Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Über freilebende Wölfe in Deutschland.
zaino
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von zaino »

Wunderbare Bilder -- danke! *freu*
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Dr_R.Goatcabin
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

Ja, wenn man Bilder von Wölfen am Tag hat, heißt das eben, dass diesselben in der Nacht schlafen. Immer. Und alle anderen ebenso. Man hört es förmlich durch die Luft singend pfeifen, die messerscharfe Logik. :mrgreen:
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zaino
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von zaino »

Hm, ein Pferd schläft maximal 1, 2 Stunden von 24... Katzen schlafen vergleichsweise EXTREM VIEL... Wie ist das bei Prädatoren?
Mit Sicherheit haben die aber nicht zwingend einen strengen Tag-Nacht-Rhythmus wie wir Menschen.
Wer kennt sich aus und kann was dazu erzählen?
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Dr_R.Goatcabin
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

:roll: Mensch Zaino, die Wölfe laufen am Tage oder in der Nacht, wie es ihnen passt; vor allem aber, wann es Imbiss gibt. Hier, nur drei der Paper dazu.

Theuerkauf (2009): What Drives Wolves: Fear or Hunger? Humans, Diet, Climate and Wolf Activity Patterns. DOI: 10.1111/j.1439-0310.2009.01653.x.

Abstract
Aktivitätsmuster von Tieren hängen von Umwelt- und Eigenfaktoren ab. Studien, die über den aktuellen Wolfsbereich (Canis lupus) durchgeführt wurden, legten eine Reihe von Variablen nahe, die mit Aktivitätsmustern von Wölfen korrelieren können. Diese Faktoren variieren lokal und es gab bisher keinen Versuch, diejenigen zu definieren, die das Verhalten der Wölfe allgegenwärtig beeinflussen. Ich verglich 11 Studien (von Alaska nach Israel), um den Einfluss von (1) öffentlicher Straßendichte, (2) Bevölkerungsdichte, (3) durch Menschen verursachter Sterblichkeit, (4) Anteil von Haustieren an der Wolfsdiät, (5) zu bewerten ) Waldanteil, (6) Breitengrad und (7) mittlere Jahrestemperatur bei nächtlichen Wolfsaktivitäten und -bewegungen. Die nächtliche Aktivität korrelierte hauptsächlich mit dem Anteil von Haustieren in der Nahrung und der Dichte der öffentlichen Straßen, wohingegen nächtliche Bewegungen hauptsächlich mit dem Breitengrad korrelierten. Die Bedeutung des Breitengrads weist darauf hin, dass die Sonnenperiodizität ein wichtiges Signal ("Zeitgeber") für den Tagesrhythmus bei Wölfen darstellen könnte. Umwelteinflüsse wie hohe Tagestemperaturen und ein höherer Jagderfolg in Dämmerungsphasen dürften die Fähigkeit von Wölfen einschränken, Menschen durch nächtliches Verhalten auszuweichen. Ich schlage daher vor, dass in Regionen, in denen Wölfe wilde Beute jagen, ein Kompromiss zwischen dem Risiko menschlicher Raubtiere und dem gesteigerten Jagderfolg in der Dämmerung besteht.

Theuerkauf et al. (2003): DAILY PATTERNS AND DURATION OF WOLF ACTIVITY IN THE BIAŁOWIEŻA FOREST, POLAND. DOI: 10.1644/1545-1542(2003)084<0243:DPADOW>2.0.CO;2.

Abstract
Wir untersuchten den Einfluss der menschlichen Aktivität, der Beutejagd durch Wölfe, der Fortpflanzung und der Wetterbedingungen auf die täglichen Muster und die Aktivitätsdauer von 11 radiotracked Wölfen (Canis lupus) im Białowieża-Wald (Polen) von 1994 bis 1999. Durchschnittlich Wölfe waren 45,2% ± 0,9 SE der Zeit aktiv und fuhren 0,92 ± 0,05 km / h. Die durchschnittliche Dauer der Aktivitätskämpfe betrug 0,76 ± 0,05 Stunden, während die Inaktivitätskämpfe durchschnittlich 1,02 ± 0,07 Stunden betrugen. Wölfe waren den ganzen Tag über aktiv, aber ihre Aktivität erreichte ihren Höhepunkt in der Dämmerung, die mit Perioden zusammenfiel, in denen sie die meiste Beute töteten. Reproduktionsperioden und hohe Temperaturen hatten weniger ausgeprägte Auswirkungen auf die Aktivitätsmuster. Menschliche Aktivität und andere Faktoren hatten keinen signifikanten Einfluss auf die täglichen Aktivitätsmuster der Wölfe. Der Einfluss des Menschen kann indirekt sein, wenn die Jagd auf Huftiere durch den Menschen die Aktivitätsmuster der Beute des Wolfes verändert. Wir kommen zu dem Schluss, dass die täglichen Aktivitätsmuster der Wölfe in unserem Untersuchungsgebiet hauptsächlich von ihrem Jagdmuster geprägt waren.

Eggermann et al. (2009): Daily and seasonal variation in wolf activity in the Bieszczady Mountains, SE Poland. DOI: 10.1016/j.mambio.2008.05.010.

Abstract
Die Wolfsaktivität variiert erheblich zwischen verschiedenen Studien, die Aktivitätsmuster durch Faktoren wie menschliche Aktivität, Zuchtstatus oder Verfügbarkeit von Beute erklärten (Fancy und Ballard 1995; Vila`et al. 1995; Ciucci et al. 1997; Theuerkauf et al. 2003; Kusak et al. 2005; Chavezand Gese 2006; Theuerkauf et al. 2007). Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die hohe Variabilität der Aktivitätsmuster der Wölfe auf ihre Fähigkeit zurückzuführen ist, auf verschiedene Umweltbedingungen zu reagieren (Packard 2003). Die Aktivität einzelner Wölfe kann auch zwischen den Tagen variieren und von tagaktiv zu nachtaktiv wechseln. Ziel unserer Studie war es, die Variabilität der Wolfsaktivität zwischen Tagen und Jahreszeiten zu untersuchen und die wichtigsten Faktoren zu bestimmen, die die Aktivität im polnischen Bieszczady-Gebirge beeinflussen.
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zaino
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von zaino »

Ja, macht Sinn.... selbst unsere Hauspferde sind in der Dämmerung meist nervöser und wachsamer als zu anderen Zeiten. Ein Relikt aus der Evolution und dem Zusammenleben mit Prädatoren.

Schimpf mich doch nicht, ich hatte eher an die Dauer der inaktiven Zeiten der einzelnen Spezies gedacht...
Wolfs-Theoretiker
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von Wolfs-Theoretiker »

Hallo Benjamin2015,
sehr schöne Videos. Aber Du machst es Dir zu leicht mit der Tag- oder Nachtaktivität der Wölfe, egal ob in Ostpolen oder sonst wo.
Es ist allgemein bekannt, daß Wölfe jederzeit aktiv sein können und wie schon von einigen Mitforisten beschrieben sind die Wölfe
am aktivsten wenn sie sich auf Beutejagd befinden oder wie in einem der Videos gezeigt, wenn die Jungwölfe wahrscheinlich auf
ihrem Rendezvous-Platz fangen spielen oder so. Meistens sind die erwachsenen Wölfe unterwegs oder schlafen und wollen nicht
von dem fast selbstständigen Nachwuchs gestört werden.
Also ich bin auch der Meinung, solange der Wolf satt ist, dann ruht er oder umkreist sein Habitat, was natürlich bei Tageslicht einfacher
ist als in der Nacht, aber er läuft auch Nachts. Also irgendwie sind die Wölfe nicht abhängig von Tag oder Nacht um aktiv zu sein.
Das letztere Video ist vom Mai und zeigt sehr schön, wie sich ein Wolfspaar ungezwungen in der Zeit zwischen der Paarung und der
Niederkunft der Wölfin benimmt. Aber es gibt keine Anzeichen, daß diese Wölfe ausschließlich tagaktiv sind.

Grüsse, WT
"Die Natur betrügt uns nie. Wir sind es immer, die wir uns selbst betrügen." Jean-Jacques Rousseau
zaino
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von zaino »

So ähnlich ist das auch bei Füchsen, die tagsüber in der STADT rumtrollen!!!
Also was tun wir nun mit dieser so gewonnenen Weisheit? Uns auch tagsüber vorm Wolf förchten? :shocked: :pleased:
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Dr_R.Goatcabin
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

Haswell et al. (2020): Fear of the dark? A mesopredator mitigates large carnivore risk through nocturnality, but humans moderate the interaction. DOI: 10.1007/s00265-020-02831-2. Volltext

Abstract
Obwohl Tiere durch endogene Rhythmen, Morphologie und Ökologie eingeschränkt sind, können sie als Reaktion auf das Risiko dennoch flexible Aktivitätsmuster aufweisen. Die zeitliche Vermeidung interspezifischer Aggressionen kann den Zugriff auf Ressourcen ohne räumlichen Ausschluss ermöglichen. Apex-Raubtiere, einschließlich Menschen, können die Aktivitätsmuster von Mesopredatoren beeinflussen. Der menschliche Kontext kann auch zeitliche Interaktionen zwischen Raubtieren verändern. Wir untersuchten Aktivitätsmuster, Nachtaktivität und die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf eine Gilde von Fleischfressern (Grauwolf, Canis lupus; Eurasischer Luchs, Lynx lynx; Rotfuchs, Vulpes vulpes) auf Reiserouten im Nationalpark Plitvicer Seen, Kroatien. Die Menschen waren tagaktiv, Füchse nachtaktiv, und große Carnivoren waren aktiv unmittelbar nach Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang.
Die Aktivitätsmuster von Fleischfressern überlappten sich stark und in ähnlichem Maße für alle Paarungen. Die Aktivitätskurven folgten den Erwartungen, die auf interspezifischem Tötungen beruhten, wobei die Aktivitätsspitzen zusammenfielen, wenn die Unterschiede in der Körpergröße gering waren (Wolf und Luchs), jedoch nicht, wenn sie mittelschwer waren (Füchse bis große Carnivoren). Die Aktivität von Carnivoren, insbesondere von Füchsen, überschnitt sich viel weniger mit der von tagaktiven Menschen. Füchse reagierten auf eine höhere Aktivität großer Carnivoren, indem sie nachtaktiver waren. Niedrige Lichtverhältnisse bieten wahrscheinlich sicherere Bedingungen, indem sie die visuelle Erkennbarkeit von Mesopredatoren verringern. Die nächtliche Wirkung großer Carnivoren wurde jedoch durch menschliche Aktivitäten gemildert und verringert. Dies könnte möglicherweise auf eine zeitliche Abschirmung oder eine Störung der Risikohinweise zurückzuführen sein. Subtile zeitliche Vermeidung und Nachtaktivität können es Mesopredatoren ermöglichen, mit interspezifischer Aggression bei gemeinsam genutzten räumlichen Ressourcen umzugehen. Eine höhere menschliche Aktivität milderte die Auswirkungen der zeitlichen top-down Unterdrückung, die folglich die trophischen Wechselwirkungen von Mesopredatoren beeinflussen könnten.
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Benjamin2015
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Re: Verlieren die Wölfe in Deutschland die große Scheu vor Menschen?

Beitrag von Benjamin2015 »

Ich denke aber schon, dass der Wolf insbesondere in Ostdeutschland durch den Menschen eher stark nachtaktiv ist. Es mag sein, dass er im Kerngebiet des Territoriums im Schutze der Vegetation auch mal tagsüber aktiv ist. Aber längere Wanderungen nach der Suche nach einem neuen Territoriums oder Nahrung werden doch größtenteils im Schutze der Dunkelheit bzw. der Nacht stattfinden. Sonst würde man sie schon öfters auf den Feldwegen oder so was sehen.
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