Herr Dottore Ziegenstall, danke für die zielgerichtete provocatione, das Stöckchen nehm ich doch glatt mal zum Drüberspringen ins Visier...
Mit der Wahrnehmung, Darbeitung und Priorisierung von Nachrichten ist das immer so eine Sache.
Der eine beschwert sich, weil zu wenig über Geschenisse in Südostasien berichtet wird, der andere denkt, das Geschehen an Rhein und Main wäre für alle das Non Plus Ultra. Der eine will Naturwissenschaft, der andere Kulturszene, der eine interessiert sich für Verkehrsunfälle mit Todesfolge und Fahrerflucht, der andere für Mord und Totschlag. Welcher Redaktionsleiter kann also von sich behaupten, er hätte die goldne Formel für die Auswahl an Themen des Tagesgeschehens gefunden. Niemand. Also gibt es zwei Möglichkeiten: Man orientiert sich am gesellschaftlichen Interesse oder steuert das gesellschaftliche Interesse. Die "Vorgänge" in Köln, Freiburg, Kandel, Hamburg tauchten erst überregional in den Medien auf, als das gesellschaftliche Interesse mittels (a)sozialer Medien und Kommentarspalten und Forderungen aus der (Oppositions)Politik den Druck erzeugt hatten, daß man dies überregional diskutierte. Und wir reden hier über Mord und den wohl größten Fall an massiven sexuellen Gruppenübergriffen in Deutschland seit Bestehen der Bundesrepublik. Erzähle mir bitte keiner, dies hätte auch im jahr 2005 keine bundesweite Relevanz gehabt. Hingegen tummelten sich von ARD und RTL über Spiegel und Zeit die "Journalisten" vor 18 Jahren in Sebnitz beim Fall Kandelberg Abdullah und hyperventilierten über diese Nazistadt. Und gleiches erfolgte im Februar 2016 - inklusive ausgiebiger aktueller Stunde im Bundestag beim Brand des Husarenhofes in Bautzen und drei besoffenen, gröhlenden Teenagern. Beide Städte sind auf Jahre hinaus in ihrem Ruf deutschlandweit gebrandmarkt. Wer als Altbundesbürger ohne Google fähig ist, die ermittelten Realitäten aus dem Stegreif hier darzustellen, dem gebührt mein Respekt. Und der möge aber bitte dann auch mal in Relationen stellen, welcher Hype, welche Schimpfkanonanden bis hin zu Bedrohungen gegenüber den Bürgermeistern und den Leuten der Region passiert sind nur auf Grundlage von Unterstellungen und Lügen.
Es gibt leider kein Gesetz, was Klarstellungen von Fehlinformationen derart regelt, daß die Fakten und Richtigstellungen im gleichen Umfang für Reputation sorgen. Im Moment ackert man mal exemplarisch am Dr. Gniffke, daß seine Aussage "Asylbewerber seien an Tötungsdelikten nicht überproportional beteiligt" richtiggestellt wird. Imerhin ist er der Herr der Tagesschau und Tagesthemen. Daß er damit bundesweit falsch informiert hat ist mittlerweile festgestellt - wo die Richtigstellung erfolgte wollt ihr lieber nicht wissen...
Und um es nicht auf die Politik zu beschränken, werfe ich nur in die Runde, wie mit meteorologischen und klimatologischen Extremen umgegangen wird und welche Relevanz die Berichterstattung zu welchen Zwecken dazu hergestellt wird. Die globale informelle Vernetzung ermöglicht uns die kenntnis einer um Quanten höheren Zahl an Ereignissen und Extremen, welche zur subjektiven Wahrnehmung der Häufung führt. Zusammen mit der berichterstattung und Instumentalisierung darum, ergibt sich ein öffentliches Meinungsbild, welche gepflegt und von Lobbyorganisationen bis hin zur UN brutal ausgeschlachtet wird. Ein gewaltiges Instrument für die immer weiter betriebene Errichtung eines billionenschweren Ablaßhandels...
Und wie auch in diesem Fall, um aufs Thema zurückzukommen, wurde die ungeprüfte Aussage über den Handbiss sehr hoch und überregional gehangen. Wenn dieser Fake im Norden der Republik es bis in die Süddeutsche und gar sächsische Regionalzeitungen schafft, erkenne ich hier das Muster einer Lobby, gepaart mit vorauseilendem Gehorsam der Schreiberlinge, um medialen Lobbydienst an der Politik mindestens von Landesregierungen zu tun.
Kurzum Herr Doktor: Es existiert keine Rechtsverschiebung, nur weil das Mädel von der ZEIT das behauptet, es kann lediglich ein Versuch einer Normalisierung bzw. Rückkehr zu einer im Wesentlichen wieder faktenbasierenden Berichterstattung geben. Und das ist ein ganz langer Weg bis dahin. Allein z.B. die fortwährende politisch inhomogene Besetzungsquote öffentlich rechtlicher Talkshows läßt mich an jeglicher Pluralität zweifeln.
Aber ich kann damit umgehen, das war bis vor 28 Jahren nicht anders...