Die Jagd steht ja deshalb im Fokus, weil deren Vertreter auf der einen Seite unentwegt darum bemüht sind, den Naturschutzaspekt in den Vordergrund zu stellen und sich auf der anderen Seite als vermeintlich einfache Problemlösung für ein marginales Problem aufdrängen, obwohl diese Art der "Problemlösung" belegbar selbst weitaus mehr Risiken birgt als das eigentliche "Problem".
Der Wolf stellt den ausgelobten Naturschutzaspekt der Jagd auf den Prüfstand, weil hier die Divergenz zum klassischen (unbewaffneten) Naturschutz besonders deutlich in Erscheinung tritt. Ich erinnere nochmal an die Worte des damaligen Vorsitzenden der Lüneburger Jägerschaft in einer Ausgabe des Hamburger Abendblatts von 2008:
,,Es muss klar sein, dass wir Jäger im Wolf zwar einen direkten Konkurrenten sehen, ihn jedoch ohne Wenn und Aber in unseren Revieren akzeptieren. Alles andere würde uns in eine gesellschaftliche Außenseiterposition bringen und unseren Status als anerkannte Naturschützer gefährden."
Hamburger Abendblatt, 02.12.2008: Der Wolf ist zurück im Revier https://www.abendblatt.de/region/lueneb ... evier.html
Von einer "Akzeptanz ohne Wenn und Aber" kann mittlerweile ja wohl kaum noch die Rede sein. Gleichermaßen waren an Meldungen, die dazu tauglich gewesen wären, dem Image des Wolfes zu schaden, sich hinterher aber als nicht haltbar erwiesen haben, immer wieder auch Jäger beteiligt. So wurde eine angebliche Gefahr durch den Wolf konstruiert. Während der Wolf mittlerweile komplett durchkontrolliert, überwacht, in jeder Hinsicht statitistisch erfasst und ausgewertet wird, gibt es weiterhin keine offiziellen Statistiken über Jagdunfälle oder Straftaten mit Jagdwaffen, keine behördlich erfassten Zahlen über Opfer in Form von Toten und Verletzten, keine offiziellen Zahlen über Haustieropfer oder über abgeschossene Hunde und Katzen.
Jagd und Wolf und die Gefahr für den Menschen stehen in einem direkten Verhältnis. Eine unwahrscheinliche und geringe "Gefahr" durch eine viel größere Gefahr "bekämpfen" zu wollen, die jährlich regelmäßig tatsächliche menschliche Opfer generiert, ist rational gesehen komplett unlogisch.
Der Fingerzeig auf den Autoverkehr ist in diesem direkten Zusammenhang aus der Luft gegriffen. Der Autoverkehr bietet sich nicht als "Problemlösung" für Probleme mit dem Wolf an, auch wenn er im Ergebnis unfreiwillig zu dessen Dezimierung beiträgt. Autoverkehr ist derzeit (noch) unentbehrlich für den größten Teil der Bevölkerung - ohne ihn lägen Wirtschaft, Warenaustausch und Versorgung der Bevölkerung lahm, es gäbe keine Müllentsorgung, keine Nahrungsmittel und keine Waren. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft wären eklatant.
Die Abschaffung der Hobbyjagd würde lediglich 0,4% der Bevölkerung betreffen, die einfach nur ihrem Hobby nicht mehr nachgehen könnten. 99,6% der Bevölkerung blieben davon völlig unberührt. Insofern hinkt der Vergleich zum Autoverkehr.
Ich habe den Autoverkehr an anderer Stelle deshalb ins Spiel gebracht, weil das von Politik, Medien und Gesellschaft aufgebrachte Engagement, endlich ein Wildtier aufgrund einer herbeigeredeten, faktisch nicht begründbaren Gefahr schießen zu dürfen, eben in keinem Verhältnis zu den (nicht vorhandenen) Opferzahlen steht, während 29.000 Kinder als Opfer im Straßenverkehr relativ gleichmütig und mit Achselzucken hingenommen werden.
Es gäbe ja technische Möglichkeiten wie Notbremsassistenten, mehr verkehrsberuhigte Zonen, Ausweitung von Tempolimits, härtere Strafen etc, die die Zahl der Verkehrsopfer zumindest teilweise reduzieren könnten, aber hier passiert erstaunlich wenig. Die Medien berichten zwar, aber diese Berichte apellieren weitaus weniger an Mitgefühl oder emotionale Beteiligung. Während jedes vermeintliche vom Wolf gerissene Schaf vor laufender Kamera minutiös dargeboten wird, bleiben die schwerwiegenden Verletzungen von Verkehrsopfern weitestgehend verborgen. Reine Zahlen emotionalisieren weitaus weniger als drastische Bilder, was aber Auswirkungen auf unsere Risikobewertung hat. "Die Sicherheit des Menschen steht an erster Stelle" ist so eine Phrase, die ich bislang nur im Zusammenhang mit dem Wolf gehört habe. Für andere Lebensbereiche gilt dieses Prinzip offensichtlich nicht.
Die Lobby für die Gesundheit und Unversehrtheit von Kindern ist erschreckenderweise weitaus weniger präsent und einflussreich wie die Jagd- und Agrarlobby. Ginge es wirklich um Kinder und die Sicherheit von Menschen, würden andere Themen die Medien- und Politiklandschaft dominieren als ausgerechnet der Wolf.