@Jan:
In der Schweiz gibt es seit dem Winter 1994/95 wieder Wölfe. Lange Jahre waren es nur Einzeltiere, 2012 bildete sich das erste Rudel, 2015 das zweite. Aktuell kann man von etwa 30 Wölfen ausgehen (inkl. Jungtieren der beiden Rudel).
In diesem Zeitraum von nun 21 Jahren wurden insgesamt rund 2100-2200 Nutztiere von Wölfen gerissen, mehrheitlich Schafe. Klingt nach viel, sind im Durchschnitt aber "nur" 100 pro Jahr. Wobei mit der steigenden Wolfszahl der Durchschnitt der letzten fünf Jahre höher war (eher 150-200). Die Zahl der Wölfe ist in den letzten Jahren signifikant stärker angestiegen als die Zahl der Schäden, was wiederum als Erfolg des Herdenschutzes zu bewerten ist. Die oben genannte Zahl der gerissenen Nutztiere wurde als Wolfsriss entschädigt. In vielen Fällen, vor allem in den neueren, liegen DNA-Nachweise von Wölfen durch Speichel- oder Kotproben vor. Bei den ersten Schäden in den 90er Jahren wurden zwar auch Wölfe der italienischen Linie nachgewiesen, aber Speichelproben etc. gab es dann noch nicht (zumindest nicht im Wolfsmonitoring) und die Nachweise gelangten teilweise erst mehr als ein Jahr später. Bei Rissen an Nutztieren werden heute quasi standardmässig Speichelproben genommen. Gerade im trockenen Sommer 2015 war aber nur eine Minderheit von diesen überhaupt erfolgreich für die Artbestimmung. Treten die Risse aber in den bekannten Wolfsterritorien im Alpenraum auf, werden diese in der Regel trotzdem dem Wolf zugerechnet. Das ist so auch korrekt, da wildernde Hunde in dieser Gegend (d.h. im Sömmerungsgebiet oberhalb der Baumgrenze) kaum ein Problem sind. Das Problem der wildernden Hunde ist in der Schweiz ,wo es praktisch keine verwilderten Hunde gibt (wie in Italien), eher in Siedlungsnähe im Flachland anzutreffen, wenn Halter ihre Tiere nicht unter Kontrolle haben. Ich habe vom Sommer 2015 die Resultate von 60 Speichelproben nach Rissen auf Schafalpen gesehen. Mehrheitlich konnte gar keine Art festgestellt werden, in einigen Fällen waren es Wölfe (italienische Linie), in einigen Fällen unbestimmte Caniden (Wolf, Hund, etc. -> nur Bruchstücke der DNA waren vorhanden und erlaubten keine klare Zuordnung), aber in keinem dieser Fälle Hunde. Diese Stichprobe vom Sommer 2015 zeigt, dass die Risse auf den Sömmerungsweiden im Schweizer Alpenraum durchaus korrekt mehrheitlich Wölfen zugeordnet werden, da es keine Indizien auf das regelmässige Auftreten von Wildernden Hunden gibt und andere Verursacher (Luchs, Fuchs, Steinadler, etc.) aufgrund des Rissbildes ohnehin ausgeschlossen werden können.
Diese längere Herleitung soll nur zeigen, dass die eingangs erwähnten Risszahlen durchaus realistisch sind. Dass ein paar wenige dem Wolf zugerechnete Risse von Hunden verursacht wurden, kann zwar nicht ganz ausgeschlossen werden. Umgekehrt gibt es aber ausserhalb der bekannten Wolfsgebiete immer mal wieder Risse, wo Hunde vermutet werden, die DNA-Analysen aber auch kein Ergebnis bringen und daher im Einzelfall auch Wölfe verantwortlich sein dürften. Es dürfte sich etwa ausgleichen. .
Die Zahlen der erwähnten Stichprobe vom Sommer 2015 sind leider nicht öffentlich verfügbar. Die schweizweiten Risszahlen sind unter folgendem Link zu finden:
http://www.kora.ch/index.php?id=292&L=%271
Nun zu deinen Fragen:
Zum einen haben einzelne Kantone auch detailliert zu den Rissen kommuniziert, so etwa der Kanton Freiburg. Dort lebten bisher wohlgemerkt nur Einzeltiere (seit 2006/07), Rudel oder sonstwie vergesellschaftete Wölfe wurden bisher nicht nachgewiesen. Es wurde festgestellt, dass bei Wolfsangriffen auf ungeschützte Schafherden im Durchschnitt sechs Tiere gerissen werden. Waren die Herden durch Herdenschutzhunde begleitet, wurden im Durchschnitt pro erfolgreichem Angriff nur noch 1,5 Tiere gerissen. Die Zahl der nicht erfolgreichen Angriffe kann aus naheliegenden Gründen nicht quantifiziert werden. Diese Zahlen belegen einerseits die Effizienz von Herdenschutzhunden. Sie zeigen aber auch, dass bei Angriffen auf ungeschützte Schafherden durch Einzelwölfe "Overkills" die Regel sind, nicht die Ausnahme.
http://www.fr.ch/sff/de/pub/aktuelles.c ... wsID=45448
Die meisten Kantone publizieren die Zahlen nicht so exakt, auch Freiburg tut dies nicht immer. In der obigen Schadenstatistik des KORA sind leider nur die Risszahlen enthalten, nicht aber die Anzahl der Angriffe. Das machen die Franzosen besser, siehe hier:
http://www.rhone-alpes.developpement-du ... 7f875f.pdf
Zu den Zahlen der Franzosen muss aber gesagt werden, dass sie im Wolfsgebiet alle Risse von Caniden dem Wolf zurechnen, obwohl dort wildernde Hunde weitaus häufiger sind als in der Schweiz und nur selten DNA-Proben genommen werden (zumindest nicht in den bekannten Wolfsgebieten). Die Zahlen sind also mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen, dennoch bestätigen die Erfahrung aus der Schweiz, dass "Overkills" bei ungeschützten Herden die Norm sind und nicht die Ausnahme.
Konkrete Beispiele solcher "Overkills" und von Fällen, wo Nutztiere mehr oder weniger stark verletzt, aber nicht getötet wurden, gibt es entsprechend zahlreiche. Ich bringe hier einfach mal ein paar aktuelle vom letzten Jahr:
http://www.1815.ch/news/wallis/aktuell/wolf-3/
Zu diesem Fall ist zu sagen, dass die DNA-Proben an den Rissen auf dieser und der benachbarten Alp die Wölfin F14 als Verursacherin nachwies. Das gezeigte Schaf ist später trotz tierärztlicher Behandlung zuhause gestorben.
Weitere Fälle in der selben Region:
http://www.1815.ch/news/wallis/aktuell/ ... rtmanntal/
http://www.1815.ch/news/wallis/aktuell/zinal/
http://www.1815.ch/news/wallis/aktuell/wolf-9/
Oder auch hier...
https://www.schweizerbauer.ch/tiere/ueb ... 10807.html
...mit dem dazugehörigen Bild:
http://f.blick.ch/img/incoming/origs232 ... Schafe.jpg
Die Liste solcher Vorfälle liesse sich beliebig verlängern. In diesen Fällen wurden Wölfe jeweils per DNA nachgewiesen.
Der meines Wissens bisher heftigste Angriff in der Schweiz ereignete sich im Herbst 2006, als 31 Schafe bei einem Angriff getötet wurden, die übrigens eingezäunt waren. Der Riss stammt nachweislich von Wölfen, aber zu diesem Zeitpunkt lebte dort ein gegengeschlechtliches Paar, sie haben also vielleicht zu zweit angegriffen.
http://www.kora.ch/index.php?id=213&L=2 ... bd09ee6e7d
Im obigen Link fehlt aber leider die Anzahl der getöteten Tiere. Der Fall hat aber aus einem anderen Grund einige Wellen geworfen:
http://www.blick.ch/news/schweiz/schafe ... 20796.html