ... en-woelfen
Es ist weiterhin bisher nicht wissenschaftlich belegt, dass eine Bejagung die Scheu der Wölfe dem Menschen gegenüber erhöhen würde. Seitens der zumeist jagenden Befürworter wird dabei häufig ein Vergleich zwischen dem Verhalten ihnen bekannter jagdbarer Tiere (Reh-Rot-Schwarzwild) gezogen, die sich auf intensivierte Jagdaktivitäten (z. B. im Winter nach Bewegungsjagden) mit erhöhter Vorsicht (Scheu) einstellen. Dieser Vergleich ist in meinen Augen fachlich kritisch zu hinterfragen. Beutetieren liegen von Natur aus etwas andere Handlungsprioritäten zu Grunde als großen Beutegreifern. [...]
So beruht die sogenannte „Scheu“ des Wolfes m. E. nicht prioritär in der „Angst vor dem Menschen aufgrund von Bejagung“, sondern es liegt ihr vielmehr eine natürliche Vorsicht zu Grunde, die dieses Tier besitzen muss, wenn es sich nicht durch eine unvorsichtige Annäherung an unbekannte Objekte in Gefahr begeben will. [...]
Eine Verknüpfung schlechter Erfahrungen (hier Bejagung) kann nur dann zum Menschen geschehen, wenn sich dieser bei den einwirkenden aversiven Reizen nahe genug am Wolf befindet. Der so bejagte Wolf muss zudem noch überleben, um seine Erfahrungen weitergeben zu können. Die Methoden vergangener Jahrhunderte sind heute nicht mehr akzeptabel und – anders als beim Schalenwild – werden vermutlich selbst Treib- Bewegungsjagden auf den Wolf auch zukünftig keine Option sein. Bei der Ansitzjagd ist eine Verknüpfung des aversiven Reizes zum Menschen jedoch schwer herzustellen. Viel wahrscheinlicher könnte es hingegen eine Verknüpfung zum Ort des Geschehens geben, da menschlicher Geruch in unserer dicht besiedelten Gesellschaft allgegenwärtig ist. Überspitzt ausgedrückt könnte ein bejagter Wolf heute vielmehr lernen, den jagdintensiven Ort „Wald / Feld“ zu meiden und stattdessen die jagdberuhigte Nähe von Siedlungen zu suchen.
Birgit Mennerich-Bunge, Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle 23. Jahrgang – 4 / 2016: Eine amtstierärztliche Sichtauf die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland, Seite 226-227 https://www.vetimpulse.de/fileadmin/use ... Wolfes.pdf
Und dann waren da ja noch die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus gleich mehreren Studien, die einer Bejagung entweder keinen nennenswerten Effekt auf die Zahl der Nutztierrisse zuschreiben oder gar einen gegenteiligen Effekt - die Zunahme von Rissereignissen - nachweisen konnten:
Dass Weidetiere „dem Menschen gehören und tabu sind“ weiß ein Wolf nicht, an Menschengeruch im Umfeld ist er durch Habituierung gewöhnt. Erfolgreiche Angriffe auf unzureichend geschützte Nutztiere führen zu einer Futterkonditionierung und Spezialisierung auf diese Beute. Ein Vergleich der Anzahl regionaler Nutztierübergriffe in Niedersachsen vor dem Hintergrund dort regional vorhandener Wolfsrudel zeigt, dass die Anzahl Übergriffe nicht zwingend von der Anzahl Rudel abhängig ist. [...]
Vielmehr spielt eine Rolle, welche Erfahrungen das Rudel mit Nutztieren gemacht hat. Der wolfsabweisende Schutz von nicht wehrhaften Nutztieren ist somit Grundvoraussetzung für ein konfliktarmes Miteinander zwischen Wolf und Mensch. Wird dieses missachtet, und Wölfe lernen, dass Nutztiere leichter zu erbeuten sind als das heimische Wild, werden sie die Erfahrung im Rudel weitergeben. Ein konfliktarmes Miteinander von Nutztierhaltern und Wolf ist dann nicht mehr möglich, der einfache Grundschutz wird nicht mehr reichen. Klüger ist es daher, das weitere Verhalten von Wölfen durch negative Erfahrungen beim Übergriffsversuch auf Nutztiere zu beeinflussen. Wölfe, die möglichst gleich beim ersten Versuch und dann wiederholt schmerzhafte Bekanntschaft mit einem Elektrozaun gemacht haben, werden Nutztiere meiden. So konditionierte Rudel sind dann der beste Schutz gegen weitere Übergriffe, denn sie lassen keine fremden Wölfe in ihrem Revier zu. [...]
Einzelne aktive Vergrämungsmaßnahmen oder die Bejagung können (wie oben erklärt) keinen Beutegreifer dauerhaft von seinen Beutetieren fernhalten. Zudem ist sogar mehrfach der gegenteilige Effekt bei einer Intensivierung der Bejagung beschrieben worden: eine erhöhte Anzahl Nutztierrisse durch Zerstörung der Rudelstruktur [...].
Birgit Mennerich-Bunge, Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle 25. Jahrgang – 2 / 2018, Seite 4-5: Muss der Wolf Respekt lernen ? Erfahrungen aus Niedersachsen https://blog.bad-wildbad.de/wp-content/ ... T_2018.pdf
Der Abschuss von Wölfen schützt Nutztiere nicht, das ergab eine kürzlich erschienene Studie im US-amerikanischen Fachjournal ‘Frontiers in Ecology and the Environment’. Ganz im Gegenteil: getötete Wölfe führen in fast einem Drittel der untersuchten Fälle zu mehr Nutztierschäden.
VET-Magazin, 19.09.2016: Wolfsabschüsse schützen keine Nutztiere https://vet-magazin.de/wissenschaft/wil ... tiere.html