Die Geschichte wird - lange bevor ein Ermittlungsergebnis feststeht - von den entsprechenden Interessengruppen wieder instrumentalisiert.
Beispiel: Eine Bekannte brachte mir heute eine Ausgabe der "Lünepost" - das sogenannte "Wochenblatt für Lüneburg und Umgebung", das anzeigenfinanziert ist und kostenlos an sämtliche Haushalte in der Zielregion verteilt wird.
Dort wurde in großen Lettern auf der Titelseite gefragt: "Wie gefährlich ist der Wolf?". Als Hintergrund für die angeblich wieder aufflammende Diskussion wird der "Fall in Griechenland" angeführt und dabei die Vermutungen des Gerichtsmediziners als vermeintliche Fakten vorausgesetzt:
Doch ein Fall in Griechenland sorgt jetzt für Angst: Dort wurde am 21. September eine Engländerin (64) von Wölfen getötet und aufgefressen.
Lünepost, Ausgabe Nr. 79, 4.10.2017: Wie gefährlich ist der Wolf?
Das Lokalblatt kann sogar den Tathergang ganz genau beschreiben:
Die Frau wanderte in einem dicht bewaldeten Gebiet zwischen Komotini und Maronia [...] Dann griffen die Wölfe an. Die Touristin rief noch während der Attacke bei Verwandten in England an. [...] Der Rettungstrupp fand nur noch die abgenagten Knochen der Frau im Versteck der Wölfe."
Lünepost, Ausgabe Nr. 79, 4.10.2017: Wie gefährlich ist der Wolf?
Da wurden das fehlende Wissen ganz offensichtlich mit kreativer Eigenphantasie mal eben ein bisschen ergänzt.
Worauf das ganze hinausläuft, kann man sich schon denken. Die Frage, die die LÜNEPOST dann stellt, lautet erwartungsgemäss:
Können Wölfe und Menschen zusammen leben? Oder müssen Jäger die Tiere gezielt abschießen, zumindest durch Beschuss abschrecken?
Lünepost, Ausgabe Nr. 79, 4.10.2017: Wie gefährlich ist der Wolf?
Die Auflösung erfährt der Leser dann auf Seite 3 von einem "Experten". Und der stammt von? Der Jägerschaft Lüneburg.
Und dann darf sich dieser unwidersprochen der Jagdwerbung hingeben. Der Tod der Engländerin "durch Wölfe" sei "ein Warnsignal für alle". Der Wolf sei nicht zu unterschätzen, sondern müsse als "Großraubtier" akzeptiert werden.
Im gleichen Atemzug mit den Wolf werden dann weitere - wörtlich "Plagen" - vorgestellt - Waschbär und Marderhund. Marderhunde hätten "einen unstillbaren Appetit auf nahezu alles", und stellten deshalb "eine ebenso große Gefahr dar wie der Waschbär" - "besonders für seltene Wasservögel, bedrohte Amphibien wie den Laubfrosch oder Wasserschildkröten und Lurche". Angeblich seien sich laut des Jägers "fast alle Naturschutzverbände einig". Hier müsse "gehandelt" werden. Und: "Die Jäger sind die Einzigen, die hier zum Wohl der Bürger handeln können".
Zuvor kommen die üblichen Phrasen: Naturschutz und Jagdleidenschaft stünden "nicht im krassen Widerspruch". "Das sei ein weit verbreiteter Irrglaube. Ein gewissenhafter Jäger übernimmt in seinem Revier eine große Verantwortung auch in Bezug auf den Naturschutz und leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt."
Der betreffende Jäger bewirbt sich gerade als Naturschutzbeauftragter für den Landkreis Lüneburg. In einem solchen Amt unterstützt und berät man die Naturschutzbehörden und ist Ansprechpartner für Bürger. Andere Kandidaten werden in der Lünepost nicht vorgestellt - auch keine anderen Sichtweisen als die jagdliche des ehemaligen langjährigen Vorsitzenden der Jägerschaft.
Wie eng das Feld des "anerkannten Naturschutzvereins" allerdings gefasst ist, zeigt die Tatsache, dass der Kandidat nach eigenen Angaben gerade auf einem "Vortrag" gelernt habe, wie er Wildbienen mit der "richtigen Gartenbepflanzung" helfen könne und daher seine Kirschlorbeersträucher nun durch "Pflanzen mit höherem Nährwert für Wildbienen und andere Insekten" ersetzen wolle.
Von einem Naturschutzbeauftragten, der die Naturschutzbehörden beraten soll, würde ich allerdings mehr erwarten, als elementare wildbiologische Kenntnisse, die über die Jagd hinausgehen, jüngst in einem Vortrag erworben zu haben.
Interessant wäre die Frage, wie solche - nicht als "Anzeige" -, sondern als Journalismus getarnte Beiträge zustandekommen, wer da auf wen zugeht und wer da wen entlohnt.