Allen voran geht hier der meck-pommsche Umwelt- und Agrarminister Till Backhaus (SPD), der selbst Jäger ist und in einer äußerst verärgerten Pressemitteilung 357/2017¹ kritisierte, dass das BfN die Öffentlichkeit in einer für den 08.11.2017 angesetzten Pressekonferenz hinsichtlich aktueller Bestandszahlen, die Verbreitung der Wölfe und einem überarbeiteten Handlungskonzept informieren wolle. Er halte es "für nicht förderlich", dass das BfN der Bevölkerung "wesentliche Ergebnisse" präsentiere, ohne dass diese mit der Ministerkonferenz abgestimmt seien.
Ungeheuerlich: Darauf wurde die Pressekonferenz tatsächlich kurzfristig ohne Nennung eines neuen Termins abgeblasen.
Dafür preschen nun der jagende Minister, der Deutsche Jagdverband sowie die einschlägigen Agrar- und Jagdmedien hinsichtlich des Themas vor.
Herr Backhaus hat auf dem deutsch-polnischen Bauerntag seine ganz eigene recht eigenwillige Sicht zum Thema Wolf präsentiert. Es gebe mittlerweile mehr Tiere "als bei der Neuansiedlung angestrebt", weshalb die Wölfe nun über das Jagrecht "bewirtschaftet" werden müssten.²
Völlig absurd wirkt diese Forderung erst recht vor dem Hintergrund, dass angesichts der 2 Millionen € Steuergelder, die der Minister an seine Jägerklientel im Rahmen eines "Sofortprogramms" für den Abschuss von Frischlingen auszuschütten bestimmt hat, quasi im gleichen Moment zur Legalisierung der Bejagung der natürlichen Gegenspieler des Schwarzwilds aufgerufen wird.³
Offenbar weichen die wissenschaftlichen Ergebnisse des Bundesamtes für Naturschutz derart von den eigenwilligen Sichtweisen des Jagdvertreters ab, dass hier nur noch der kurzfristige Maulkorb Abhilfe schaffen konnte - und die Bürger zunächst im Unklaren gelassen werden.
Diese Zeit und Informationslücke nutzen derweil Jagdverband, Jagd- und Agrarmedien für ihre Zwecke. Die durchgedrungenen Teilergebnisse der BfN-Arbeiten haben den Deutschen Jagdverband zum abermaligen Ziehen der Rotkäppchen-Karte veranlasst: "Das jetzt in „Natur und Landschaft“ veröffentlichte Handlungskonzept skizziert eine Bauernhofidylle, in der Wolf und Mensch auf engstem Raum friedlich nebeneinander leben. Ein steigendes Risiko von Übergriffen ist programmiert.⁴
Das Agrarmagazin "topagrar" titelt gar: "BfN gibt zu: Wolf hat Scheu vor dem Menschen verloren".⁵
Im Artikel wird diese Aussage zwar wieder relativiert: "Erstmals erkennt der amtliche Naturschutz offiziell an, dass der Wolf keine natürliche Scheu vor dem Menschen hat", aber auch das ist natürlich völliger Unsinn, denn bereits im BfN-Skript aus dem Jahr 2006/2007 wird das Verhalten der Wölfe wie folgt beschrieben:
Rückzugsräume benötigen Wölfe vor allem, um der Verfolgung durch den Menschen zu entgehen. Wölfe können durchaus in enger Nachbarschaft des Menschen leben.
BfN-Skript 201 (2007):"Leben mit Wölfen Leitfaden für den Umgang mit einer konfliktträchtigen Tierart in Deutschland Ilka Reinhardt/Gesa Kluth (S. 17) https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/docume ... ipt201.pdf
Selbst in einem so dünn besiedelten Gebiet wie der Oberlausitz, ist ein fast tägliches Zusammentreffen von Mensch und Wolf nahezu unvermeidbar. Wölfe werden gesehen, wenn sie Straßen oder Felder überqueren. Anfangs sind die Leute überrascht oder auch beunruhigt, wie nahe sich Wölfe an die Siedlungen "trauen". In der Dunkelheit laufen die Tiere häufig an den Dörfern entlang und kürzen den Weg auch schon mal durch nicht eingezäunte Gärten ab. Die Menschen brauchen einige Zeit, um das für sie zunächst ungewöhnlich wirkende Verhalten zu verstehen und in den richtigen Kontext zu stellen. [...] Durch die Vermittlung möglichst detaillierter Kenntnisse über die "eigenen Wölfe", kann es sogar gelingen, eine Art Vertrautheit im Zusammenleben mit dem Neubürger zu erreichen.
BfN-Skript 201 (2007):"Leben mit Wölfen Leitfaden für den Umgang mit einer konfliktträchtigen Tierart in Deutschland Ilka Reinhardt/Gesa Kluth(S. 80) https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/docume ... ipt201.pdf
Wölfe, wie auch andere Tiere, haben keine "arttypische" Scheu vor menschlichen Siedlungen oder Strukturen. Auch die Scheu vor dem Menschen ist nicht angeboren, sondern individuell erworben. Davon kann sich ein jeder in den Nationalparken dieser Welt überzeugen. Dort, wo Tiere den Menschen nicht als Feind kennen gelernt haben, ignorieren sie ihn in aller Regel. Um in der Kulturlandschaft leben zu können, müssen Wildtiere menschliche Strukturen und auch die Anwesenheit von Menschen bis zu einem gewissen Grade tolerieren."
(S. 111) BfN-Skript 201 (2007):"Leben mit Wölfen Leitfaden für den Umgang mit einer konfliktträchtigen Tierart in Deutschland Ilka Reinhardt/Gesa Kluth https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/docume ... ipt201.pdf
Auch der Deutsche Jagdverband schreibt irrtümlicherweise: "Erstmals erkennt der amtliche Naturschutz offiziell an, dass der Wolf keine natürliche Scheu vor dem Menschen hat."⁴Mit Zunahme und Ausbreitung der Wolfspopulation wird auch mit einem Ansteigen von problematischen Situationen zu rechnen sein, vor allem aber mit einer Zunahme der empfundenen Problematik. Mehr Wölfe verursachen mehr Schäden, unter anderem an ungenügend geschützten Nutztieren. Solche Vorkommnisse verteilen sich dann zwar auf eine größere Fläche, können sich aber möglicher Weise durch entsprechende Berichterstattung der Medien in den Köpfen der Bevölkerung summieren. Die Anzahl der "empfundenen Problemwölfe" nimmt zu.
BfN-Skript 201 (2007):"Leben mit Wölfen Leitfaden für den Umgang mit einer konfliktträchtigen Tierart in Deutschland Ilka Reinhardt/Gesa Kluth(S. 113) https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/docume ... ipt201.pdf
Nö, tut er nicht. Der amtliche Naturschutz hat das Verhalten von Wölfen Menschen gegenüber bereits vor mehr als 10 Jahren differenziert beschrieben. Von einer angeblichen "natürlichen Scheu" im Sinne eines panischen Davonlaufens etwa nach Art eines Fluchttieres hat beim BfN niemand gesprochen. Allerdings lassen sich derartige Aussagen mit etwas Internet-Recherche interessanterweise den Vertretern der Jagd und einem damals FDP-geführtem Umweltministerium zuordnen:
"Der Wolf ist ein so scheues Tier, das immer weg läuft, wenn Menschen in der Nähe sind."
Wolfgang Baumgärtner, Jäger aus Bütlingen
Hamburger Abendblatt, 02.12.2008: Der Wolf ist zurück im Revier https://www.abendblatt.de/region/lueneb ... evier.html
Guck an. Nun sollen diese Aussagen plötzlich dem BfN in die Schuhe geschoben werden?,,Ein Wolf wird sich nicht einem Siedlungsgebiet nähern."
Stefanie Becker (FDP), Pressesprecherin des damaligen niedersächsischen Umweltministeriums
Hamburger Abendblatt, 02.12.2008: Der Wolf ist zurück im Revier https://www.abendblatt.de/region/lueneb ... evier.html
¹ https://www.regierung-mv.de/Landesregie ... frist=alle
² https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenb ... ag182.html
³ https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenb ... ne342.html
⁴ https://www.jagdverband.de/content/bfn- ... r-menschen
⁵ https://www.topagrar.com/news/Home-top- ... 39092.html