Frauen und Wölfe

Die Beziehung zwischen Mensch und Wolf, Zusammenleben, Herdenschutz, Konflikte und Lösungen.
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Nina
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Frauen und Wölfe

Beitrag von Nina »

Ein von Wolfsjagdbefürwortern gern bemühtes Argument für die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht mit regelmäßiger Abschussquote ist der Schutz von Frauen und Kindern.

Zum Beispiel nannte ein Hotelier, FDP-Lokalpolitiker und stellvertretender Samtgemeindebürgermeister die Angst der Frauen auf den Dörfern als einen Grund für die angebliche Notwendigkeit einer Wolfsbejagung.
„Das Verhalten der Dorfbevölkerung ändert sich massiv“ [...] Bei uns mögen Frauen nicht mehr allein mit ihren Hunden in den Wald gehen, weil sie Angst haben, dass ein Wolf den Hund als Konkurrenten attackiert“, erzählte der stellvertretende Bürgermeister der Samtgemeinde Amelinghausen. Er wisse auch von einer Reiterin, die ihren Hund nicht mehr auf Ausritte mitnimmt.

Hamburger Abendblatt, 12.06.2017: Wolfsjagd sollte kein Tabu sein https://www.abendblatt.de/hamburg/harbu ... -sein.html
Ganz davon abgesehen, dass eine Wolfsbejagung nicht garantieren kann, dass man keinem Wolf begegnet - es sei denn, man rottet die Wölfe wieder aus - stellt sich mir die Frage, ob hier tatsächlich pauschal eine erhöhte Angst auf Seiten der Frauen zu verzeichnen ist oder ob hier nicht eher Rotkäppchen Grundlage dafür ist, dass manche Männer sich über den "Umweg Wolf" in ihrer eigenen Bedeutung als "Beschützer" aufzuwerten versuchen.

Fakt ist: Der eigene Partner ist das größte Risiko für eine Frau, gewaltsam ums Leben zu kommen.
Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 147 Frauen durch ihren Partner oder früheren Partner ermordet oder so verwundet worden, dass sie an den Verletzungen starben. „Die Zahlen sind schockierend, denn sie zeigen, für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein gefährlicher Ort“, sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag in Berlin. Häufiger als jeden dritten Tag also wird eine Frau durch Partnerschaftsgewalt getötet.

FAZ, 20.11.2018: Das Zuhause ist für Frauen gefährlich https://www.faz.net/aktuell/gesellschaf ... 00481.html
Jeden dritten Tag eine getötete Frau - man stelle sich nur die Schlagzeilen vor, wäre der Wolf dafür verantwortlich. So aber verschwinden diese Zahlen unter den Begriffen "häusliche Gewalt", "Familiendrama" etc und werden weder von Medien noch von der Gesellschaft sonderlich beachtet.

In einer Berichterstattung von sat 1 mit dem Titel "Angst vor dem Wolf" war mir aufgefallen, dass bei den zum Thema befragten Personen die (älteren) Männer eine durchweg negative und die (ebenso älteren) Frauen eine gelassene bis positive Einstellung zum Wolf geäußert haben, was sich mit meinen eigenen Erfahrungen deckt.

Unter den führenden Wolfswissenschaftlern sind Frauen heute stark vertreten.
Wölfe sind in Deutschland Frauensache geworden. Nach dem Tod des legendären Wolfsforschers Erik Zimen vor zwei Jahren haben seine Jüngerinnen das Szepter übernommen.

WELT, Eckhard Fuhr, 16.03.2005: Warum Frauen Wölfe lieben - Das Märchen vom Rotkäppchen wird umgeschrieben: Die weibliche Lust an wollüstigen grauen Räubern https://www.welt.de/print-welt/article5 ... ieben.html
Seit Kurzem gibt es zwei hauptberufliche Wolfsbeauftragte im Land Brandenburg. Es sind Frauen, obwohl der Wolf doch Männersache ist. Bei Rotkäppchen erlegt der Jäger den Wolf und Kevin Costner war der Mann, der mit dem Wolf tanzt. Heute sind es wohl besonders die Frauen, die der Wolf anspricht.

Umweltzeitung, September/Oktober 2017, Wolfsgang Wiechers: Rotkäppchen oder Frauen und Wölfe https://www.umweltzentrum-braunschweig. ... Woelfe.pdf
Natürlich sind es Männer, die diese Feststellung treffen und es sind auch Männer, die eine entsprechende Erklärung dafür liefern, wie Frauen in Bezug auf den Wolf wirklich ticken. Und so eine Erklärung kommt leider wohl auch nicht ohne die Begründung aus, dass nur "das Männliche" - ob in Person oder durch einen Stellvertreter - ursächlich für die Sympathie sein kann, die Frauen Wölfen entgegen bringen.

Wiechers bemüht dafür den amerikanischen Psychoanalytiker Bruno Bettelheim:
Da mag man dem amerikanischen Psychoanalytiker Bruno Bettelheim schon eher glauben mit seiner Deutung des Wolfes: Der Wolf
verkörpert das Symbol des Phallus (psychoanalytisch), das Gewalttätig-Männliche (feministisch), das Außergesetzliche schlechthin (juristisch), den zu Unrecht als blutrünstig Gebrandmarkten (biologisch). Bettelheim weiter: „Der Wolf ist nicht nur der männliche Verführer, er repräsentiert auch alle asozialen, animalischen Tendenzen in uns.“


Umweltzeitung, September/Oktober 2017, Wolfsgang Wiechers: Rotkäppchen oder Frauen und Wölfe https://www.umweltzentrum-braunschweig. ... Woelfe.pdf
Eckhard Fuhr beschränkt sich auf ähnliche, männerbezogene Gründe. Er bezeichnet die Wolfsforscherinnen als "Jüngerinnen" Erik Zimens und unterstellt bei der "Liebe" von Frauen zu den Wölfen:
Doch unter der pädagogisch geglätteten Märchenoberfläche brodelt es. Über Frauen und Wölfe ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es scheint so, als drängten heute uralte Geschichten vom Verfallensein der Frauen an die Wölfe ans Licht.

WELT, Eckhard Fuhr, 16.03.2005: Warum Frauen Wölfe lieben - Das Märchen vom Rotkäppchen wird umgeschrieben: Die weibliche Lust an wollüstigen grauen Räubern https://www.welt.de/print-welt/article5 ... ieben.html
Zwar verweist Eckhard Fuhr zu Recht darauf, dass das Märchen Rotkäppchen dem "Standpunkt des Patriarchats" entspricht. Den heutigen Beziehungen von Frauen zu Wölfen unterstellt er aber eine mütterliche oder sexuell motivierte Komponente, als handle es sich beim Wolf um einen Stellvertreter für ein männliches Wesen. Aus dem Wohlgefühl der französischen Pianistin Hélène Grimaud bei der Begegnung mit einem vermeintlichen Wolf interpretiert Fuhr eine "durchaus orgiastische Erfahrung". Über Tanja Askani schreibt er:
Eines Tages kam der Mann - wie vor zehntausend Jahren der steinzeitliche Jäger - mit einem neugeborenen Wolfswelpen nach Hause. Die Mutter und die Wurfgeschwister waren bei der Geburt gestorben. Wäre Tanja Askani eine steinzeitliche Jägersfrau gewesen, hätte sie den Wolfswinzling an die Brust genommen und den Jägersmann als Belohnung für das tierische Mitbringsel mit gurrenden Lauten aufs Bärenfell gelockt.

WELT, Eckhard Fuhr, 16.03.2005: Warum Frauen Wölfe lieben - Das Märchen vom Rotkäppchen wird umgeschrieben: Die weibliche Lust an wollüstigen grauen Räubern https://www.welt.de/print-welt/article5 ... ieben.html
Und Wiechers bemüht zur Darstellung der femininen Sympathien für den Wolf die fiktive Geschichte aus dem Film "Wild" von Nicolette Krebitz, nach der sich eine Frau in einen Wolf verliebt, ihn einfängt, mit ihm zunächst in einer Plattenbau-Wohnung lebt und später mit ihm in die Wildnis Sachsen-Anhalts entschwindet - als sei diese Geschichte in irgendeiner Weise stellvertretend für die Realität?

Fuhrs Fazit lautet:
Die neuen Wolfsmütter des 21. Jahrhunderts nehmen die alte Vertraulichkeit zwischen Frau und Wolf wieder auf. Sie brauchen nicht zu fürchten, als Hexen verfolgt zu werden. Es gibt kein triumphaleres Zeichen für den Sieg des Feminismus als Frauen, die in aller Öffentlichkeit Wölfen verfallen und davon stark, schön und glücklich werden.

WELT, Eckhard Fuhr, 16.03.2005: Warum Frauen Wölfe lieben - Das Märchen vom Rotkäppchen wird umgeschrieben: Die weibliche Lust an wollüstigen grauen Räubern https://www.welt.de/print-welt/article5 ... ieben.html
Das klingt so, als brauche es einen Mann, dass Frauen "stark und glücklich" würden - oder wenigstens einen würdigen Stellvertreter, dem die gleichen mächtigen Attribute zugeschrieben werden. Den Hinweis auf das äußere Erscheinungsbild in Form der Schönheit der Frauen setzt dem ganzen Bild noch die Krone auf. Wer oder was wohl Männer wie Gerhard Schröder oder Peter Altmaier so stark und so glücklich gemacht hat? Und vor allem so schön? ;-)

Die ganzen männlichen Phrasen über Frauen und Wölfe erinnern ein wenig an "Männer-Dingsda". "Dingsda" - das ist eine Quizshow, in der kleine Kinder den Kandidaten Begriffe erklären, von denen sie selbst (noch) nicht allzu viel Ahnung haben.

Der Anblick von Wölfen entfaltet bei mir allenfalls dieselbe "orgiastische Kraft" wie beim Anblick einer schönen Naturlandschaft, eines schönen Sonnenuntergangs oder dem Zuhören von Vogelstimmen, dem Summen von Insekten oder dem Rauschen des Meeres. All das erlebe ich mit Respekt, Würdigung, Freude, Demut und einer großen Sorge über die fortschreitende Zerstörung durch Menschen(Männer-)hand. Und wenn ich in den Spiegel schaue, kann ich auch nicht behaupten, dass mich all das irgendwelche positiven Auswirkungen auf mein Aussehen gehabt hätte.

Wagen wir uns zum Schluss noch an einen weiblichen Erklärungsversuch der Psychotherapeutin Clarissa Pinkola Estés.
Frauen fühlten sich offenbar angesprochen von der Aufforderung, die Wölfin in sich zu finden, also das wilde, freie, sensible Wesen das von den Erwartungen einer männlich dominierten Gesellschaft gezähmt wurde. Frauen und Wölfinnen - das ist die These, die das Buch über 500 Seiten bemüht - haben Gemeinsamkeiten, nicht nur im starke, fürsorglichen, intuitiven Charakter, auch in dem Unrecht, das ihnen angetan wurde.

(Quelle: Petra Ahne: Wölfe, Naturkunden Verlag No 27, 2016, Seite 91)
Und auch wenn diese Beschreibung "hinkt", weil es die menschliche Prokektion des vermeintlich "Bösen" auf den Wolf durch das gegenteilige "Gute" ersetzt - was dem Wolf auch nicht gerecht wird - ist die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Wolf in seinen Bedürfnissen beispielsweise in der Sozialstruktur nicht von der Hand zu weisen:
Es brauchte den Resonanzraum der Geschichten und Bedeutungszuschreibungen und das Gefühl, ein "wildes" Tier vor sich zu haben - eines, das nicht durch Domestikation handhabbar gemacht wurde, das aber erstaunliche Gemeinsamkeit mit dem menschlichen Sozialleben aufweist. Auch deswegen kann der Wolf seit einiger Zeit die neue Rolle als Wegweiser in ein unverstellteres, naturverbundeneres Lebens so umstandslos einnehmen: Vorbereitet durch die Wissenschaft tritt das soziale Tier in den Fokus. Der Wolfsforscher Kurt Kotrschal glaubt, dass kein Tier, auch nicht der Schimpanse, dem Menschen in seinem Gruppenverhalten so ähnlich ist wie der Wolf: untereinander differenziert kommunizierend, kooperativ in der Gemeinschaft, wehrhaft nach außen, ein Leben in einem "Wir und die anderen"-System.

(Quelle: Petra Ahne: Wölfe, Naturkunden Verlag No 27, 2016, Seite 91)
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Dr_R.Goatcabin
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Re: Frauen und Wölfe

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

Ach Du meine Güte, was läßt der Fuhr da nur ab? Und ich habe sein Buch zum Wolf fleißig weiterempfohlen. :? Das tut den Tatsachen darob ja keinen Abbruch, aber so ein Gewäsch ob der Beziehung der Frauen zum Wolf ist schon mindestens peinlich.

Ansonsten: gute Sammlung heute wieder!
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Dr_R.Goatcabin
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Re: Frauen und Wölfe

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

Im größeren Kontext:

Naughton-Treves et al. (2003): Paying for Tolerance: Rural Citizens’ Attitudes toward Wolf Depredation and Compensation. DOI: 10.1111/j.1523-1739.2003.00060.x.
Wolves stir people’s emotions and attract public attention far out of proportion to their numbers (Bangs et al. 1998; Linnell et al. 2001). Correspondingly, there is a sizeable body of research documenting public attitudes toward wolves (for a review of 38 surveys, see Williams et al. 2002). Evidently, support for wolves is strongest among young to middle-aged, college-educated, affluent urban residents, and among women (Kaltenborn et al. 1999; Williams et al. 2002; but regarding rural support for wolves see Forbes et al. 1998).

Bangs et al. (1998): Status of Gray Wolf Restoration in Montana, Idaho, and Wyoming. Wildlife Society Bulletin (1973-2006), Band 26, Ausgabe 4, 1998, S. 785–798.

Forbes et al. (1998): Spatial distribution of wolf support. Pages 94–99. Proceedings of Restoring the Wolf Conference. Defenders of
Wildlife, Washington, D.C

Kaltenborn et al. (1999): Attitudes toward large carnivores among sheep farmers, wildlife managers, and research biologists in Norway. DOI: 10.1080/10871209909359157.

Linnell et al. (2001): Predators and people: conservation of large carnivores is possible at high human densities if management policy is favourable. DOI: 10.1017/S1367943001001408.

Williams et al. (2002): A Quantitative Summary of Attitudes toward Wolves and Their Reintroduction (1972-2000). Wildlife Society Bulletin (1973-2006), Band 30, Ausgabe 2, 2002, S. 575–584. https://dces.wisc.edu/wp-content/upload ... itudes.pdf
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maxa67

Re: Frauen und Wölfe

Beitrag von maxa67 »

Fakt ist: Der eigene Partner ist das größte Risiko für eine Frau, gewaltsam ums Leben zu kommen.
Das würde ich mal bezweifeln... und die die weiblichen Verkehrsunfallopfer in Höhe von 830 einwerfen.

Es ist natürlich ne absolut absurde Diskussion mit Gleichnissen hergeholt aus einer anderen Galaxie. Wie kann man mit sowas seine zeit verschwenden...
harris
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Re: Frauen und Wölfe

Beitrag von harris »

Wie heiß das Thema? Frauen und Wölfe!?

Gabe es einen Film: http://www.wild-film.de/

Jetzt wissen wir es, so sind Frauen mit Wölfen verbunden
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Dr_R.Goatcabin
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Re: Frauen und Wölfe

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

Wenn man sonst hauptsächlich fragwürdiges Huffhaff verfasst, verschwimmen die Grenzen immer mehr, wann es sich folgend um den Versuch einer humoristischen Einlage oder Ernsthaftigkeit handelt. Bei dem Thema sind gewisse Reaktionen wie diese aber leider erwartbar. ;)
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