Lämmchen hat geschrieben:Was ist ein Surplus-Kill?
Du schreibst, er würde die Gelegenheit nutzen, um mehrfach Beute zu machen.
Ein "Überschuß-Töten", wörtlich übersetzt.Wenn sich einem Wolf in der Natur selten mal die Gelegenheit bietet, ein zweites Tier zu erbeuten, wird er das tun und nicht sagen "nein danke, hab schon". Überschüßiges Fleisch verkommt nicht, sondern wird später gefressen oder ernährt unzählige kleine Kostgänger vom Fuchs bis zur Elster und aasfressenden Insekten.
Lämmchen hat geschrieben:Das tat er in dem Bericht nicht. Er lies die schwerverletzten Tiere zurück.
Die hätten ganz sicher nicht mehr weglaufen, geschweige denn, sich weiter wehren können.
Gefressen wurde nur ein einziges Lamm.
Ich gehe davon aus, daß der Wolf gestört wurde. Normalerweise wird erlegte Beute nicht im Stich gelassen bis alles verputzt ist.
Lämmchen hat geschrieben:Der Schaden war sehr groß, nicht nur der materielle, auch das Tierleid.
Im Bericht heißt es, "Wer sich die Weidefläche am Tatort genauer anschaut, bekommt ein Gefühl dafür, was die Hiervor ihrem Tod noch durchgemacht haben."
Gefühlsduselei für die Presse, um Stimmung gegen den Wolf zu machen. Was Tiere in Massenvermehrungsanstalten durchmachen, ist schlimmer. Letztlich sind Gatter, Zäune o.ä. weder in der Natur vorgesehen. Allerdings ist der Wolf intelligent und weiß Hindernisse zu nutzen, um seine Beute in die Enge zu treiben. Wenn der Mensch in seiner Dummheit dann eine Steilvorlage liefert, bleibt die natürlich nicht ungenutzt. Empfehlung, wie man Schafherden richtig schützt, gibt es übrigens, man muß es nur tun und es wird sogar subventioniert, wobei tüchtige Landwirte wie balin nicht drauf warten, bis der Staat sie beim Händchen nimmt, sondern selber aktiv werden und handeln: Gutes, "wolfsgerechtes" Fleisch muß natürlich etwas teurer bezahlt werden, das ist der Preis für mehr Natur...
Lämmchen hat geschrieben:Man kann doch in einem bewohnten Gebiet nicht tagelang Tierleichen herumliegen lassen.
Das ist natürlich klar. Einerseits aus Hygienevorschriften, andererseits vor allem aber, weil's "zivilisierten" Menschen den Magen rumdreht: Ogottograus, iggittibapfui, ein totes Tier *würg*. Der Tod ist in unserer Gesellschaft nicht mehr vorgesehen, zumindest nicht sichtbar. In der Natur blieb's einfach liegen: Kostgänger, s.o., der Rest ist für Pilze und Pflanzen (Stickstoffversorgung!).
Lämmchen hat geschrieben:Vielleicht könnte man dazu beitragen "den Großen Kreis des Lebens" etwas humaner zu gestalten. Nichts ist nur deshalb gut, weil es schon Abermillionen Jahre alt ist. Es gibt Fortschritt. Auch die Fähigkeit zur Empathie zählt dazu. Wenn alles nach einem großen Plan abläuft, den wir nicht verändern können, dann gibt es auch keine Schuld, keine Verantwortung. Das ist aber nicht meine Sicht.
Du denkst zu sehr aus menschlicher Perspektive. Wer die Natur als Ganzes betrachtet, muß sein anthropozentrisches, ganz besonders aber christliches Denken ablegen. Da gibt es nichts zu "gestalten" und auch Empathie resp. wie dieser Begriff benutzt wird ist ein menschliches Konstrukt. Um den Wolf zu verstehen, muß man versuchen, wie einer zu denken: Wie bekomme ich meine Familie, meine Welpen satt? Dann wird automatisch alles andere, was Menschen so unheimlich wichtig ist, nebensächlich.
Btw., "Empathie" ist die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Diese Fähigkeit ist auch Tieren zu eigen, ganz besonders sozialen Beutegreifern. Einerseits ist das notwendig, um im Familienverband zusammen zu leben, anderseits ist das "sich hineinversetzen in die Beute" ein Teil der Jagdstrategie. Dieser Bereich von Kognition und Emotion bei Tieren steht forschungsmäßig erst am Anfang, weil die Menschen das einfach nicht akzeptieren woll(t)en. Marc Bekoff ist einer der bahnbrechenden Forscher auf diesm Gebiet...
Ich schrieb übrigens auch nichts von einem großen Plan (klingt so nach Kreationismus). Das Rad des Lebens dreht sich auch ohne philosophische und christlich-religiöse Verrenkungen: Fressen und gefressen werden (bei Apex-Prädatoren nur Fressen; Tod durch Alter, Krankheiten, Unfälle, Kämpfe...), geboren werden und sterben, werden und vergehen.
Der Wolf frißt kein veganes Müsli und Punkt. Jagd durch Beutegreifer ist nun mal ein blutiges Geschäft, obgleich die das effektiv und professionell machen, und die Tischsitten bei Wolfens sind rustikal (bei der Geräuschkulisse kriegen manche eine Gänsehaut). Nichts für verzärtelte Gemüter...
Lämmchen hat geschrieben:Natürlich muss sich der Wolf sein "Essen erst einmal fangen und erlegen", doch wie viel Wolf erträgt eine Gegend?
Er ist da, o.k., wir müssen mit ihm leben, aber müssen wir ihn auch glorifizieren? Er bringt auch eine Menge Probleme. Unsere Gesellschaft ist nicht mehr die mittelalterliche, in der der Wolf noch bei uns zu Hause war. Wir leben heute dünner besiedelt. Ob das letztendlich auch für den Wolf wünschenswert ist ...?
Es gibt keine Problemwölfe, es gibt nur Problemmenschen, vor allen Dingen viel zu viele (bis dato 7,2 Mrd.), eine tödliche Gefahr für alles Wildlife rund um die Welt. Die Anzahl der Wölfe ist durch Gelände, Bewuchs, Beutetierangebot und damit die Rudelstärke weitgehend vorgegeben. Die Ammenmärchen, Wölfe würden sich wie die Wildschweine en masse vermehren, sind einfach nur dummes Zeug, denn schon die Sozialstruktur ist nicht zu vergleichen. Klar, die Wölfe werden sich weiter ausbreiten, aber die Kopfzahl je Revier (im Mittel ~ 200-300 km²) von ungefähr 8...10 adulten Tieren wird sich nur wenig ändern.
Glorifizieren? Es würde schon reichen, wenn die Menschheit mal von ihrem kranken Egotrip runterkommt und ihn und
sich selbst einfach als Lebewesen unter vielen betrachtet. Ich schätze, den meisten ist der Wolf eher egal, weil sie kaum jemals mit ihm in Berührung kommen. Es gibt natürlich auch wieder mal jene Zeitgenossen, die "Rotkäppchen und die 7 Geißlein" für ein Biologiebuch halten und Jogger, Pilzsucher, Wanderer, alte Omas und kleine Mädchen mit roten Mützen en masse gefressen sehen und den Untergang der Zivilisation prophezeien: Ewig Gestrige, die nichts kapiert und nichts gelernt haben.
Merke: Wie die Menschen mit dem Wolf umspringen, das sagt etwas über sie selber aus! Leider sind die Menschen eine äußerst mörderische, egomanische Art, die außer sich selber nichts gelten läßt, und dabei fleißig an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt. Trotzdem hoffe ich für die Zukunft und immerhin gibt es auch welche, die der Wolf fasziniert und die ihn hier in unserer Natur sehen wollen, als wichtiges, unverzichtbares Teil des ökologischen Systems.
Und so nebenbei gibt es auch manchmal jemanden wie mich, der dem Wolf spirituell verbunden ist (in dieser Hinsicht habe ich keine europäisch-christlichen Wurzeln). Fakten sind nicht alles, auch wenn sie wichtig zum Verständnis sind. Nur für das, was man liebt, dem man sich verbunden fühlt, setzt man sich vehement ein und lernt darüber, soviel man kann...
Gruß
Wolf