Berufungsverfahren vor dem LG Lüneburg am 10.11.10, 9.15 Uhr

Ankündigung und Besprechung von User- und Wolfsinteressierten-Treffen sowie Veranstaltungen über Wölfe.
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SammysHP
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Re: Berufungsverfahren vor dem LG Lüneburg am 10.11.10, 9.15

Beitrag von SammysHP »

Den ersten Schützen konnte man nicht ermitteln. Der zweite (der den Wolf letztendlich auch getötet hat) ist nicht verhandlungsfähig. Momentan geht es um den dritten Schützen. Weiteres nachher nach dem Urteil. (1., 2. und 3. unter der Annahme, dass es sich um drei und nicht um zwei Schützen handelt.)
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SammysHP
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Re: Berufungsverfahren vor dem LG Lüneburg am 10.11.10, 9.15

Beitrag von SammysHP »

Nur kurz: Die Verhandlung wurde vertagt, da um 15:30 zum einen Dienstschluss sei und zum anderen die Richterin alles nochmal überdenken möchte. Wann sie fortgesetzt wird, weiß ich nicht, da ich wenige Minuten vor Bekanntgabe schnell noch zum Bahnhof musste. Bin eh schon eine Stunde zu spät.
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SammysHP
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Re: Berufungsverfahren vor dem LG Lüneburg am 10.11.10, 9.15

Beitrag von SammysHP »

Das Folgende ist ein Gedächtnisprotokoll und ohne Garantie auf Korrektheit. Auch ist es nicht vollständig, ich habe allerdings versucht, alles Wichtige wiederzugeben.


Die Berufungsverhandlung am 10. November 2010 gegen Herrn W. in der Sache "Verletzung eines Wolfes" beim Landgericht Lüneburg.

Die Verhandlung war öffentlich, zu Beginn standen jedoch nur fünf Stühle zur Verfügung, von denen zwei für die Presse reserviert waren. Viel mehr war in dem beengten Raum von gerade einmal 10x10 Metern auch nicht möglich. Nach einigem Hin und Her wurden dann allerdings noch drei weitere Stühle gebracht, sodass alle Gäste (darunter Markus Bathen vom NABU, Smirre, nuno22 und ich) einen Sitzplatz hatten.

Pünktlich um 9:15 wurde die Verhandlung durch die Richterin eröffnet. In den folgenden Stunden wurde das Geschehen versucht zu rekonstruieren. Geladen waren neben dem Angeklagten, Herrn W., außerdem 4 Zeugen, hauptsächlich Jäger (alle höheren Alters), welche am Tattag in der Nähe waren, sowie der leitende Polizeikommissar (auch Jäger).

Herr W., welcher damals übrigens erst seit wenigen Monaten in Besitz des Jagdscheines war und weniger als 10 Tiere erlegt hatte, schilderte das Geschehen folgendermaßen: Er sei im Rahmen der Gesellschaftsjagd am Morgen des 15.12.2007 zu seiner Kanzel gefahren worden. Ein Handy habe er nicht dabei gehabt, auch sei keine Kommunikation für die Jagd besprochen worden. Die Jäger hätten nur die Anweisung bekommen, bis zum Abholen am Ende der Jagd um 13 Uhr auf ihren Kanzeln zu bleiben. Um kurz nach 9 Uhr soll von rechts (aus der Sicht Herrn W.) ein Tier gekommen sein, welches er anfänglich als Fuchs identifizierte. Daraufhin habe er sein 9x63 Fernglas zur Hand genommen, wodurch er erst auf einen Hund tippte, kurz darauf mit ziemlicher Sicherheit auf einen Wolf. Warum, konnte er nicht erklären. Offensichtlich habe der Wolf seine vordere linke Pfote geschont, sich aber dennoch zügig voran bewegt (zwischendurch habe er kurz innegehalten). Kurz darauf sei ein Schuss von einem anderen Jäger, Herrn H., gefallen. Herr H. habe Herrn W. gegenüber gesessen in einer Entfernung von ungefähr 250-300 Metern. Der Wolf befand sich ziemlich genau auf der Linie zwischen den beiden Jägern, etwa 160 m von Herrn H. und 75 m von Herrn W. entfernt. Herr W. habe gesehen, wie beim Ausschuss Knochensplitter in seine Richtung flogen und der Wolf augenblicklich mit lautem Geschrei hinten zusammenbrach. Immer wieder habe der Wolf versucht, sich vorne mit seinem verbliebenen Bein zu erheben und schnappte immer wieder nach seinem Rücken. Nach einiger Zeit hätte er nur noch seinen Kopf angehoben. Dieses Geschehen beobachtete Herr W. etwa 4-5 Minuten lang durch sein Fernglas, bis er zu seiner Waffe griff und den Wolf mit einem Kopfschuss erlegen wollte. Nach dem Schuss habe das Tier ruhig gelegen und Herr W. nahm an, dass der Wolf tot sei. Nach etwas über drei Stunden, am Ende der Jagd, sei er zusammen mit Herrn H. zum Wolf gegangen, wobei sie feststellten, dass er noch lebte. Daraufhin habe Herr H. den Wolf mit zwei Schüssen in die Brust endgültig getötet. Herr W. meinte, dass nicht er die letzten beiden tödlichen Schüsse aus kurzer Distanz abgegeben hätte, weil er seine Waffe zuvor abgestellt hätte. Er wurde anschließend irgendwie (das konnte niemand mehr sagen) zum Sammelplatz gebracht und dort separat abgelegt.

Die Zeugen fasse ich kurz zusammen. Grob gesagt wurde berichtet, dass der Wolf wenige Minuten zuvor unverletzt in benachbarten Revieren (wo parallel Gesellschaftsjagden stattfanden) von den Zeugen gesehen worden sei. Die einzelnen Sichtungen waren unabhängig voneinander, fanden - soweit ich es verstanden habe - allerdings in bis zu 3 km Entfernung in östlicher Richtung statt. Allgemein gesagt bewegte sich der Wolf durchgehend von Osten nach Westen, allerdings nicht auf direktem Weg, so die versuchte Rekonstruktion des Polizeikommissars. Als Grund vermutete er Waldarbeiter, denen der Wolf auswich.

Die Polizei wurde der Vorfall am gleichen Abend nach Rücksprache mit dem zuständigen Kreisjägermeister (?) gemeldet. Da es zu dieser Zeit allerdings dunkel gewesen sei, habe der Polizeikommissar den Ort des Geschehen erst am nächsten Tag, Sonntag, begutachtet, den Wolf durch einen Kollegen allerdings noch am Abend sicherstellen lassen. Am Samstag sei der Ackerboden noch weich gewesen und über Nacht gefroren, sodass die Spuren gut erhalten geblieben seien.
Der Ort wurde durch den Polizeikommissar so beschrieben: Es führte eine Spur von Osten nach Westen über den Acker. Sie sei gleichmäßig gewesen, bis auf eine Stelle, wo der Wolf von einer Furche zur anderen Gewechselt haben müsse. Dort wurden drei Bluttropfen gefunden (vermutlich der Ort, an dem der Wolf laut Aussage von Herrn W. inne hielt). Davor und danach sah die Spur allerdings identisch aus und belief sich auf eine Länge von ungefähr 250 Metern (wie ich es verstanden habe. Leider bekamen die Zuschauer keine Einsicht in die ausführlichen Karten). Am westlichen Ende der Spur, wo auf den Wolf geschossen wurde, sei eine etwa 3x4 Meter große Fläche geebnet, komplett bedeckt von Blut. In einer Kuhle darin habe sich außerdem einiges an Blut angesammelt. Es habe dort auch Spuren von Fell, Gewebe und Kot gegeben. Von der Fläche führte eine blutige Schleifspur zu einer nahen Wiese. In etwa 3 Metern Entfernung in Richtung Herrn W. wurden von der Polizei 4 Knochensplitter, jeweils ca. 5 mm lang und 2 mm dick (wie sie Herr W. auch zuvor beschrieben hatte), gefunden. Es sei mit zwei Hunden versucht worden, die Spur zurück zu verfolgen, beide Hunde hätten aber an etwa der gleichen Stelle abgebrochen, vermutlich, weil durch die Jagd an den Vortagen noch zu viele andere Spuren dort gewesen seien.

Um 12:15 folgte eine einstündige Pause.

Anschließend erstatteten die 6 anwesenden Gutachter Bericht. Ab hier an wurde es alles ziemlich theoretisch und vor allem hypothetisch. Die Gespräche gingen in die Richtung, ob es sich bei den Sichtungen zuvor um den gleichen Wolf gehandelt habe und ob es überhaupt ein Wolf sei. Durch die genetische Untersuchung, so die Gutachterin, konnte lediglich geklärt werden, dass die mitochondriale DNA an allen drei getesteten Punkten auf der DNA definitiv wölfisch war und die Mutter somit eine Wölfin war (auch hier wurde wieder stark auf Hybriden eingegangen, ob es nicht einer gewesen sei usw.).
Ein Fachmann für Tierspuren bestätigte, dass die vordere linke Pfote geschont wurde und man dies an der Spur erkenne. Er vermutete, dass es sich bei der Spur um eine Wolfsspur handelte, konnte dies aber nicht eindeutig festlegen.
Die Amtsveterinärin erläuterte in ihrem Gutachten, dass der Wolf mit nur der verletzten Pfote gute Überlebenschancen gehabt hätte und dies durch z.B. Präzedenzfälle in der Lausitz belegt sei. Auch ein Krellschuss wäre nicht unbedingt tödlich gewesen und der Wolf hätte damit weiterleben können. (Hierbei ging es darum, ob der Wolf durch das Abtrennen des Dornfortsatzes an der Lendenwirbelsäule bei einem Krellschuss nur kurz betäubt gewesen wäre oder ob er wirklich aufgrund einer Durchtrennung des Rückenmarks querschnittsgelähmt wurde. Es hätte ja sein können, dass Herr W. zu voreilig gehandelt hat. Leider konnten keine Referenzen gefunden werden, wie lange so ein Krellschuss betäubt, es wurde immer nur von "einigen Sekunden bis Minuten" gesprochen.)
Das Gutachten zu den Wunden bestätigte lediglich, dass es sich bei allen fünf Schüssen um Bleimunition handelte, über den räumlichen Abstand könnten durch Vermischung und Abtragung der Schmauchspuren keine genauen Angaben gemacht werden. Lediglich die beiden Schüsse in die Brust seien aus der Nähe erfolgt.
Der Gutachter der Tiermedizinischen Hochschule Hannover (?) zeigte, dass der Schuss in die Lendenwirbelsäule beim dritten Lendenwirbel den Wirbelbogen, Dornfortsatz und das Rückenmark zertrümmert habe und der Wolf somit unter starken Schmerzen (über die drei Stunden bis zum Ende der Jagd lang) querschnittsgelähmt war. Dieser Schuss käme von der rechten Seite des Wolfes (aus Richtung Herrn H.). Der Schuss in den Kopf sei von der linken Seite (aus Richtung Herrn W.) oben in die Nase eingetreten und schräg nach unten im Kiefer auf der rechten Seite wieder ausgetreten. Von den beiden Schüssen auf die Brust, welche von linker Seite erfolgten, sei der erste unterhalb des Brustbeins (?) verlaufen und habe dabei Knochen im rechten Vorderlauf zertrümmert. Der zweite Schuss habe weiter oben gesessen und den Wolf definitiv getötet. Soweit ich mich erinnern kann, kam der Schuss auf die Pfote von rechter Seite. Es seien dabei zwei Zehen abgetrennt und die Mittelhand teilweise zertrümmert worden.
Das waffentechnische Gutachten erläuterte nur, dass der Schuss auf den Lendenwirbel mit einer Geschwindigkeit von ca. 700 m/s eingetreten sei. Die verwendete Munition konnte ich mir leider nicht merken. Der Gutachter hielt es für unmöglich, die austretenden Knochensplitter von der allgemeinen Austrittswolke (ich bitte um Entschuldigung für diesen nichtfachlichen Begriff) zu unterscheiden, da dies einfach zu schnell gehe. Der Verteidiger diskutierte über diesen Punkt noch eine Weile, bis die Richterin es unterbrach.

Die Verhandlung wurde daraufhin um 15:15 nach 5 Stunden Verhandlungszeit vertagt, da um 15:30 Dienstschluss sei und die Richterin die Angelegenheit nochmal überdenken wolle. Den Zeitpunkt konnte ich leider nicht mehr mitbekommen, da ich den Zug noch erreichen musste.

Zur Richterin sei gesagt, dass sie keine Jägerin ist. Sie hat sich wirklich viel Mühe gegeben, den Hergang lückenlos und redundant zu rekonstruieren. Sie hakte wirklich ausführlich und oft nach, allerdings fehlt mir auch der Vergleich zu anderen Verhandlungen. Im Ganzen empfand ich sie als äußerst neutral, da gibt es nichts zu meckern.

Auf die Sache mit der Pfote, wer sie nun so zugerichtet hat, wurde leider nicht genauer eingegangen. Es fehlt also ein Glied zwischen den Sichtungen des gesunden Wolfes und kurze Zeit später den Beschuss auf den bereits hinkenden Wolf. Ich bezweifle, dass dies jemals geklärt wird.

Es wurde auch erwähnt, dass bei der Jagdausbildung und den Fortbildungen nie auf das Thema Wolf eingegangen worden sei. Auch fand ich es seltsam, dass alle Jäger gleich davon ausgingen, dass es ein Wolf sei, dies aber nie begründen konnten. Ihre Erfahrung sammelten sie ihren Aussagen nach aus Berichten im Fernsehen und Zeitungen.
Irgendeiner der Zeugen meinte auch, dass Wölfe in Schweden und Polen doch auch gejagt werden würden. Ich glaube, dass dies im Zusammenhang mit der Frage stand, ob die Jäger wüssten, ob der Wolf jagbares Wild sei oder nicht (sie sagten aber alle, dass man den Wolf nicht jagen dürfe).

Der Hauptschuldige am Tod des Wolfes, also Herr H., der den Lendenwirbel zertrümmerte und den Wolf letztendlich tötete, ist leider immer noch nicht verhandlungsfähig, was sich nach einigen Hinweisen wohl auch nicht mehr ändern wird.

Insgesamt ist das alles noch nicht völlig klar, der Angeklagte widersprach teilweise seinen vorherigen Aussagen in Kleinigkeiten, ebenso bei einem der Zeugen. Daran, was genau am Samstagnachmittag geschehen war (wer mit wem über was gesprochen hat, wer wo war, wie der Wolf zum Sammelplatz transportiert wurde usw.), konnte sich niemand erinnern. Außerdem ist immer noch unklar, wer denn nun die Pfote verletzt hatte. Hier lässt sich nur spekulieren. Recht ist halt nicht immer gerecht, sondern immer eine Frage der Auslegung und Argumentation.

Es gibt sicherlich noch Punkte, die ich vergessen habe und in den nächsten Tagen, wenn sie mir wieder einfallen sollten, oder auf Rückfragen nachtragen werde. Aber eine Sache steht doch ganz klar im Vordergrund: Egal, wer was gemacht hat. Auf den Wolf hätte niemals geschossen werden dürfen. Mit dem ersten Treffer fingen seine Qualen an, die etwa vier Stunden lang anhielten. Gut, dass ich die dutzenden Fotos nicht sehen durfte, alleine die Erläuterungen ließen einen des öfteren schwer schlucken. :(

Mehrfach wurde die Frage in den Raum und den Zeugen gestellt, wie sie selbst in einer solchen Situation gehandelt hätten. Nun, die Frage möchte ich einfach mal für mich beantworten: Wenn der Wolf starke Schmerzen gehabt und sich gequält hätte, sowie eine zeitnahe Hilfeleistung oder gar eine Heilung nicht möglich gewesen wäre, hätte ich vermutlich genauso gehandelt. Zwei Gründe sprechen bei mir dennoch dagegen: Erstens habe ich nicht die nötige Ausbildung und Erfahrung im Umgang mit einer Waffe bzw. mit dem Töten und könnte den Wolf so nicht schnell euthanasieren. Zweitens kann ich kein Lebewesen töten (nehmen wir mal Ameisen usw. aus), egal wie schlimm dessen Situation ist. Aber vielleicht denkt man in so einer Situation anders.

Bei dieser Verhandlung geht es eigentlich gar nicht so sehr um die Schuld von Herrn W., sondern um den Unterschied zwischen Gesetz und Moral. Er hat gegen das Artenschutzgesetz verstoßen. Andererseits hatte er den Vorsatz, das Tier von seinen Qualen zu erlösen (zumindest sagt er das). Die Umsetzung ist meiner Meinung nach aber so oder so zur Rechenschaft zu ziehen. Man bedenke, dass Herr W. nur wenige Monate zuvor seinen Jagdschein in einem Alter von über 50 Jahren gemacht und noch keinerlei Erfahrung hattte. Ich hätte mir das nicht zugetraut. Wenn man seit über 30 Jahren aktiver Jäger ist, mag man auch noch im Alter aufgrund der Erfahrung "vernünftig" jagen können. Aber in dem Alter erst anzufangen? Hmm...

Einfach traurig, die ganze Sache... :(
Smirre
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Re: Berufungsverfahren vor dem LG Lüneburg am 10.11.10, 9.15

Beitrag von Smirre »

o
Zuletzt geändert von Smirre am 16. Nov 2010, 11:39, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Berufungsverfahren vor dem LG Lüneburg am 10.11.10, 9.15

Beitrag von SammysHP »

Zum Krellschuss hatte ich ja was geschrieben. Es konnte nicht geklärt werden, ob nach 4 Minuten noch von einem Krellschuss ausgegangen werden kann oder nicht. Es wurde allerdings vermutet, dass bei diesem das Tier schneller wieder mobil gewesen wäre.

Auf wann wurde eigentlich vertagt?
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