@ timber-der-wolf
Danke, daß Du den Brief von Chief Seattle herausgesucht hast. Den Worten dieses weisen Mannes ist nichts hinzuzufügen...
timber-der-wolf hat geschrieben:Glüchwunsch!!! Habe lange nicht so einen guten, konstruktiven Beitrag gelesen!
Nur, ob die zunehmend verdummte, naturferne Menschheit das begreift?
Insbesondere den Hinweis: "Nicht Füttern! Nicht Vertraut machen! Distanz wahren!" Ich habe da so meine berechtigten Zweifel, denn genau das Gegenteil wird aus falsch verstandener "Tierliebe" praktiziert - Abfälle auf Komposthaufen, füttern von Wildtieren in [Stadt-]Parks, an Seen und auch im Wald, ... und dann wird sich über Wildschweine, Füchse, Waschbären, Schwäne, ... irgendwann auch über Wölfe aufgeregt, wenn es zu Konflikten mit diesen Wildtieren kommt.
Da habe ich mächtig meine Zweifel und solche Meldungen:
http://www.otz.de/startseite/detail/-/s ... 1555147471
bestärken diese Zweifel noch. Die Leute zieht es doch nur noch in die Natur zum Freizeiten wie Joggen, Reiten, Walken, Mountainbiken, Geocaching o.ä., also Natur als bloße Kulisse für die Aktivitäten der Spaßgesellschaft, die genausogut in einem Park stattfinden könnten. Dann wird Natur noch als Bereicherung im Sinne von Unterhaltung empfunden, wenn sie grandios oder niedlich ist: Grandiose Berg- oder Seenlandschaften, gerade recht für's Fotohobby, oder niedlich in Form von Bamis oder kleinen Häschen, die das Kindchenschema ansprechen und an Disneyland gemahnen. Auch Wald (zu dem ich eine besondere Beziehung habe) wird nur als schön empfunden, wenn er ordentlich ist, mit hübsch gepflegten, für Sonntagsschuhchen und Kinderwagen geeigneten Wegen, mit Wegweisern, Ruhebänken und möglichst einem Waldcafé mittendrin... Natur wird gezähmt erlebt in "Wildparks", die "bösen" Raubtiere wie Luchs und Wolf schön hinter Gitter, für die Rehe, Hirsche, Zicklein und sonstigen Streicheltiere gibt's sogar Futterautomaten (Hat schon mal einer einen Fleischautomaten gesehen, um den Wölfen ein Leckerli zukommen zu lassen?

).
So wird Natur heute erlebt, immer schön unter Kontrolle, immer nur als Freizeitaktivität...
Aber wehe, die Natur zeigt ihr mal ganzes Spektrum, das eben nicht nur eitel Sonnenschein, den Bilderbuch-Märchenwald, kleine, niedliche Häschen und Rehlein sowie imposante, röhrende Hirsche umfaßt, sondern eben auch ihre harten Seiten. Angefangen bei Unwettern, die Äste aus den Bäumen brechen und zu Boden krachen lassen (huch, dat is' aber gefährlich...

) oder mal ganze Waldstriche flachlegen, weiter in der eben nicht niedlichen Welt der Tiere, in der auch gestorben wird. Da liegt'n Karnickel am Wegesrand, halb verwest, oder der Sonntagsspaziergänger stolpert über ein Reh, das den letzten Winter nicht überlebt hat: Ogottograus, das paßt aber so gar nicht in Spießbürgers heile Welt und mit was Pech und einem empfindlichen Magen kommt das gute Mittagessen hoch... Der Gedanke, mal ungeschützt außerhalb von Wohnung, Hotel oder Zeltplatz eine Nacht draußen verbringen zu müssen, verursacht regelrechte Panikanfälle...
Und dann kommt da auch noch der Wolf wieder nachhause. Ein Beutegreifer, der selber tötet, um zu leben, was der Mensch ja fein säuberlich von der Fleischtheke abgetrennt und delegiert hat, der aus den niedlichen Bambis und Häschen seine Mahlzeiten für Gefährtin und Welpen bezieht. Grausam, nicht wahr? Und schon kommen all die Schauergeschichten aus Rotkäppchen und Opas Russlandfeldzug wieder hoch und werden für bare Münze genomen, weil der Mensch keinen Draht mehr zur Natur hat, sie nicht mehr versteht. Oder der Mensch fällt ins andere Extrem und macht aus dem Wolf einen Heiligen, was auch wieder nicht stimmt. Beides hat mit der Realität wenig zu tun...
Je eher der Mensch begreift, daß auch der Wolf nur ein Tier ist wie du und ich, seine Bedürfnisse hat und seine Wünsche ans Leben, je eher er begreift, daß er einfach ein
Mitlebewesen ist (und weder Killer noch Heiliger), das das gleiche Recht auf Leben hat wie alles auf der Welt, desto besser wäre es. Ich glaube, am besten für die Wölfe wäre es, wenn man die Leute drauf anspricht und die Antwort kommt "Wölfe? Jau, haben wir hier in der Gegend... So what... *achselzuck*"
Den Jägersleut geht in weiten Teilen die Naturnähe ebenfalls ab, obwohl sie sich geradezu als Hort des Naturschutzes sehen. Auf dem Hochsitz hocken und Wild schießen hat damit wenig zu tun, die Eigenwahrnehmung ist hier wohl ein wenig gestört... Wer dem Wolf seine Beute neidet und statt dessen jammert "
mein Muffelwild,
meine Rehe,
meine Hirsche, mein... mein... mein...", der hat auch nicht verstanden, begreift das komplexe Geflecht der Natur nicht, im dem leben und sterben/getötet werden eine untrennbare Einehit sind, bekannt als Nahrungskette. Statt dessen wird immer noch einseitig Partei ergriffen, nicht etwa, weil man Reh und Has' so gut leiden kann, sondern weil man sie für sich will (trau, schau, wem...)...
Was das auf Distanz bleiben angeht, das sollte vielleicht etwas relativiert werden... Es gab und gibt immer Menschen, die eine tiefe Beziehung auch zu wilden Tieren haben resp. aufbauen können und in der Lage sind, mit ihnen in Kontakt zu treten oder gar zu kommunizieren (artübergreifende Kommunikation ist ja nun wirklich nichts neues oder weltbewegendes, auch nicht zwischen Beutegreifern wie Wolf, Bär oder eben auch Mensch)). Die sollte man nicht aus falsch verstandenem Naturschutz-Ergeiz und Paragraphen-Hörigkeit davon abhalten. Es sind ohnehin nur wenige und die reden meistens nicht drüber...
Anfüttern geht natürlich überhaupt nicht und auch das mit dem vertraut machen sollte man cum grano salis sehen. Tiere, zumal intelligente Beutegreifer, sehen m.E. nicht einfach nur "Menschen", an die sie gewöhnt werden, sondern Individuen, was impliziert, daß sie vielleicht
einem vertrauen, aber der Masse gegenüber durchaus gesunde Skepsis an den Tag legen, was ja etliche Ergebnisse der Verhaltensforschung im Feld nahelegen, bei denen Forscher durchaus von der Gruppe akzeptiert ggf. sogar fast integriert wurden, während Fremde sofort mit dem üblichen, mißtrauischen Verhalten gestraft wurden...
Zuviel (geistige) Distanz ist m.E. nicht unbedingt wünschenswert, kann es nicht sein, denn die führt nur dazu, daß wir im Extremfall die Tiere um uns herum nur noch als Staffage wahrnehmen, nicht mehr als Lebewesen um ihrer selbst willen. Wohin das führt, nun, das sehen wir ja tagtäglich...
Mein Fazit daher: Distanz? Nein!
Respekt? Aber ja!
Soweit ein paar ungeordnete Gedanken zum Thema Naturnähe resp ~ferne und der Beziehung Mensch/Tier, die das komplexe Thema gerade mal ankratzen und nicht einmal ansatzweise vollständig sind...