Re: Wie isoliert ist der deutsche Wolfsbestand?
Verfasst: 8. Okt 2013, 23:35
Hi,
danke Lars für Deinen sehr gut recherchierten Beitrag. Leider wird hier der meiner Meinung nach der wichtigste Punkt vergessen, nämlich was eigentlich eine Population ist. Es ist kein Geheimnis, dass hier das Naturschutzrecht eine kleine Schwachstelle aufweist. Die Polen haben lediglich gezeigt, dass die deutschen und westpolnischen Wölfe den ostpolnischen/baltischen Tieren genetisch ähnlich sind. Alles andere wäre ja absurd: Wie Lutra richtig anmerkt ("So neu ist die Erkenntnis nun wieder nicht, dass die deutsch-westpolnischen Wölfe von der baltischen Population abstammen. Sie sind ja schließlich nicht vom Himmel gefallen." Danke Lutra, schöner kann man es nicht ausdrücken). Bekanntermaßen stammen die deutschen/westpolnischen Wölfe vom nordosteuropäischen Wolfsbestand ab. Da die lokale Population hier noch nicht sehr alt ist, wird man genetisch kaum eine Trennung erwarten können, schon gar nicht, wenn man, wie die Polen, einen recht großskaligen Ansatz wählt. Nun ist aber eine Population nicht nach genetischen Gesichtspunkten als "Ansammlung von Individuen, die sich mittels Mikrosatelliten und /oder mitochondrialer Sequenzmarker klar von anderen solchen Ansammlungen abgrenzt" definiert. Je nach Studiendesign und Markersystem finden wir selbst bei sich schlecht ausbreitenden Arten oft keine genetische Differenzierung über recht weite Areal hinweg, z.B. bei vielen Wirbellosen in verschiedenen Mittelgebirgszügen, obwohl oft viele Kilometer unbesiedeltes Habitat dazwischen liegen. Natürlich handelt es sich aber hier um Populationen, die man als eigene Schutzeinheit ansehen muss. Entscheidend ist hierbei, ob Populationen eine eigene Populationsdynamik aufweisen, z.B. ob sie weitgehend unabhängig voneinander aussterben können. Ein einziger sich reproduzierender Migrant reicht pro generation und unabhängig von der Populationsgröße (zumindest als grobe Faustregel) aus, damit sich zwei Populationen nicht genetisch auseinander entwickeln. Für populationsdynamische Prozesse, wie einen Populationsrückgang und im extremen Fall Aussterben hat ein einzelner Migrant meist wohl kaum einen Einfluss. Zurück zu unseren Wölfen: So wie es momentan aussieht, genau wissen wir es wohl auch noch nicht, mag sich gelegentlich ein Wolf aus Osteuropa bei uns ansiedeln und mit etwas Glück sogar die genetische Diversität auffrischen. Das wird aber kaum verhindern, dass unser Wolfsbestand nicht innerhalb kürzester Zeit wieder aussterben könnte, würden sich bei uns gewisse "Rahmenbedingungen" für ihn ändern. Auch sind ja über viele Jahrzehnte hinweg immer wieder Wölfe in Mittel- und Westeuropa erfolgreich eingewandert, genutzt hat das aber erst etwas, als diese "Rahmenbedingungen" schließlich besser wurden. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir müssen uns darüber unterhalten, was wir eigentlich als Population definieren. Und bis wir es nicht besser wissen, erscheint es meiner Meinung nach sehr sinnvoll, den deutsch-westpolnischen Wolfsbestand auch biologisch als Population zu betrachten. Auch in der polnischen Studie finde ich keine Hinweise darauf, dass es nicht so wäre (man muss aufpassen: als Population wird im Deutschen wie im Englischen nicht immer eine biologische Population im engeren Sinne, sondern auch der Bestand in einer bestimmten geographischen Region bezeichnet. Wenn also gesagt wird, "deutsche Wölfe seinen Teil einer großen nordosteuropäischen Population", heisst das noch lange nicht, dass sie wirklich eine gemeinsame Population bilden. Klingt beknackt, ist aber so). Jäger etwa wissen im übrigen ziemlich gut, was eine Population ist. Denn besonders bei jagdbaren Arten spielt es eine große Rolle, welches wirklich die grundlegende, zu managende Einheit ist. Nur weil mal ein Hirsch bei uns alle paar Jahre das Flusstal, welchen die beiden Mittelgebirge, zwischen denen ich wohne, kreuzt, käme wirklich kaum jemand auf die Idee, beide Bestände als eine Population zu bezeichnen. Dann könnte man die eine ja ausrotten und beruhigt argumentieren, dass die Population insgesamt noch in einem sehr guten Zustand sei. Das Geschrei der "Betroffenen" auf der einen Seite wäre (zu Recht) groß... Ist ein dummer Vergleich, sorry.
Im übrigen kann ich über genetische Studien fast beliebig Populationen erzeugen, wenn das wirklich der maßstab sein sollte. Wenn ich zwei Italiener und 100 deutsche Wölfe zusammen werfe, bekomme ich mit den Methoden, welche die Polen angewandt haben, ganz leicht eine einzige Population heraus. Mit der identischen Methode kann ich Dir in Deutschland prima mehrere Populationen erzeugen, welche in Wirklichkeit nur familiäre Verwandtschaftsstrukturen abbilden. Das Design der Polen-Studie ist jedenfalls nicht dafür geeignet, die Frage, ob deutsche Wölfe eine eigene Population bilden oder nicht, zu beantworten. Das war ja auch gar nicht Sinn und Zweck des Papers.
Viele Grüße
W.
danke Lars für Deinen sehr gut recherchierten Beitrag. Leider wird hier der meiner Meinung nach der wichtigste Punkt vergessen, nämlich was eigentlich eine Population ist. Es ist kein Geheimnis, dass hier das Naturschutzrecht eine kleine Schwachstelle aufweist. Die Polen haben lediglich gezeigt, dass die deutschen und westpolnischen Wölfe den ostpolnischen/baltischen Tieren genetisch ähnlich sind. Alles andere wäre ja absurd: Wie Lutra richtig anmerkt ("So neu ist die Erkenntnis nun wieder nicht, dass die deutsch-westpolnischen Wölfe von der baltischen Population abstammen. Sie sind ja schließlich nicht vom Himmel gefallen." Danke Lutra, schöner kann man es nicht ausdrücken). Bekanntermaßen stammen die deutschen/westpolnischen Wölfe vom nordosteuropäischen Wolfsbestand ab. Da die lokale Population hier noch nicht sehr alt ist, wird man genetisch kaum eine Trennung erwarten können, schon gar nicht, wenn man, wie die Polen, einen recht großskaligen Ansatz wählt. Nun ist aber eine Population nicht nach genetischen Gesichtspunkten als "Ansammlung von Individuen, die sich mittels Mikrosatelliten und /oder mitochondrialer Sequenzmarker klar von anderen solchen Ansammlungen abgrenzt" definiert. Je nach Studiendesign und Markersystem finden wir selbst bei sich schlecht ausbreitenden Arten oft keine genetische Differenzierung über recht weite Areal hinweg, z.B. bei vielen Wirbellosen in verschiedenen Mittelgebirgszügen, obwohl oft viele Kilometer unbesiedeltes Habitat dazwischen liegen. Natürlich handelt es sich aber hier um Populationen, die man als eigene Schutzeinheit ansehen muss. Entscheidend ist hierbei, ob Populationen eine eigene Populationsdynamik aufweisen, z.B. ob sie weitgehend unabhängig voneinander aussterben können. Ein einziger sich reproduzierender Migrant reicht pro generation und unabhängig von der Populationsgröße (zumindest als grobe Faustregel) aus, damit sich zwei Populationen nicht genetisch auseinander entwickeln. Für populationsdynamische Prozesse, wie einen Populationsrückgang und im extremen Fall Aussterben hat ein einzelner Migrant meist wohl kaum einen Einfluss. Zurück zu unseren Wölfen: So wie es momentan aussieht, genau wissen wir es wohl auch noch nicht, mag sich gelegentlich ein Wolf aus Osteuropa bei uns ansiedeln und mit etwas Glück sogar die genetische Diversität auffrischen. Das wird aber kaum verhindern, dass unser Wolfsbestand nicht innerhalb kürzester Zeit wieder aussterben könnte, würden sich bei uns gewisse "Rahmenbedingungen" für ihn ändern. Auch sind ja über viele Jahrzehnte hinweg immer wieder Wölfe in Mittel- und Westeuropa erfolgreich eingewandert, genutzt hat das aber erst etwas, als diese "Rahmenbedingungen" schließlich besser wurden. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir müssen uns darüber unterhalten, was wir eigentlich als Population definieren. Und bis wir es nicht besser wissen, erscheint es meiner Meinung nach sehr sinnvoll, den deutsch-westpolnischen Wolfsbestand auch biologisch als Population zu betrachten. Auch in der polnischen Studie finde ich keine Hinweise darauf, dass es nicht so wäre (man muss aufpassen: als Population wird im Deutschen wie im Englischen nicht immer eine biologische Population im engeren Sinne, sondern auch der Bestand in einer bestimmten geographischen Region bezeichnet. Wenn also gesagt wird, "deutsche Wölfe seinen Teil einer großen nordosteuropäischen Population", heisst das noch lange nicht, dass sie wirklich eine gemeinsame Population bilden. Klingt beknackt, ist aber so). Jäger etwa wissen im übrigen ziemlich gut, was eine Population ist. Denn besonders bei jagdbaren Arten spielt es eine große Rolle, welches wirklich die grundlegende, zu managende Einheit ist. Nur weil mal ein Hirsch bei uns alle paar Jahre das Flusstal, welchen die beiden Mittelgebirge, zwischen denen ich wohne, kreuzt, käme wirklich kaum jemand auf die Idee, beide Bestände als eine Population zu bezeichnen. Dann könnte man die eine ja ausrotten und beruhigt argumentieren, dass die Population insgesamt noch in einem sehr guten Zustand sei. Das Geschrei der "Betroffenen" auf der einen Seite wäre (zu Recht) groß... Ist ein dummer Vergleich, sorry.
Im übrigen kann ich über genetische Studien fast beliebig Populationen erzeugen, wenn das wirklich der maßstab sein sollte. Wenn ich zwei Italiener und 100 deutsche Wölfe zusammen werfe, bekomme ich mit den Methoden, welche die Polen angewandt haben, ganz leicht eine einzige Population heraus. Mit der identischen Methode kann ich Dir in Deutschland prima mehrere Populationen erzeugen, welche in Wirklichkeit nur familiäre Verwandtschaftsstrukturen abbilden. Das Design der Polen-Studie ist jedenfalls nicht dafür geeignet, die Frage, ob deutsche Wölfe eine eigene Population bilden oder nicht, zu beantworten. Das war ja auch gar nicht Sinn und Zweck des Papers.
Viele Grüße
W.