Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

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maxa67

Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von maxa67 »

Es ist grenzwertig, mit dem Terminus "gesellschaftliche Verantwortung" um sich zu schmeißen. Das ist wie man mittlerweile bemerkt hat, auch sehr frei interpretierbar. Ebenso wie die Begriff persönliche Freiheit. Wir im Osten habens ja erleben dürfen, was man alles im Namen der Gesellschaft so anstellen kann. Trotzdem war davon einiges ganz gut durchdacht.
Persönliche Freiheit sollte da aufhören, wo sie einem Teil dieser "Gesellschaft" lästig oder gar gefährlich wird. Ich werde unser System nie verstehen, wie man unter diesem Deckmantel auch die übelsten Kunden schützt, gleichzeitig dem Einzelnen untersagt, ob er sich im Auto angurtet oder auf dem Zweirad einen Helm trägt. Nimmt man diese Einschränkungen als Maßstab, könnte "der Staat" eigentlich alles beschränken.

Masern könnten epidemisch werden, wenn eine Gesellschaft keinen Grundschutz hätte. Dies ist bei uns nicht der Fall und von diesem hohen Level aus, argumentieren die Gegner der Impfpflicht. Allerdings unter der falschen Annahme, daß die Aufklärung über die Gefahren, die noch in den 70ern bis 90ern auf fruchtbaren Boden stieß, auch jetzt noch ihre Gültigkeit hätte. Die ist offensichtlich im Schwinden begriffen, durch Vernachlässigung der Thematik aber auch duch den Zuzug aus Gesellschaften, die so etwas kaum oder garnicht kennen. Damit würde der Grundimmunisierungspool unserer "Gesellschaft" stetig absinken.
Einer verpflichtenden Masernimmunisierung würde ich daher offen gegenüberstehen anders als z.B. einer verpflichtenden Grippeschutzimpfung.
Erklärbär
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Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von Erklärbär »

Maxa, in bestimmten Dingen wart Ihr in der DDR uns Wessis weit voraus. Z.B. Zwangs-Jodisierung von Tierfutter. Damit war das Problem bei Euch i.Ggs. zu uns weitgehend gelöst. Warum hat man das nicht ins BRD-Recht übernommen?

Was Masernimpfung anbelangt: Mir kommt das kalte Kotzen wenn ich so pseudowissenschaftliches Gewäsch von promovierten Impfkritikern lesen muss. Die Masern wären bei uns bei Durchimpfung schon längst erledigt. Da muss man nur das Brett vor dem Kopf wegnehmen.

Das das Thema hier im Forum hochkocht und teilweise dermassen undifferenziert betrachtet wird, überrascht mich dann doch.
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Nina
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Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von Nina »

maxa67 hat geschrieben: Die ist offensichtlich im Schwinden begriffen, [...]. Damit würde der Grundimmunisierungspool unserer "Gesellschaft" stetig absinken.
Das ist eine Wahrnehmung, die über die Medien stetig Verbreitung findet und sich damit als eine Art Tatsache in den Köpfen vieler Menschen etabliert - tatsächlich aber bilden die realen Zahlen das Gegenteil ab.
In Deutschland ist die Häufigkeit der Masern durch die seit etwa 40 Jahren praktizierte Impfung und aufgrund stetig steigender Impfquoten im Vergleich zur Vorimpfära insgesamt deutlich zurückgegangen.
[...] Lag die Impfquote gegen Masern zum Schuleingang im Jahr 2004 bei 93,5% für die erste Dosis und 65,7% für die zweite Impfstoffdosis, so wurden im Jahr 2012 schon 96,7% und 92,4% der Kinder geimpft. Damit wurde der WHO-Indikator von einer Impfquote von 95% für beide Dosen zumindest für die Schulkinder fast erreicht.


Robert-Koch-Institut, 01.05.2014: Masern, RKI-Ratgeber - Vorkommen / Elimination der Masern https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Ep ... asern.html
Zur Identifizierung wesentlicher Einflussfaktoren auf das Impfverhalten [...] führt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) seit dem Jahr 2011 regelmäßig Bevölkerungsbefragungen durch.
Nach den Umfrageergebnissen der Repräsentativbefragung aus dem Jahr 2016 „Einstellungen, Wissen und Verhalten von Erwachsenen und Eltern gegenüber Impfungen“ lag der Anteil der Menschen, die Impfungen „ablehnend“ oder „eher ablehnend“ gegenüberstehen, bei insgesamt 5 Prozent. Das ist gegenüber dem Umfrageergebnis von 2012 ein Rückgang um rund 3 Prozentpunkte. [...] Die Mehrheit der Bevölkerung (77 Prozent) steht dem Impfen im Allgemeinen positiv gegenüber („befürwortend“ oder „eher befürwortend“). Nahezu alle befragten Eltern (95 Prozent) sehen die Masernimpfung als notwendig für ihr Kind an.

Deutscher Bundestag, Drucksache 19/9944, 07.05.2019, Antwort der Bundesregierung: Masern – Impfschutz in Deutschland 2019 , Seite 6
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/099/1909944.pdf
Die Frage, ob Zwangsmaßnahmen hier überhaupt noch verhältnismäßig sind, muss vor diesem Hintergrund erlaubt sein und wird höchstwahrscheinlich einer Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht unterstellt werden.

Davon abgesehen, weist die Studienlage mittlerweile darauf hin, dass das Ziel der Elimination der Masern, das die WHO immerhin seit 1984 verfolgt, unter Umständen gar nicht gelingen kann, weil diesem ehrgeizigen Ziel die mittlerweile mehrfach widerlegte Annahme zugrundeliegt, dass man durch eine zweimalige Masernimpfung lebenslange Immunität erreichen würde.
1999 und 2003 erschienen dann mathematische Modelle, die ebenfalls ein langfristiges Nachlassen der Masern-Impf-Immunität vorhersagten. Die Autoren machten schon damals den fehlenden Kontakt der Geimpften zu "echten Masernviren" verantwortlich - "The authors confirm that neutralizing antibodies are decaying significantly in absence of circulating virus." (Mossong 1999). Damit wäre der vordergründige Erfolg der Masernimpfstrategie, der zu eben diesem Rückgang der Masern-Wildviren führt, der umittelbare Grund für ihre fehlende Nachhaltigkeit. Die Autoren fassen zusammen: "If natural immunity against measles is thought to last life-long, vaccine-induced protection is well documented to be less durable and less robust." (Mossong 2003). Jenseits von mathematischen Modellen konnte dies zum Beispiel in Taiwan durch Antikörperspiegelmessungen an Freiwilligen bestätigt werden: obwohl die Durchimpfungsraten mit einer zweifachen Masernimpfung in Taiwan seit mehreren Jahrzehnten über 95% liegen, weisen nur etwa 50% der 21 - 25-Jährigen Masernantikörperspiegel auf -verglichen mit > 95% der über 35-Jährigen, die nicht gegen Masern geimpft wurden, sondern eine natürliche Immunität durch die überstandene Erkrankung besitzen (Chen 2012).

Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V., 06.11.2019: Masern trotz Impfung - Die unterschätzte Gefahr? https://www.impf-info.de/die-impfungen/ ... efahr.html
Im Jahr 2017 ging ein Masern-Ausbruch bei der Israelischen Armee primär von einem Patienten aus, der ursprünglich dreimal (!) gegen MMR geimpft war und dessen Symptome (Fieber und Ausschlag) erst bei der nachträglichen Suche nach einer Ansteckungsquelle für die von ihm Infizierten (die auch alle mindestens zweimal geimpft waren und untypisch erkrankten), als VMM eingestuft wurden. Bei allen Betroffenen gehen die Behörden aufgrund der erhobenen serologischen Befunde und des klinischen Verlaufs von einem sekundären Impfversagen aus (Avramovich 2018).

Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V., 06.11.2019: Masern trotz Impfung - Die unterschätzte Gefahr? https://www.impf-info.de/die-impfungen/ ... efahr.html
Mittlerweile räumen selbst Autoren des RKI (nicht das RKI als solches!) ein Nachlassen der Impfimmunität bei Masern über die Jahre ein: eine Analyse der Berliner "Epidemie" von 2015 ergab hier sehr klare Hinweise:[...] (Bitzegeio 2019). [...] In einfacher Sprache: unser offizielles Ziel (die Masern-Elimination) beruht auf Voraussetzungen, die wir - wie andere vor uns auch schon - widerlegt haben; was das eigentlich bedeutet wissen wir nicht und wie wir darauf mit unseren Impfstrategien reagieren müssten, wissen wir noch viel weniger; erstmal machen wir aber mal so weiter, als wäre nichts gewesen....

Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V., 06.11.2019: Masern trotz Impfung - Die unterschätzte Gefahr? https://www.impf-info.de/die-impfungen/ ... efahr.html
maxa67 hat geschrieben:Einer verpflichtenden Masernimmunisierung würde ich daher offen gegenüberstehen anders als z.B. einer verpflichtenden Grippeschutzimpfung.
Das ist auf jeden Fall eine durchdachte und differenzierte Herangehensweise. Leider ist es nach dem nun beschlossenen Gesetz aber der Pharmaindustrie überlassen, welche Komponenten letztlich verabreicht werden. So gibt es den Masernimpfstoff derzeit nicht als Einzelimpfstoff, sondern nur als Dreifachimpfstoff zusammen mit Mumps und Röteln oder als Vierfachimpfstoff noch zusätzlich mit Windpocken. Da wird es dann schon mal leicht unübersichtlich.
maxa67 hat geschrieben:Wir im Osten habens ja erleben dürfen, was man alles im Namen der Gesellschaft so anstellen kann.
Da stimme ich Dir absolut zu, und deshalb stehe ich Eingriffen in die Grundrechte auch zunächst mal eher kritisch gegenüber. Meine Befürchtung wäre z. B., dass die verpflichtende Masernimpfung erst der Anfang ist, und diese Regelung als Einfallstor für einen unkritischen florierenden Impfstoffabsatz fungiert, der die Menschen "zum Wohle der Gesellschaft" flächenmäßig zwangsbeglückt - ungeachtet aller Risiken und Nebenwirkungen. Wer sich mit den PR-Maschen und den Verflechtungen der Pharmaindsutrie mal näher auseinandergesetzt hat, weiß um die erstaunliche Kreativität der Branche.
maxa67

Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von maxa67 »

Okaaay, das mit der Statistik über die freiwillige Impfbereitschaft war mir so nicht geläufig. Die Tatsache freut mich und daß offensichtlich Vertrauen in und die Beratung durch die Kinder- und Hausärzte funktionieren.
Was widerum die Frage impliziert, warum man angesichts der wachsenden Medikamentenengpässe das Thema so hochkocht.
Ich bin generell gegen irgendwelche Zwänge, verwehre mich aber nicht zwangsläufig gegen Notwendigkeiten, wenn die Aufgeklärtheit der "Gesellschaft" nachläßt.
Redux

Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von Redux »

@Nina ist ja schön, daß die Zahlen nicht der Wahrnehmung entsprechen, nur ehrlich gesagt liegt die gesellschaftliche Wahrnehmung vor allem am Auftreten oder auch transportierten Weltbild vieler Impfgegner. Und ja vielleicht hat man die Chance zur Masernausrottung mittlerweile vielleicht tatsächlich verpaßt. Nur einen Eingriff in Grundrechte sehe ich da nach wie vor nicht und somit verstehe ich auch die Aufregung nicht. Lobby der Pharmafirmen die Politik machen sind eine Sache, die andere die ich nicht verstehe ist das Argument vieler Impfgegner, daß Impfen angeblich (und gerade auch gegen Masern) gefährlich sein soll (löst Autismus aus , daß ich nicht lache) , daß dürfte doch wohl mit der Gefährlichkeit der Krankheit selbst nicht zu vergleichen sein. Oder hast du andere Zahlen ?
maxa67

Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von maxa67 »

Es wäre alles kein Problem, hätte sich nicht so ein abgrundtiefes Mißtrauen in Politik und Industrie entwickelt. Und darum hat man die letzten Jahre aber so richtig gebettelt... Das Hinarbeiten zu Alternativlosigkeit und gesellschaftlichem Konsens nannte sich früher Planwirtschaft und Nationale Front. Ist heute eben nur schicker verpackt.
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Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von zaino »

Über Masern kann man ja streiten - ganze Stämme amerikanischer Natives wurden seinerzeit von Zeug wie Masern weggerafft, während das normale europäische Kind heute das nebenher wegsteckt.
Ganz anders schauts bei Polio, Pocken, Diphterie, Keuchhusten u.s.w. aus - möchte nicht wissen, was passiert, wenn da der Kohorten- Impfschutz nachlässt! Mit Keuchhusten habe ich mich trotz Impfung in Kindertagen später mal, mit Ende 40, angesteckt. Holla, die Waldfee! Habe drei Monate lang gekämpft und bis der Doc überhaupt mal herausfand, was los war!!! Und wenn ein ganz kleiner Zwerg sowas erwischt, ists mit Sicherheit gefährlich!

Wenn mir dann so Aluhutträger erklären, ihre Katzen müssten nach einer Beisserei nicht zum Tierarzt, weil sie nicht kastriert und nie geimpft worden wären und deswegen, Achtung, festhalten, könnten sie mit Infektionen besser fertig werden.... geht mir wirklich der Hut hoch. Was für ein Quatsch.
Manche hardcore-Impfgegner schwurbeln sogar, dass die Tollwut-Impfung ein Betrug sei. Oder die Tetanus-Impfung. Alle VIEL zu gefääährlich u.s.w.
Wenn mich in Indien oder Afrika ein Hund beisst, hab ich die Wahl: Lieber ein toter aber linientreuer Impfgegner? Echt jetzt? Beide Krankheiten sind eine ziemlich besch*** Art, äußerst qualvoll zu krepieren. Tausende demonstrieren das Jahr für Jahr in diesen Ländern, aus Unwissenheit oder weil sie grad zu weit weg sind vom nächsten Stützpunkt mit Serum. Also wieviel Fliegenpilz muss man fressen, um das Impfprinzip als solches weiterhin wacker zu verdammen, als reine Masche der Pharma-Lobby?

Ob man jetzt den Säugling xmal mit diversen Kombi-Impfseren vollpumpen muss? Darüber lässt sich wohl streiten. Die Dosis macht bekanntlich das Gift. Bei Haustieren genauso - manche Impfung wird viel zu oft durchgeführt und hielte doch viel länger her. Die Nummer mit Tamiflu und der Vogelgrippe damals, und der Geschichte der Pandemie, die uns gleich sofort zu überschwemmen drohte, sobald wir nur von weitem ein Hinkel über die wiese ziehen sehen.... DAS war Geldschneiderei, zugegeben.

Aber die besagten Impfgegner zetern ja aus ganz anderen Gründen.
Erklärbär
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Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von Erklärbär »

Hätten Impfgegner bei uns was zu melden, gäbe es sicherlich auch noch die Tollwut! Vermutlich würden die tollwütige Füchse und Wölfe mit Globuli behandeln. Was ein Irrsinn! Wer seine Kinder nicht schützt, steht zurecht am Pranger...
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Redux

Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von Redux »

Ja erklärbär, die frage ist aber ob man das risiko masern nicht tatsächlich in kauf nehmen kann ? ich kann mich an meine maserninfektion in der kindheit noch gut erinnern, war nicht so lustig und ich hätte gerne drauf verzichtet, außerdem glauben diese natürlich, daß sie dem kind was gutes tun und sein immunsystem stärken und auch da kann man sagen, daß der ansatz im prinzip gar nicht so falsch (lieber ein bißchen weniger putzen und die kinder anständig im dreck spielen lassen) ist nur ausgerechnet hier doch wohl eher ignorant.
zaino
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Re: Gesellschaftliche Pflichten und das Recht des Einzelnen gegenüber Vielen

Beitrag von zaino »

Ein verstorbener Freund von mir hatte als Kind Polio. Ein Geschenk fürs Leben, sozusagen. Und so wie ihn gab es viele, viele Betroffene allein wegen dieser Erkrankung!!!

Meine Masern waren ein Klacks, ich bin am Tag, als es entdeckt wurde, mit Volldampf Schlitten gefahren und durch den Schnee getobt. Aber es läuft eben nicht immer so lässig nebenher ab.

Diese gesetzliche Impfpflicht für alles und jedes finde ich persönlich auch blöd. Aber man stelle sich vor, solche netten Dinge wie Polio & Co setzen sich wieder flächendeckend durch, weil die Aluhutträger eben in großer Zahl ihre Schratzerl da sich selbst überlassen möchten... der Mangel an gesundem Menschenverstand führt dann halt mal wieder zu bürokratischer Über-Steuerung.
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