Danke für den Link!
Ich konnte mir beim Lesen ein breites Grinsen nicht verkneifen.
85 Prozent macht es glücklich, in der Natur zu sein. Eltern ist es wichtig, ihren Kindern die Natur nahezubringen.
Jau, mit Waldspaziergang zum nächsten Waldcafé mit Kinderspielplatz und nur ja keine schmutzigen Schuhchen bekommen. Sorry, wenn's etwas sarkastisch klingt, aber so habe ich es oft genug beobachtet. Die Natur ist nur Kulisse für irgend welche Freizeitaktivitäten und hat ansonsten wenig selbstbezogenen Wert. Keine Angebote? Keine Dauerbespaßung? Wie langweilig... Und dazu noch körperliche Anstrengung? Geht ja überhaupt nicht...
Entsprechend bewerte ich die Ergenisse der Umfragen eher skeptisch. Dahinter steckt eklatantes Nichtwissen und sehr viel Naivität.
Gibt es Wildnis in Deutschland?
61% "ja"
24% "nein"
12% "weiß nicht"
Und wie sieht es wirklich aus? Tatsächlich gibt es Wildnis im Sinne von "vom Menschen unbeeinflußt" nur in Spuren, z.B. an unzugänglichen Steilhängen, die sich nun wirklich nicht nutzen lassen und nie nutzen ließen. Selbst "Urwaldzonen", von denen es ein paar gibt, sind keine Primärwälder, sondern Wälder, die nur seit längerer Zeit (bestenfalls ein paar hundert Jahre) nicht mehr wirtschaftlich genutzt wurden (z.B. der Rothwald). Unsere "Nationalparks" sind im Grunde Mogelpackungen, wenn auch besser als gar nichts. Aber sie haben mit "Wildnis" so viel zu tun wie der Sandkasten auf dem Spielplatz mit der Ténéré oder der botanische Garten mit den Regen- und Nebelwäldern in British Columbia...
Sollte Wildnis zugänglich sein?
35% "Zugang auf Wegen"
33% "Zugang mit Führung"
16% "Kein Zugang"
11% "ungehinderter Zugang"
5% "weiß nicht"
Hier liegt m.E. die Problematik im Verhalten der Leute, die aus unseren Wäldern eine Müllkippe machen, anstatt alles, was sie reintragen, auch wieder mit rauszunehmen. Dazu Pilze umtreten, Büsche zerknüppeln, brennende Kippen in die Büsche etc. pp. Das könnte einen zu der Annahme verführen, daß "kein Zutritt" die beste Lösung ist. Allerdings wird sich dann kaum noch jemand dafür interessieren, denn nur, was man kennt, ist man bereit, zu schützen.
Ich selber bin logischerweise als alter "Waldläufer" für freien Zutritt, also das andere Extrem. Das ist aber mit dem bundesdeutschen Durchschnittsbürger nicht zu machen, denn: s.o.
Hier kommt allerdings auch in's Spiel, was sich die Leute unter "Wildnis" so vorstellen. So wird denn auch in Absatz 2 des Links "Wildnis" und "Naturfläche" de facto gleichgestellt, was zumindest sehr oberflächlich ist. Auch das hier
65 Prozent der Befragten gaben zu Protokoll, dass ihnen Natur umso besser gefällt, je wilder sie ist.
zeugt nur von Nichtwissen. Ich denke mal, die Menschen haben bei solchen Statements etwa den Bayrischen Nationalpark mit seiner romantischen Urwaldzelle und dem Höllbach Gspreng (in der sich die Touris knubbeln) im Sinn. Ich glaube nicht, daß Menschen, die so argumentieren, bewußt ist, daß
echte Wildnis, wie etwa noch im Hohen Norden Europas (sic! Norwegen, Schweden, Finnland, Island, aber auch Schottland), sie binnen 2...3 Tagen umbringen kann, im Winter auch in wenigen Stunden. Man verwechselt Naturromantik mit der Gnadenlosigkeit/Gleichgültigkeit echter Wildnis, in der der Mensch nur ein Tier unter vielen ist, das sich entweder anpaßt oder stirbt. Solche Gegenden kennen m.E. 99,99% der Bevölkerung allenfalls aus dem bequemen Fernsehsessel heraus, nicht aus der Praxis. So gesehen ist "je wilder, desto besser" etwas naiv.
Unter dem Aspekt, was in Deutschland machbar ist, sollten Naturflächen zugänglich bleiben, damit die Menschen interessiert bleiben und echte Naturfreunde ggf. sogar aktiv beim Erhalt mitzuhelfen bereit sind. Ein ordentliches, interessantes Wegeangebot plus fakultativ (interessante und lehrreiche

) Führungen sollten eine deutliche Lenkungsfunktion haben, denn die wenigsten sind in der Lage, querbeet zu laufen, ohne sich die Haxen zu verbiegen und/oder sich zu verlaufen. Den wenigen echten Naturfreunden, die auch einen Blick für die Gegebenheiten haben und so z.B. Wildeinstände oder andere sensible Bereiche automatisch/instinktiv vermeiden, sollte man freien Zutritt aber ebensowenig verwehren wie das Biwakieren unter Primitivbedingungen (also nichts mit "Camping"!), das idealerweise keine Spuren hinterläßt, zudem ebenfalls nur die wenigsten bereit sind. Bei entsprechender (zurückhaltender) Infrastruktur (je weiter rein in ein "Wildnis"gebiet, desto schlechter, schwieriger und "gefährlicher" die Wege: Nicht alles muß lackschuh-, kinderwagen- und rollatortauglich sein!) sollte sich also automatisch eine gewisse Regelung der Besucherströme einstellen.
Was die Tiere angeht, so grassiert in dem Welt-Beitrag resp. unter den Befragten offensichtlich ein gewisser Niedlichkeitfaktor.
Biber, Luchs, Waschbär und Wildkatze weisen eine gewisse "Putzigkeit" auf (Rehe, Hirsche, Mufflons, Eichhörnchen und Co. sind per definitionem "niedlich"). Beim Wolf (der Braunbär als gelegentlicher Gast erscheint gar nicht in der Umfrage!?) scheiden sich dann wieder die Geister und das unseelige Rotkäppchensyndrom feiert fröhliche Urständ. Dabei ist gerade der Wolf
das Symbol für die Wildnis schlechthin (daß der Wolf in Kulturland sehr gut zurechtkommt, lasse ich jetzt mal außenvor, mir geht's hier um die Symbolik) und sein "strenger", wissender Blick aus gelbgrünen Augen scheint einem bis in die Tiefen der Seele zu schauen, was nach meinen Erfahrungen die meisten gar nicht mögen. "Putzig" ist er wahrlich nicht...
...und das ist auch gut so, denn Putzigkeit oder Niedlichkeit provoziert m.E. Oberflächlichkeit.
Vor dem Hintergrund, daß der Wolf für den Menschen keine relevante Gefahr darstellt (die Gefahr, sich mit irgendwelchen Beeren leichtsinnig zu vergiften, ist ganz entschieden größer, von Pilzen mal ganz zu schweigen!), stimmt mich das Ergebnis traurig.
Deutschland soll wilder werden, aber bitteschön ohne Wolf? Das kann es wohl nicht sein. Da würde was fehlen, nämlich die Seele der Wildnis...
Gruß
Wolf