§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG greift aus meiner Sicht nicht, weil die "erhebliche Störung" während der Fortpflanzungzeit so definiert ist, dass sich dadurch der "Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert". Durch eine Drückjagd im Wolfsgebiet allein verschlechtert sich der Erhaltungszustand der lokalen Population sicherlich nicht. Aber korrigiert mich bitte, falls ich da etwas übersehen haben sollte.
(1) Es ist verboten,
[...]
2. wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert
§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG - Bundesnaturschutzgesetz https://www.gesetze-im-internet.de/bnat ... /__44.html
Wie Schattenwolf aber schon angeführt hat, wurden die Empfehlungen des Deutschen Jagdverbands, die er in einem eigens erstellten Leitfaden abgegeben hat, bei der betreffenden Drückjagd offensichtlich nicht berücksichtigt.
Unter "Praxistipps" wird empfohlen:
Im Leitfaden wird explizit darauf hingewiesen, dass Hundeführer bereits vor der Jagd über mögliche Wolfsbegegnungen und damit verbundene Risiken zu informieren sind. Dass dabei Schäden bereits einkalkuliert sind, ergibt sich aus dem Hinweis, dass im Vorwege mit dem Jagdleiter zu klären ist, wer für entstehende "Schäden" am Hund aufkommen könnte - "Jagdhundeausgleichskasse oder im Einzelfall von einer anderen
Versicherung".¹
Während der Jagd wird empfohlen, Hunde erst mit 30 Minuten Zeitverzögerung loszulassen. Außerdem wird zur Verwendung von Halsband-Glöckchen, Hundeschutzwesten und GPS-Ortungsgeräten geraten.¹
Auf dem in der Presseerklärung der den Schützen vertretenden Anwaltskanzlei veröffentlichten Foto, das leider recht unscharf ist, sind Verletzungen im Brustbereich erkennbar², die beim Tragen einer Wolfsschutzweste für gewöhnlich sicherlich abgedeckt wären (Brustschutz). Das könnte ein Indiz dafür sein, dass auch hier die Empfehlungen des Deutschen Jagdverbands nicht umgesetzt worden sind und damit bekannte Risiken nicht im Vorwege minimiert wurden.
Das Foto der Tierarztrechnung ist leider auch recht unscharf.² Wenn ich das richtig lese, steht dort "Bisswunde, evtl. vom Wolf". Die Positionen sowie der im Verhältnis geringe Betrag von € 141,57 lassen auf eine gewöhnliche Wundversorgung ohne Notwendigkeit eines operativen Eingriffs schließen und geben damit auch einen Hinweis auf die Qualität der Verletzung, die allem Anschein nach wohl nicht als lebensbedrohlich zu bewerten wäre.
In der Presseerklärung der Anwaltskanzlei wird der hohe ideelle Wert der Hunde betont: "Begleithunde, Spielgefährten, dreiste Sofaeroberer, schlappohrige Seelenstreichler, freche Wurstbroträuber, Hüter über Haus und Hof und mutige Kinderbeschützer beim abendlichen Spaziergang".²
Das dürfte angesichts der regelmäßig von Jägern getöteten Hunde und Katzen³ vielen Menschen so vorkommen, als würde hier nun mit zweierlei Maß gemessen, da natürlich auch Hunde von Nichtjägern dieselben wie in der Pressemitteilung genannten geschätzten Eigenschaften haben.
In der Pressemitteilung wird der Wolf als "offensichtlich problematisch" beschrieben, weil er ein "vorheriges vertrautes Passieren der Jagdstände" gezeigt hätte und daraus zu schließen sei, dass er "Menschen und Hunde nicht mehr als ihn betreffende potentielle Gefahr ansah".
Würden Wölfe Hunde generell als "potentielle Gefahr" begreifen und meiden, wäre der oben genannte Leitfaden des Deutschen Jagdverbands hinfällig. Dieser weist ja explizit darauf hin, dass in Schweden regelmäßig auch Jagdhunde im Einsatz durch Wölfe zu Schaden kämen, weshalb man hier wohl eher von einem häufig gezeigtem und damit normalem Verhalten ausgehen kann. Wissenschaftlich ist es erwiesen, dass Hunde für Wölfe, insbesondere in der Paarungszeit, einen Auslösereiz darstellen können, und zwar "neutral (dies ist meist der Fall), positiv (der Hund wird als Paarungspartner oder Spielgefährte gesehen) oder negativ (Hund wird als Konkurrent wahrgenommen)".⁴
Dass Wölfe zudem die Nähe von Menschen auf Hochsitzen in geringerer Distanz tolerieren, ist in der Wissenschaft ebenfalls bekannt und wird nicht als problematisch bewertet. "Auch auf Menschen auf Hochsitzen reagieren Wölfe oft deutlich weniger als auf Fußgänger. [...] In einzelnen Fällen reagieren Wölfe auch bei Nahbegegnungen sehr entspannt. Insbesondere bei Anwesenheit eines Hundes können Wölfe, statt sich zurück zu ziehen,
länger stehen bleiben und beobachten bzw. sich dem Menschen sogar nähern."⁵
Zudem ist die Rolle der Jagdhunde unklar. Die genaue Anzahl der involvierten Hunde lässt sich der Pressemitteilung leider nicht entnehmen. Es gibt keinen Hinweis auf eine aktive Rolle dieser Hunde, stattdessen soll der Wolf "sofort einen Angriff auf die Hunde" gestartet haben und "mit weit aufgerissenem Fang mehrfach" versucht haben, "einen der größeren Hunde zu fassen zu kriegen".² Dass die Hunde quasi "tatenlos" am Ort des Geschehens blieben und sich von einem wütenden Wolf beißen ließen, erscheint mir nicht plausibel.
Das Verhalten von Jagdhunden in einer Meute wurde gerade erst kürzlich beschrieben, als in Hirschhorn im Rahmen einer Drückjagd mehrere Jagdhunde außer Kontrolle ein Reh mitten durch eine Siedlung bis in einen Garten gehetzt haben⁶ oder in Dunzweiler 10-15 Jagdhunde unkontrolliert auf eine Kuhweide eingedrungen sind und trotz Anwesenheit der machtlosen Jäger eine Kuh verletzten und ein Kalb töteten. "Jäger und der Treiber hätten minutenlang auf die Hunde eingebrüllt, doch die hätten nicht abgelassen. „Die haben wie Bestien an der Kuh gehangen“."⁷
¹
Deutscher Jagdverband e. V.: Hundearbeit im Wolfsgebiet Leitfaden für Jagdleiter und Hundeführer [/quote]
https://www.jagdverband.de/sites/defaul ... ersion.pdf
²
Dr. Granzin, Die Jagdrechtskanzlei, 24.01.2019: Wolfstötung Presserklärung - Hamburg, den 24.01.2019 https://www.die-jagdrechtskanzlei.de/de ... -24012019/
³
Übersicht Medienberichte in der Rubrik "Jägeropfer: Haustiere", Initiative zur Abschaffung der Jagd https://www.abschaffung-der-jagd.de/hau ... 295102ab02
⁴
Ilka Reinhardt, Petra Kaczensky, Jens Frank, Felix Knauer und Gesa Kluth: Konzept zum Umgang mit Wölfen, die sich Menschen gegenüber auffällig verhalten - Empfehlungen der DBBW - BfN-Skript 502, Seite 13 https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/servic ... ipt502.pdf
⁵ I
lka Reinhardt, Petra Kaczensky, Jens Frank, Felix Knauer und Gesa Kluth: Konzept zum Umgang mit Wölfen, die sich Menschen gegenüber auffällig verhalten - Empfehlungen der DBBW - BfN-Skript 502, Seite 12[/size]
https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/servic ... ipt502.pdf
⁶
Die Rheinpfalz, 21.01.2019: Hirschhorn: Jagdhunde sorgen für Aufregung https://www.rheinpfalz.de/lokal/kaisers ... aufregung/
⁷
Die Rheinpfalz, 22.12.2018: Dunzweiler: Jagdhunde im Blutrausch - Bei Drückjagd Anfang Dezember wertvolle Glanrinder angefallen
https://www.rheinpfalz.de/lokal/kusel/a ... lutrausch/