maxa67 hat geschrieben:Physikalische Gesetzmäßigkeiten, in diesem Fall Druck und Mechanik, sind keine wilden Dinge Nina. Und erst recht keine Phantasien. Reicht schon zu, wenn die deutsche Politik die Physik ignoriert.
Richtig, es geht um einfache physikalische Gesetzmäßigkeiten. Eine einfache Überlegung: Womit kommst Du bei einer hohen Schneedecke besser und energieschonender voran: Auf dünnen Stelzen oder mit breiten Schneeschuhen?
Während in den Höhenlagen die großen Pflanzenfresser im Winter darben müssen – Nahrung ist knapp, Fortbewegung im Schnee kräftezehrend –, geht es den großen Fleischfressern in dieser Zeit eher gut. Wölfe bewegen sich mit ihren großen Pfoten im Schnee schnell fort. Schneller und weniger energieaufzehrend als etwa Rehe, Hirsche, Wildschweine oder Hasen.
WWF, 2018: Leitfaden Lernen mit dem Wolf zu leben, Seite 29 https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Pub ... -leben.pdf
Wer glaubt, dass Schnee Wölfen im Winter zu schaffen macht, der irrt. Das Gegenteil ist der Fall: Im Schnee können Wölfe einfacher auf die Jagd gehen. Denn ihre Beutetiere wie zum Beispiel Rehe können sich im Schnee nicht so schnell fortbewegen. Ihr Körpergewicht verteilt sich aufgrund der sehr kleinen Hufe auf eine kleinere Fläche. Dadurch sinken sie tiefer in den Schnee als der Wolf. Ihm werden seine großen Pfoten im Schnee zum Vorteil: Sein Körpergewicht verteilt sich auf eine größere Fläche und er sinkt nicht so tief ein wie seine Beute.
NABU, Wölfische Grüße zur Weihnachtszeit https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/ ... 19945.html
Sind diese Erklärungen transparent und verständlich genug für den von Dir angesprochenen "Durchschnitts-Michel", maxa67?
Not only does snow depth and consistency affect escape abilities of deer when wolves are chasing them, but it also greatly influences their condition [...]. Deep snow hinders deer movement and ability to feed and maintain their condition both directly and indirectly [...].
L. David Mech, Douglas W. Smith & Daniel R. MacNulty: Wolves on the hunt, The behavior of wolves hunting wild prey, Seite 26, The university of Chicago press, 2015
Das Schalenwild ist in strengen Wintern also doppelt gelackmeiert.
maxa67 hat geschrieben:Einen David Mech werde ich sicher nicht infrage stellen, stelle aber in den Raum, daß ein Jagdverhalten in einem Gebiet wie unserem nicht direkt vergleichbar ist, wie in den Weiten Amerikas oder Sibiriens oder in Skandinavien. Wir haben einen anderen Kultur- bzw. Siedlungsraum, wo aus dem Zentrum eines Wolfsreviers heraus die nächste Siedlung eben nicht 30 sondern 3 km entfernt ist.
Und gerade weil ich bei uns mit offenen Augen durch die Reviere gehe, sehe ich, wohin sich z.B. Reh- und Damwild in der kalten Jahreszeit häufiger verkriecht, nämlich in die Nähe von Koppeln an Gehöften. Und wenn der Wolf der Fährte einer potentiellen Beute folgt ... zieh der sich damit auch näher an menschliche Behausungen.
Die Wetterbedingungen gelten doch völlig unabhängig vom "Kulturraum". Ich gebe Dir völlig recht: Wir leben hier mit den Wölfen in direkter Nachbarschaft, aber das tun wir das ganze Jahr über. Bei uns sucht Schalenwild auch die befriedete Siedlungsnähe als Antwort auf großen Jagddruck, wie z. B. zur Zeit der Drückjagden, ohne dass kleine Kinder dabei als "Beifang" mitverspeist werden. Und wie oft haben sich hier schon Schäfer über Risse unzureichend geschützter Schafe in Siedlungsnähe beklagt und den zigsten "Problemwolf" ausgerufen? Das ist kein Phänomen extremer Wetterlagen, sondern Alltag in den Wolfsgebieten mit ganz normalem wölfischen Verhalten.
maxa67 hat geschrieben:Auch wenns meine Phantasie als mehrfacher Vater nicht wirklich zuläßt, die Menschheit ist aber so bescheuert, daß ein einzelnes Kleinkind, wenn alle Faktoren dazu zusammentreffen, ins Beuteschema eines Wolfes passen kann. Damit kann niemand von euch zu 100% die dabei ausgehende Gefahr ausschließen.
Ich kann man nicht erinnern, dass hier jemals irgendjemand die Gefahr zu 100% ausgeschlossen hätte. Ich kann aber auch nicht nachvollziehen, dass anlässlich unendlich vieler weitaus realerer und statistisch belegbarer Gefahren ausgerechnet für den Wolf eine
absloute 100%-Sicherheitsgarantie gefordert werden sollte? Eine 100%ige-Sicherheitsgarantie gibt es für kein einziges Objekt, keine Situation, keinen Menschen und kein Tier auf dieser Welt - warum also wird ausgerechnet der Wolf mit dieser völlig unrealistischen Forderung belegt?
In den letzten 40 Jahren hat es in Europa keine tödlichen Wolfsangriffe auf Menschen gegeben. Und trotz seiner rasanten Ausbreitung in den letzten zwei Jahrzehnten in Deutschland hat nicht ein einziger Wolf ein Kind auch nur schief angeguckt. Dass Schafe allein von Kindern gehütet werden, gibt es heute in Deutschland nicht mehr. Die Tollwut ist ausgerottet. Starke Habituierung und eine zunehmende, gezielte Annäherung an Menschen würden bei dem engmaschigen Netz allein an den sozialen Netzwerken in Deutschland heute kaum lange verborgen bleiben, siehe Kurti. Um Handlungsfähigkeit sicherzustellen, gibt es Managementpläne. Ich denke, kein anderes Risiko ist hierzulande derart festgedeckelt und verschnürt wie der Wolf.
Und während wir uns völlig irrational allein auf irgendein bislang rein fiktives in Zukunft vielleicht irgendwann ein Mal von einem Wolf gebissenes Kind fokussieren, steigen wir völlig selbstverständlich jeden Tag in unser Auto und fahren dabei knapp
29.000 Kinder im Jahr zu Brei.
Insgesamt waren es 28 547 Kinder, die im Jahr 2016 auf Deutschlands Straßen verunglückten (+ 1,1 % gegenüber 2015). Davon
starben 66 Kinder [...]
Im Jahr 2016 verunglückten insgesamt 262 Kinder je 100 000 Einwohner ihrer Altersklasse im Straßenverkehr. Sechs Kinder je eine Million Einwohner unter 15 Jahren wurden tödlich verletzt.
Statistisches Bundesamt: Kinderunfälle im Straßenverkehr 2016 https://www.destatis.de/DE/Publikatione ... cationFile
Und während wir darüber lamentieren, dass wir unsere Kinder in Wolfsgebieten nicht mehr vor die Türe lassen können, verunfallen jährlich
1,7 Mio Kinder im eigenen Zuhause¹, werden zusätzliche knapp
4.300 schwer misshandelt und knapp
150 dabei getötet.²
Anlässlich dieser drastischen, realen Opferzahlen gibt es keinen Aufschrei in den Medien, keine emotionalisierenden Bilder oder Debatten, keine Mahnfeuer, keine Aufforderungen zur Selbstjustiz oder die Beschwörung des Untergangs unserer Gesellschaft. Ein paar nüchterne Zahlen, ein Schulterzucken, fertig.
Ginge es tatsächlich um das Leben von Kindern, würden Gesellschaft, Medien und Politik ihre Energien auf eine Änderung dieser Zahlen verwenden als gefühlt sämtliche Kapazitäten in die Wolfsdebatte zu stecken. Letztlich zeigt sich am Wolf, wie themenbestimmend ein in Relation zur Gesamtbevölkerung klitzekleiner Kreis von Jagdvertretern und Bauernbaronen die öffentliche Meinung dominiert.
¹
Der Tagesspiegel: Unfälle von Kindern - der gefährlichste Ort, 31.08.2012 https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel ... 75608.html
²
Tagesschau: Tausende Kinder Opfer von Gewalt 05.06.2018 https://www.tagesschau.de/inland/gewalt ... r-101.html