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Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 16:47
von LarsD
Hallo Vash, willkommen in der Runde.
Vash hat geschrieben: Neben den m.E. unsäglichen Versuchen mancher Zeitgenossen mit dem "Rotkäppchen-Syndrom" Stimmung gegen den Wolf zu machen sind die Nutztierhalter, wie in allen Wolfsgebieten, diejenigen die am ehesten mit dem Wolf in Konflikt geraten dürften. Was zunächst wie der Beginn einer einvernehmlichen Diskussion wirkte, in der sich Schafhalter und Wolfsbefürworter einig waren, dass die Tierhalter in betroffenen Regionen finanziell besser unterstützt werden sollten, scheint mir jedoch gerade wieder aus dem Ruder zu laufen... [...]
Die Frage ist: Wie sehr sind die Menschen bereit gewisse Bequemlichkeiten aufzugeben, um einem Tier wie dem Wolf ein langfristiges Überleben hierzulande zu ermöglichen? Und genau hier liegt vermutlich schon der große Knackpunkt: Die breite Masse gibt ungern Bequemlichkeiten auf, schon gar nicht wenn es um ein Raubtier geht, das viele nur aus Märchen kennen. Meine große Hoffnung ist, dass es in Deutschland nicht wie in den USA in Hass umschlägt.
Artenschutzkonflikte sind stets Interessenkonflikte. Angefeuert werden sie dadurch, dass sich die tatsächlich von den Auswirkungen betroffenen Menschen im Stich gelassen und mißverstanden fühlen, wähend gleichzeitig vom ganzen Geschehen absolut nicht betroffene Mitmenschen von ihnen eine Umstellung der Arbeitsweise und das Akzeptieren von Verlusten forden. Das Ganze schlägt spätestens dann in Hass um, wenn der Konflikt von Selbstdarstellern mißbraucht wird, angebliche Experten zu Märchenerzählern werden und statt rationalem Denken die Emotionen die Oberhand gewinnen. Jede dieser Zutaten haben wir inzwischen auch beim Thema Wolf längst auf dem Tisch. Nötig wären Sachlichkeit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander.
Was verstehst Du konkret unter dem "unsäglichen Rotkäppchen-Syndrom"?
Viele Grüße
Lars
Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 17:44
von Lutra
Lars, merkst du was?
"Im Stich gelassen", "mißverstanden","Hass","Selbstdarsteller","Märchenerzähler"....
Klingt nicht gerade danach:
Nötig wären Sachlichkeit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander.
Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 17:56
von Vash
Hallo Lars,
ich gebe dir recht, dass "Lagerbildungen" der Sache wenig zuträglich sind, wenn jeder der festen Ansicht ist, die jeweils andere Seite wollte nur das Schlechte. Ein Geheimrezept diese menschliche Eigenschaft zu durchbrechen ist mir leider auch noch nicht eingefallen, zumal es wohl für beide Seiten schwer ist die Emotionen außen vor zu lassen. Wie geschildert kann ich einen Tierhalter verstehen, der sich veralbert und im Stich gelassen fühlt, wenn er nur von Dritten den Ratschlag bekommt: Mach dies und tu jenes, bekommst ja alles entschädigt - was dann aber in der Realität ganz anders aussehen mag. Gerade wer Tiere nicht aus rein kommerziellen Gründen hält baut sicherlich auch eine emotionelle Verbindung zu ihnen auf, was den Verlust eines Tieres dann ebenfalls schwerer macht. Die Frage ist hier aber auch: Wer ist denn ein "nicht betroffener Mitmensch"? Genauso wie es falsch ist die Rückkehr des Wolfs nur mit "Schau zu wie du mit ihnen klar kommst"-Parolen auf den Rücken der Tierhalter der Region abzuwälzen, ist es genauso falsch und unsinnig die Entscheidung, ob der Wolf hier wieder heimich werden darf oder nicht, vornehmlich den Tierhaltern der Region zu überlassen. Eben weil Artenschutz unterm Strich kein reiner Interessenskonflikt sein darf, ist hier eine sachliche Diskussion auf beiden Seiten erforderlich.
Auch ich spreche mir eine gewisse Emotionalität in Sachen Wölfe gar nicht ab, eben weil ich der Ansicht bin, dass es sich um ein sehr kluges Tier handelt, das in seinem Sozialverbund, dem Rudel, den frühen Menschen gar nicht so unähnlich ist. Ich weiß zu welchem emotionellen Spektrum Hunde fähig sind und finde es daher einfach falsch den Abschuss von Wölfen so leichtfertig zu fordern wie das Ausrupfen von irgendwelchem Unkraut. Das bitte ich jedoch nicht mit naivem "Wölfe sind so süß, denen darf man nix tun"-Gerede gleichzusetzen, ich empfinde das selbe für jede andere Säugetierart, die aufgrund menschlicher Bequemlichkeit ausgerottet werden soll - und sei es nur regional - obwohl es von sich aus in der Lage wäre in der Region zu überleben.
Genauso wie man als Wolfsbefürworter jedoch akzeptieren muss, dass es früher oder später auch wieder Abschüsse und Jagd auf Wölfe geben wird, wenn sich die Art auf Dauer hier wieder ansiedelt und vermehrt, müssen auch die Wolfsgegner die Bereitschaft erlangen, sich von irgendwelchen erneuten Ausrottungsszenarien zu distanzieren. Ich denke nur so ist die von dir beschriebene Sachlichkeit im Umgang miteinander überhaupt erst möglich.
Ich persönlich verstehe unter "unsäglichem Rotkäppchen-Syndrom" die wiederkehrenden Kommentare von Eltern, die meinen ihre Kinder angeblich nicht mehr in Wolfsgebieten unbeaufsichtigt lassen zu können. Wer gegen den Wolf mit Märchenszenarien vom Rotkäppchen Stimmung zu machen versucht ist m.E. entweder so naiv wie jemand, der im Wolf ein prima Kuschel-Haustier sieht, oder verfolgt in Wahrheit ganz andere Interessen und ist sich nicht zu schade solche Horror-Szenarien hervorzukramen. Unter 6 Jahren haben m.E. Kinder alleine im Wald usw. eh nichts verloren, mal davon abgesehen, dass es unzählige andere Möglichkeiten gibt als Kind oder Erwachsener alleine in der Natur verletzt oder gar getötet zu werden. Ich persönlich reagiere z.B. wie nicht wenige Menschen allergisch auf das Gift von Bienen, ein Stich reicht und ich liege zwei Wochen mit Schwellungen und 40 Grad Fieber im Bett - trotzdem bin ich jeden Sommer lange in der Natur unterwegs und habe es seit 20 Jahren vermeiden können gestochen zu werden, weil ich mich an gewisse Regeln halte, die mein Vergnügen dabei gar nicht mal nennenswert beeinträchtigen. Daher kann ich einfach Leute nicht verstehen, die sich aus Angst vor dem Wolf nicht mehr in den Wald trauen, oder Possen ala "Ich werde nicht mehr in dieser oder jener Region meinen Wanderurlaub machen wenn es dort Wölfe gibt" reißen. Über die Ausrottung des Tigers in Indien, oder des Elefanten in Afrika schimpfen, obwohl dort Tier und Mensch in vielen Dörfern wirklich noch direkte Nachbarn sind, aber in Deutschland keinen freilaufenden Wolf ertragen können ist m.E. einfach nur naiv.
VG,
Vash
Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 18:46
von LarsD
Lutra hat geschrieben:Lars, merkst du was?
"Im Stich gelassen", "mißverstanden","Hass","Selbstdarsteller","Märchenerzähler"....
Klingt nicht gerade danach:
Nötig wären Sachlichkeit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander.
"Im Stich gelassen": Jemand hält sich auf verschiedenen Grünflächen am Dorf 5 oder 6 Schafe. Wölfe siedeln sich in der Nähe an und man teilt ihm das mit entsprechenden Hinweisen zum Schutz der Schafe mit. Um diesen Schutz zu realisieren, braucht er nun Elektrozäune, das entsprechende Impulsgerät, Akkus usw.. Förderung bekommt er dafür in Brandenburg keine. Springt dann dennoch ein Wolf über diesen Zaun oder bringt die Schafe dazu, diesen selbst umzurennen, bekommt unser Jemand in Zukunft nur noch 80% des tatsächlich entstandenen Schadens. Mal abgesehen von diesem blöden Gefühl der Ohnmacht angesichts der gerissenen Schafe darf sich unser Jemand dann nicht im Stich gelassen fühlen?
"mißverstanden": Wenn die Nichte von unserem Jemand angesichts der trotz E-Zaun gerissenen Schafe Sorge hat, ihre beiden kleinen Kinder morgens im Dunkeln allein zum Bus laufen zu lassen und das laut äußert, bekommt sie heute ganz sicher attestiert, sie würde am "Rotkäppchen-Syndrom" leiden. Darf sich diese Frau dann mißverstanden fühlen?
"Selbstdarsteller": Halten sich für Experten, sind vom eigentlichen Konflikt in keiner Weise betroffen und bereichern die Diskussion statt mit Fakten und begründeten Argumenten lieber mit Polemik, Verdrehung und Provokation. Du kennst allein aus verschiedenen Foren entsprechenden Beispiele auf beiden Seiten.
"Märchenerzähler": In der Diskussion um die Rückkehr der Wölfe haben viele Befürworter Sorge, dass Ehrlichkeit dazu führen könnte, dass sich die Stimmung gegen den Wolf wendet. Daraus erwachsen dann Halbwahrheiten und zum Teil platte Lügen. Das fängt mit der Parole an, der Wolf sei vom Aussterben bedroht und reicht bis hin zu "gesunde Wölfe greifen niemals einen Menschen an". Symptomatisch dafür ist die Kombination der beiden Aussagen: "Der Wolf wurde vor 150 Jahren in weiten Teilen Europas nahezu ausgerottet." und "In den letzten 50 Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in ganz Europa nur 9 Fälle, in denen Menschen von Wölfen getötet wurden. Fünf davon wurden Opfer tollwütiger Wölfe. Die Tollwut wurde in Deutschland vor Jahren ausgerottet." Würde man das in einer öffentlichen Veranstaltung mit dem Hinweis ergänzen, dass die übrigen 4 Todesopfer Kinder waren, die von gesunden Wölfen als Beute angesehen wurden ... -> "Rotkäppchen-Syndrom"! Verbale Steinigung inbegriffen ...
"Hass": Der kommt gern dort auf, wo jemand lange und intensiv genug den Eindruck bekommt, seine (aus seiner persönlichen Sicht richtigen) Argumente würden nicht gehört. In der Umsetzung sind das dann vorsätzlich illegal getötete Wölfe oder eben umgesägte Hochsitze im Wald.
Wird jetzt klarer, dass es mir trotz dieser Synonyme durchaus um Ehrlichkeit und Sachlichkeit im Umgang miteinander geht? Was derzeit beim Thema Wolf abgeht, kenne ich zur Genüge vom Streit um den Kormoran. Das ganze Ding ist für mich ein Déjà-vu.
Viele Grüße
Lars
Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 19:50
von Vash
@Grauer Wolf:
Ich denke auch, dass Idealismus nicht mit Weltfremdheit gleichgesetzt werden sollte und finde es eher lobenswert, wie du dich so manchen Angriffen mit Sachlichkeit aber vor allem auch mit Empathie entgegenstellst. Mag es auch angesichts der Vielzahl an Problemen auf der Welt schwer sein einem Thema wie dem Tier-/Artenschutz entsprechend Raum einzuräumen würde ich in keiner Welt leben wollen, in der das Überleben einer Tierart (auch regional) ausschließlich auf der Basis von Kosten-/Nutzenrechnung entschieden wird. Soviel Mitgefühl sollte man m.E. von einem zivilisierten Menschen heute erwarten dürfen, die Tötung eines Tieres nur als letzten und auf keinen Fall als einfachsten Weg heranzuziehen. Wer eine Tierart hier wieder ausrotten will und dabei argumentiert, diese Tierart dürfte nur in "weitflächigeren Gebieten" wie Alaska, Russland, Schweden usw. heimisch bleiben klammert einfach die Tatsache aus, dass das menschenverursachte Artensterben in den nächsten Generationen noch stark zunehmen wird, wenn man nur dort bereit ist Wildtiere zuzulassen, wo sie möglichst keinen Menschen stören - oder sagen wir: wo sie einen selbst nicht stören.
VG,
Vash
Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 19:54
von LarsD
Hallo Vash,
wenn ich Deine Zeilen richtig verstehe, dreht sich der Konflikt noch um die Frage, ob sich Wölfe hier überhaupt ansiedeln sollen. Das Thema ist meiner Ansicht nach durch. Die Wölfe sind hier und sie werden es bleiben. Das ist längst von der großen Mehrheit der Leute hier in Deutschland akzeptiert. Deshalb dreht sich die eigentliche Diskussion inzwischen um die Frage, wie denn das Miteinander von Mensch und Wolf in dieser zersiedelten Landschaft dauerhaft möglichst konfliktarm gestaltet werden kann. Wenn ich in dem Zusammenhang zukünftig die Bejagung der Wölfe grundsätzlich befürworte, bin ich weit davon entfernt, die Ausrottung der Wölfe zu fordern.
Ich persönlich verstehe unter "unsäglichem Rotkäppchen-Syndrom" die wiederkehrenden Kommentare von Eltern, die meinen ihre Kinder angeblich nicht mehr in Wolfsgebieten unbeaufsichtigt lassen zu können. Wer gegen den Wolf mit Märchenszenarien vom Rotkäppchen Stimmung zu machen versucht ist m.E. entweder so naiv wie jemand, der im Wolf ein prima Kuschel-Haustier sieht, oder verfolgt in Wahrheit ganz andere Interessen und ist sich nicht zu schade solche Horror-Szenarien hervorzukramen.[...]
Vor dem Hintergrund, dass unsere Vorfahren schon recht früh begonnen haben, den Wolf gnadenlos zu verfolgen mal ein paar Fakten und platte Zahlen:
Zahl der Opfer von gesunden Wölfen in Europa -
im 18. Jahrhundert: > 602
im 19. Jahrhundert: 379
im 20. Jahrhundert: 22
Angriffe von gesunden Wölfen in Europa, Russland und Nordamerika, die Menschen als Beute ansahen, hatten in den Monaten Juni (14%), Juli (22%) und August (14%) jahreszeitlich ihren Schwerpunkt.
Quelle:
http://www.nina.no/archive/nina/PppBase ... ng/731.pdf Tabellen 7, 8 und 9
Die Studie zeigt und erläutert, woher unsere Angst vor dem Wolf stammt und das unsere Vorfahren den Wolf nicht nur wegen gerissener Nutztiere oder gar aus Jagdneid verfolgten. Selbstverständlich kann man diese Zahlen heute gegen die Risiken für Kinder z.B. im Straßenverkehr aufrechnen. Selbstverständlich ist das tatsächliche Risiko von einem Wolf angefallen und verletzt bzw. getötet zu werden, statistische gesehen wahrlich gering. Aber damit wirst Du die Sorgen von Eltern kleiner Kinder kaum zerstreuen.
Vergleicht man aber die Rahmenbedingungen im 18. und 19. Jahrhundert mit denen von heute, verkneift man sich den Spruch mit dem "Rotkäppchen-Syndrom" besser und macht sich stattdessen Gedanken darüber, wie wir in Zukunft verhindern, dass sich Wölfe zu sehr an unsere Gegenwart gewöhnen. Denn im 18. und 19. Jahrundert gab es keine Mülltonnen auf Raststätten an Autobahnen und Bundesstraßen, aus deren Inhalt jeweils ein ganzes Wolfsrudel seinen Nahrungsbedarf decken könnte. Es gab keine Campingplätze mitten in der Natur, auf denen neben Mülltonnen auch gleich noch Lebensmittel für Tiere leicht zugänglich gelagert werden. Es gab keine Jogger, die in der Dunkelheit noch mit oder ohne Hund durch Wälder rennen. Habituierung von Wölfen ist nicht nur das bewußte Füttern. Wir tun im Moment vielmehr nahezu alles dafür, dass Wölfe die Scheu vor dem Menschen verlieren. Das gepaart mit Fehleinschätzungen durch Menschen bei Begegnungen mit Wölfen sind die Voraussetzungen für Zwischenfälle in der heutigen Zeit. Davon würde gegenwärtig einer reichen, um unsere hysterische Gesellschaft amok laufen zu lassen. Deshalb würde ich das "Rotkäppchen-Syndrom" an Deiner Stelle aus der Liste der Argumente streichen.
Viele Grüße
Lars
Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 21:44
von Vash
Hallo Lars,
es tut mir leid, wenn ich da abgeschweift sein sollte. Ich denke wir sind uns einig, dass der Wolf sich hier auf natürliche Weise wiederangesiedelt hat. So sehr scheint mir die Frage ob er jetzt auch bleiben wird hingegen noch nicht geklärt. Mit dem aktuellen Bestand stellt der Wolf noch immer eines der seltensten Säugetiere Deutschlands dar und immer wieder kommt es zu überfahrenen Wölfen. Wie häufig nach dem Sehen-Schießen-Schaufeln-Prinzip verfahren wird möchte ich dabei gar nicht wissen. Dennoch wird jeder Wolfsriss gerne von einigen Medien breitgetreten, selbst Rehkadaver usw. werden bisweilen emotional präsentiert, wenn klar ist, dass ein Wolf das Reh gerissen hat.
Als hier dann wieder der Vergleich mit Dinosauriern aufkam und ich zwischen den betroffenen Zeilen lesen musste, dass der Wolf hier eigentlich gar keine Daseinsberechtigung mehr besäße, wollte ich eben genau das noch einmal in Frage gestellt wissen. Mag auch in Umfragen "die große Mehrheit" den Wolf in Deutschland akzeptieren, habe ich eben aufgrund vieler Kommentare in diversen Foren, bzw. Online-Publikationen das Gefühl, dass der Wolf einer große Mehrheit der Menschen in Deutschland in Wirklichkeit egal ist, da man nicht selbst von ihm betroffen ist. Genau deshalb kann die Stimmung aber auch schnell kippen.
Dass es auch in Hinblick auf Wölfen zu Todesopfern kam ist unbestritten. Hier will ich mich gar nicht unter diejenigen einreihen die behaupten, es gäbe keinen nachgewiesenen Fall, in denen ein Mensch durch einen gesunden Wolf zu Tode gekommen wäre. Hier wäre jedoch m.E. schon wünschenswert, dass bei Präsentation solcher Zahlen darauf hingewiesen wird, dass dies kein reines "Wolfs-Problem" ist. Wieviele Verletzte/Tote gibt es durch Wildschweine, Bienen, Pferde, Kühe, bzw. andernorts durch Elefanten, Tiger, Bären, Schlangen, Spinnen usw. Sicher muss man der Bevölkerung klar machen, dass der Wolf kein Kuscheltier ist und auch kein "Heiliger" unter den Beutegreifern. Man muss aber auch versuchen das Bewusstsein unter der breiten Masse zu schärfen, dass man vor dem Wolf nicht mehr Respekt haben muss als vor jedem anderen Wildtier. Es ist traurig wenn bei manchen das Gefühl vorzuherrschen scheint die Natur sei ein Disneypark, in dem schon irgendjemand für größtmögliche Sicherheit zu sorgen hätte. Das zeigt eigentlich nur, wie sehr sich solche Menschen von der Natur entfernt haben. Mehr Wildnis wagen wäre angebracht. Dies wäre auch möglich, ohne dass jeder der den Gefahren der Großstadt entfliehen will zukünftig Angst haben muss sein Haus am Waldrand zu verlassen.
Insofern bin ich bereit über die Definition des Begriffs "Rotkäppchen-Syndrom" zu diskutieren, halte es aber für gefährlich dieses Feld in Diskussionen unkommentiert denen zu überlassen, die genau mit der Angst, Kleinkinder könnten demnächst wieder von Wölfen im Wald getötet werden, Stimmung gegen die natürliche Wiederansiedlung des Wolfs machen. Ob man nun vom Rotkäppchen-Syndrom spricht oder nicht, die Medien werden hysterisch reagieren, wenn es zu einem Zwischenfall kommen sollte - eben weil es Quote bringt - und das Risiko, dass dann wieder viele Amok laufen ist groß. Als Rotkäppchen-Syndrom will ich daher aber nicht die Verharmlosung des Wolfs als Raubtier verstanden wissen, sondern eher die emotionelle Panikmache, in der Leute die Angst um die Kinder vorschieben um Stimmung gegen ein von ihnen verhasstes Raubtier zu machen - im Gegenzug aber kaum Bedenken haben ihr Kind stundenlang vorm Computer sitzen zu lassen, alleine mit dem Fahrrad durch den Stadtverkehr zu schicken oder sich darum zu kümmern mit welchen Freunden ihr Kind sich später abgibt. So manchem 10jährigen den ich heute treffe traue ich durchaus zu einen Wolf wirkungsvoll zu vertreiben.
Auch ohne die präventive Bejagung des Wolfs (ab wann eigentlich: ab 100, 150, 300 Tieren in Deutschland?) dürfte die Wahrscheinlichkeit im Wald von einem Wildschwein oder Pferd in Deutschland verletzt oder gar getötet zu werden noch auf lange Zeit deutlich höher sein als einen Wolf überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Wo soll der Mensch also die Grenzen ziehen um die Gefahr von Zwischenfällen möglichst gegen Null zu fahren?
VG,
Vash
Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 23:01
von Grauer Wolf
LarsD hat geschrieben:Zahl der Opfer von gesunden Wölfen in Europa -
im 18. Jahrhundert: > 602
im 19. Jahrhundert: 379
im 20. Jahrhundert: 22
Ich habe die Nina Studie ja selber hier liegen. Wenn man die Berichte mal so durchgeht...

Ich bin der Meinung, daß historische Angaben mit äußerster Vorsicht zu gewichten sind. Ehrlich gesagt, halte ich Angaben aus dem 18. Jahrhundert oder gar noch ältere für nicht aussagekräftig bis hin zu absolut unglaubwürdig... Da mag so manches Mal der Tod eines Menschen völlig andere Ursachen gehabt haben und dem Wolf in die Schuhe geschoben worden sein, aus was für Gründen auch immer... Ich bin da
sehr skeptisch...
Da erinnert mich doch vieles an die "Bestie von Gevaudan", den angeblichen, menschenfressenden Killer-Wolf, den es mit einiger Sicherheit nie gegeben hat...
Selbst mein Großvater kam noch mit "Wolfsmärchen" aus dem Rußlandfeldzug an und erzählte die wohlig gruselnd, aber völlig unglaubwürdig. Was damals wirklich geschah, läßt sich heute kaum noch so aufarbeiten, daß sich harte,
belastbare Fakten herleiten lassen...
Das oft (auch von mir) zitierte Rotkäppchen-Syndrom steht für eine irreale, unbegründete Angst, die sich bis zur blanken Hysterie steigert und jegliches, klares Denken um reale Risiken ausschaltet. Zum Pilzesammeln nur noch mit einem großen Messer? Nicht mehr (alleine) in den Wald? Die Kinder morgens nicht mehr zur Bushalte? Also wirklich... Wie gesagt, ich würde mich in Wolfsland seelenruhig nachts im Wald zum Schlafen hinlegen und das meine ich völlig ernst... Ärger machen einem da höchstens die Ameisen in der Streu und schlecht gelaunte Wildschweine. Das Heulen der Wölfe zu hören, wäre schon ein grandioses Erlebnis, gar einen zu sehen unverschämtes Glück, einen (richtig gut) zu fotografieren ein 6er im Lotto... Das Schlimme oder auch Traurige je nach Sichtweise ist, das heutzutage sehr viele Menschen so sehr der Natur entwöhnt, ja entfremdet sind, daß sie in allem außer Häschen und Rehlein Lebensgefahr sehen, andererseits aber
reale Risiken unterschätzen oder gleich gar nicht wahrnehmen (Wildsauen (sic! ich hab schon Leute gesehen, die wollten die mit Futter anlocken

), herunterbrechendes Totholz bei Wind, allgemein schlicht das Wetter etc...). Nicht umsonst gibt's unzählige Unfälle mit tödlichen Ausgang draußen in der Natur (gerade erst auf Rügen

), die mit Wölfen genau nichts zu tun haben, wohl aber mit Mißachtung der "Gesetze" der Natur und/oder bodenlosem Leichtsinn...
Ich sehe den Wolf genau als das, was er ist: Weder als Heiligen (wie leider manche Naturromantiker) noch als Killer, sondern einfach als, zugegebenermaßen aus verschiedenen Gründen sehr faszinierendes, Tier, das in unsere Wälder gehört wie Fuchs oder Dachs, wobei die Gefahr, die von "Isegrim" für Menschen ausgeht, asymptotisch gegen Null strebt. Da ist es ja wahrscheinlicher, auf einem Pilz auszurutschen und sich den Hals zu brechen, als daß einen ein Wolf auch nur schief anschaut...
Gruß
Wolf
Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 8. Jan 2012, 23:22
von CleanerWolf
LarsD hat geschrieben:
Zahl der Opfer von gesunden Wölfen in Europa -
im 18. Jahrhundert: > 602
im 19. Jahrhundert: 379
im 20. Jahrhundert: 22
LarsD hat geschrieben:Was war, interessiert nicht. Entscheidend ist, was kommt.

Re: Wölfe in Brandenburg
Verfasst: 9. Jan 2012, 00:26
von LarsD
Grauer Wolf hat geschrieben: Ich bin der Meinung, daß historische Angaben mit äußerster Vorsicht zu gewichten sind. Ehrlich gesagt, halte ich Angaben aus dem 18. Jahrhundert oder gar noch ältere für nicht aussagekräftig bis hin zu absolut unglaubwürdig... Da mag so manches Mal der Tod eines Menschen völlig andere Ursachen gehabt haben und dem Wolf in die Schuhe geschoben worden sein, aus was für Gründen auch immer... Ich bin da sehr skeptisch...
Nimm einfach die letzten vier Fälle. Das war Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, es waren Kinder und es waren augenscheinlich "habituierte", gesunde Wölfe, die in diesen Kindern schlicht Beute gesehen haben. Wie oft wurde Mech mit der Aussage zitiert, dass in Nordamerika im 20. Jahrundert kein Mensch durch einen Wolf getötet wurde. Heute wird er mit der Aussage zitiert, dass (sinngemäß) das langfristige Überleben des Wolfes davon abhängen wird, wieviel tatsächliche Wildnis ihm als Lebensraum zur Verfügung steht. In einer stark besiedelten Kulturlandschaft sei der Wolf hingegen nicht kompatibel. Dort gäbe es zu viele Konflikte.
In Nordamerika wird bei Diskussionen um die potenzielle Gefährlichkeit von Wölfen gerne darauf verwiesen, dass die Wölfe in Europa ja offensichtlich die Schlimmeren wären. Dennoch hatten sie dort mit dem Tod von Candice Berner im letzten Jahr den jüngsten Fall, bei dem Wölfe gezeigt haben, dass wir nicht unbedingt am Ende der Nahrungskette stehen. (
http://www.adfg.alaska.gov/static/home/ ... tality.pdf ) Wölfe können, wenn sie wollen. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass sie eben nicht wollen. Gelingt das nicht, wird Mech zumindest für Deutschland wohl leider recht behalten. Deshalb halte nicht nichts von verklärenden Nebenkerzen und dem wiederholten Totschlagargument "Rotkäppchen-Syndrom". Wir brauchen weder Panik, noch Angst - aber den nötigen Respekt vor dem Wolf und ein Bewußtsein für die möglichen Folgen von Fehlverhalten auf unserer Seite muss jetzt in die Köpfe der Menschen. Frei nach dem Motto: "Und führe mich nicht in Versuchung."

Und das wird schwer genug.
Viele Grüße
Lars