Feuer frei: Rodewälder Rüde

Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein
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Nina
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Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

Das Verwaltungsgericht in Oldenburg hat den Eilantrag gegen den Abschuss des Rodewalder Rüden abgewiesen. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig; der Freundeskreis freilebender Wölfe e. V. kann Beschwerde beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht einlegen.

Die Begründung - zumindest die, die der NDR veröffentlicht hat - erscheint sehr merkwürdig, weil sie sich überhaupt nicht einmal ansatzweise am Wortlaut des Bundesnaturschutzgesetzes oder der FFH-Richtlinie orientiert:
Das Land habe überzeugend dargelegt, "dass und warum die strengen Voraussetzungen für die Zulassung einer Ausnahme" vorliegen. Zu den bisher eingetretenen Schäden habe es auch mögliche zukünftige Schäden zulässigerweise mit in die Betrachtung einbezogen, heißt es in dem Beschluss. "Dass die betroffenen Tierhalter möglicherweise Ausgleichszahlungen erhielten, ändere nichts am Eintritt bisheriger Schäden und der Prognose, dass zukünftig weitere Schäden durch Risse entstehen könnten", so das Gericht.

NDR, 15.02.2019: Wolf aus Rodewalder Rudel darf geschossen werden https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... f3870.html
Mit dieser Begründung könnte man die Wölfe eigentlich gleich wieder ausrotten, weil angesichts der vielen ungeschützten Weidetiere von jedem Wolf eine Gefahr "zukünftiger Schäden" ausgeht.

Mit dem, was der NDR da verlauten lässt, wirkt es, als habe es gar keine fachliche, sondern eine rein politische Prüfung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht gegeben.

Mit der Begründung der Abwendung "zukünftiger, möglicher Schäden" könnte man sämtliche Bürgerrechte gerichtlich aushebeln.

An dem Wolf wird sich noch zeigen, wie belastbar Demokratie und Rechtsstaat in unserem Lande wirklich sind.
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Dr_R.Goatcabin
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Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

Teuflische Einflüsterung von bekannter Seite ist die eine der erwartbaren möglichen Erklärungen für sowas. Die andere, weitaus banalere - Überlastung. Die haben sich vielleicht einfach nur nicht zuviel der Mühe gemacht. :(
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Schattenwolf

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Schattenwolf »

Das Urteil wundert mich nicht im geringsten. Natur und Tierschutz wird in unserer Bananenrepublik doch eh mit Füßen getreten.
Wie ich gelesen habe hat der Freundeskreis freilebender Wölfe schon mal Beschwerde eingelegt.
imbißschaf
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Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von imbißschaf »

Danke Nina für die äußert akribische Ausarbeitung der unübersichtlichen Datenmengen des UM... und für deine Einschätzung.
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Richard M
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Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Richard M »

https://www.change.org/p/bundesminister ... u/24205658
Im LK Nienburg hatten Jäger die Polizei gerufen, weil sich Leute im Wald aufgehalten haben. Die Polizei hat nichts gegen die Menschen unternommen, weil sie "nichts unrechtmäßiges" getan hatten. Wald und Wiesen sind öffentliches Gelände. Sie gehören uns allen.
Wie wäre es denn, wenn die Jäger den Leuten im Wald erzählen, dass dort gaaanz böööse Wölfe leben und sie sich deshalb schnell in Sicherheit bringen müssen. Die lieben netten Jäger werden dann die Wölfe erschießen und alle Menschen können sich wieder angstfrei in der Natur bewegen.
Petition Der Wolf gehört zu Deutschland: https://www.change.org/p/bundesminister ... eutschland
Schattenwolf

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Schattenwolf »

Das Schicksal von Roddy ist besiegelt. OVG Lüneburg hat heute entschieden der Rodewalder Wolf darf getötet werden. Wie es aussieht hat der Freundeskreis freilebender Wölfe nicht mal Zeit bekommen seinen Einspruch zu begründen. Gesetze scheinen in Deutschland nicht mehr wert zu sein. Bleibt die Frage wozu überhaupt Pläne zum Umgang mit sogenannten Problem Wölfen entwickelt wurden.

Die Änderung des Jagdgesetzes in NRW zeigt leider auch nur zu deutlich für wenn hier in Deutschland Politik gemacht wird.
http://www.haz.de/Nachrichten/Der-Norde ... sen-werden
Lutra
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Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Lutra »

Schattenwolf hat geschrieben: 22. Feb 2019, 15:08 Das Schicksal von Roddy ist besiegelt. OVG Lüneburg hat heute entschieden der Rodewalder Wolf darf getötet werden.
Zitat aus der Ausnahmegenehmigung:
Soweit die sofortige Vollziehung angeordnet ist oder die Anordnung kraft Gesetzes sofort voll-ziehbar ist, haben Widerspruch und Klage gegen diese Anordnung keine aufschiebende Wir-kung.
Die sofortige Vollziehung war angeordnet, also hätte schon geschossen werden dürfen. Ich nehme mal an, dem Lies war die Sache doch rechtlich nicht so sicher, wie er tut. Jetzt kann er nur noch auf eine nachträgliche Klage "hoffen", dem Roddy wirds nicht helfen, aber es müsste schon mal geklärt werden, was Recht ist.
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Nina
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Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

Im NDR-Bericht vom 19.02.2019 zu der erstinstanzlichen Entscheidung klang ja schon an, dass man wohl kaum mit einer anderslautenden Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg rechnen würde.
Das Verwaltungsgericht Oldenburg hatte in der vergangenen Woche den Abschuss des Leitrüden des Rodewalder Wolfsrudels im Landkreis Nienburg genehmigt und einen Eilantrag des Vereins abgelehnt. Die Beschwerde bedeutet allerdings nicht, dass die Abschussgenehmigung für den Wolf nun bis zu einer Entscheidung des OVG aufgeschoben werde. "Er kann im Grunde jetzt geschossen werden", sagte die Sprecherin.

NDR, 19.02.2019: Wolf-Abschuss: Tierschützer legen Beschwerde ein https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... de102.html
Die Begründung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg klingt dann ja auch so, als sei sie aus der Abschussgenehmigung fast wörtlich übernommen worden.
Es hält die vom NLWKN getroffene Prognose, dass die Tötung des Wolfs GW717m zur Abwendung erheblicher wirtschaftlicher Schäden erforderlich sei, für gerechtfertigt. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Wolf weiterhin Rinder mit normalerweise ausreichendem Herdenschutz reißen und seine Jagdtechnik an andere Wölfe weitergeben wird. Das begründet ein unkalkulierbares Schadensrisiko für Rinderhalter. Zumutbare Alternativen zur Tötung sind nicht ersichtlich. Es gibt ausreichende Belege dafür, dass dieser Wolf sich auf das Reißen von Rindern spezialisiert. Schutzmaßnahmen wie ausreichend hohe Elektrozäune, Behirtung oder Verbringung der Tiere in Nachtpferche sind nicht zumutbar, zumal diese flächendeckend von allen Rinderhaltern im Territorium des Rodewalder Rudels ergriffen werden müssten.

Oberverwaltungsgericht Lüneburg, 22.02.2019: Beschwerde betreffend die Abschussgenehmigung für den Rodewalder Wolfsrüden erfolglos
http://www.oberverwaltungsgericht.niede ... 74258.html
Leider ist auch hier die Erklärung dürftig, warum

1. ein "erheblicher wirtschaftlicher Schaden" und ein "unkalkulierbares Schadensrisiko für den Rinderhalter" vorliegen sollten, wenn der Betroffene seinen Schaden zu 100% ersetzt bekommt

und

2. "zumutbare Alternativen zur Tötung nicht ersichtlich" sein sollen

Der NLWKN selbst bewirbt und fördert den Herdenschutz für Rinder in den betroffenen Gebieten und hält diesen nach eigenen Angaben für wirksam und für realtiv wenig aufwendig bei den in der Rinderhaltung üblichen Festzäunen:
Höhere Zäune bieten einen besseren Schutz! [...] Flächen, auf denen Rinder gehalten werden, sind oft dauerhaft eingekoppelt. Dort kann (stellenweise mit nur wenig Mehraufwand) durch die Verwendung von höheren Zäunen insgesamt ein besserer Schutz der Tiere erreicht werden. Diese höheren Varianten werden ebenfalls gefördert.

Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz: Beantragung von Präventionsmaßnahmen zum Herdenschutz vor Wolfsübergriffen in der Rinderhaltung – Erläuterungen – (Stand Februar 2019), Praktische Erläuterungen für die Beantragung von Präventionsmaßnahmen zum Herdenschutz vor Wolfsübergriffen
in der Rinderhaltung im Rahmen der „Richtlinie Wolf“[...] im Gebiet zwischen Cuxhaven und Stade, im Raum Wietzendorf, im Raum Barnstorf und im Raum Nienburg (Rodewald), Seite 8
Dies belegen auch die Erfahrungen in der niedersächsischen Region des Wietzendorfer Rudels - sowie die Ergebnisse von Projekten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt:
In den letzten zwei Jahren ist die Zahl der durch Wölfe getöteten oder verletzten Rinder in Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt angestiegen. [...] Betroffen sind überwiegend junge Kälber. Das Verteidigungsverhalten von Mutterkühen kann je nach Rasse sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Durch die häufig übliche Zäunungsform von Mutterkuhherden mit nur einer Stromlitze in 60 oder 80 cm Höhe sind Kälber für Wölfe leicht erreichbar. Teilweise schlüpfen junge Kälber auch unter der Stromlitze hindurch. Sie befinden sich dann außerhalb der Koppel und des Einwirkungsbereiches der Mutterkühe und sind eine leichte Beute für Wölfe. [...] Wenn einzelne Wölfe gelernt haben, Rinder zu töten, müssen auch diese vor Wolfsübergriffen geschützt werden. Anders als für Schafe und Ziegen ist für Rinder von den Bundesländern in Wolfsgebieten nicht von vornherein ein flächendeckender Mindestschutz vorgeschrieben, um im Schadensfall Anspruch auf Entschädigung zu haben. Mehrere Bundesländer fördern jedoch Präventionsmaßnahmen bei Rindern, wenn es nachweislich zu Übergriffen durch Wölfe gekommen ist [...]. In Projekten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt konnte demonstriert werden, dass auch Rinder erfolgreich durch Herdenschutzmaßnahmen, wie etwa elektrifizierte Zäune, geschützt werden können (Hartleb et al. 2017; LAU 2018).

DBBW Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (2019): Wolfsverursachte Schäden, Präventions- und Ausgleichszahlungen in Deutschland 2017, Seite 6
Es ist schon sehr seltsam, dass ein SPD-geführtes Landesumweltministerium einer vom SPD-geführten Bundesumweltministerium eingerichteten Beratungsstelle zum Wolf kein Gehör zu schenken vermag und an deren fachlicher, wissenschaftlich fundierter Expertise vorbei entscheidet.
Auch die Gerichte haben die fachlichen Einschätzungen offenbar nicht berücksichtigt und die politisch motivierte Deutungsweise übernommen.
Das Ministerium geht davon aus, dass nach dem Abschuss des Leitwolfs die Risse von Weidetieren zurückgehen werden.

NDR, 22.02.2019: OVG: Rodewalder Wolf darf geschossen werden https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... el158.html
Das niedersächsische Umweltministerium sollte es besser wissen, denn nach der illegalen Tötung der Cuxhavener Fähe sind die Risszahlen auch sprunghaft angestiegen.
Wolfsabschüsse schützen keine Nutztiere [...] Ganz im Gegenteil: getötete Wölfe führen in fast einem Drittel der untersuchten Fälle zu mehr Nutztierschäden.

vet-magazin, 19.09.2016: Wolfsabschüsse schützen keine Nutztiere https://vet-magazin.de/wissenschaft/wil ... tiere.html
Der Ausfall des Rudelführers provoziert Mehrfachwürfe [...] Für das Management einer Wolfspopulation, z.B. eine Bejagung, ergeben sich daraus bedenkenswerte Aspekte. Der Ausfall des Stammrüden kann Mehrfachreproduktion zur Folge haben – das heißt eine vorübergehend höhere Wolfsdichte im Territorium als vorher.

Ulrich Wotschikowsky, Wolfsite - Wölfe in Deutschland, 07.02.2015: Mehrfacher Nachwuchs: Tendenz zum Riesenrudel? http://woelfeindeutschland.de/mehrfache ... esenrudel/
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Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Lutra »

Nina hat geschrieben: 22. Feb 2019, 21:56

Leider ist auch hier die Erklärung dürftig, warum

1. ein "erheblicher wirtschaftlicher Schaden" und ein "unkalkulierbares Schadensrisiko für den Rinderhalter" vorliegen sollten, wenn der Betroffene seinen Schaden zu 100% ersetzt bekommt

und

2. "zumutbare Alternativen zur Tötung nicht ersichtlich" sein sollen

Das könnte wohl wirklich erst eine Gerichtsverhandlung klären mit entsprechenden Gutachten, Argumenten und Gegenargumenten und neutralem Gericht.
Bis zum Freispruch oder zur Bestrafung.
Bin ich da zu optimistisch?
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Nina
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Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

Um mal einen Eindruck zu bekommen, wie die Würdigung des Naturschutzes beim Verwaltungsgericht Oldenburg und beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg aussieht, sei ein Blick auf die Seite des Wattenrats empfohlen.

2010 hatte das OVG Lüneburg beispielsweise eine Klage abgewiesen, die sich gegen die Errichtung eines Windparkes mit 18 Anlagen von je 180 m Höhe in gut 500m Entfernung zum EU-Vogelschutzgebiet, UNESCO-Weltnaturerbe, Biospärenreservat und Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer zur Wehr setzte. Der Wattenrat schrieb dazu vielsagend: "Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seiner Weisheit hat mal wieder beim Naturschutz am Problem vorbei geurteilt."

Wattenrat, 18.09.2010: Wind“park“ Nordergründe im Wattenmeer: Gericht weist Klage ab https://www.wattenrat.de/2010/09/18/win ... -klage-ab/

Und das Verwaltungsgericht Oldenburg stellte seine Fachkompetenz in Ornithologie unter Beweis, als es ein ganzjähriges Böllerverbot auf der im Nationalpark Wattenmeer gelegenen Insel Spiekeroog für "rechtswidrig" erklärte, u. a. mit der Begründung: "Im Übrigen dürften am 31. Dezember deutlich weniger Vögel beeinträchtigt werden als in den Sommermonaten (Juni bis September)." Der Wattenrat schrieb dazu:

"Genau diese richterliche Aussagen sind aber abwegig: Sie belegen nur, dass die Richterin nicht über ornithologische Grundkenntnisse verfügt. Das Gegenteil ist richtig: Zum Jahreswechsel mit mildem und eisfreiem Winterwetter halten sich deutlich mehr Vögel und Vogelarten als zur Brutzeit im Wattenmeer auf. Stichwort Zugvögel, die hier zu tausenden ihre Nahrungsflächen und Schlafplätze finden!"

Wattenrat, 03.01.2018: Böllern auf Spiekeroog: Weichgespültes vom NDR, Richtiges und Falsches vom Verwaltungsgericht Oldenburg https://www.wattenrat.de/2018/01/03/boe ... oldenburg/

Wie sagt man doch so schön? Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand...
Lutra hat geschrieben:Ich nehme mal an, dem Lies war die Sache doch rechtlich nicht so sicher, wie er tut. Jetzt kann er nur noch auf eine nachträgliche Klage "hoffen", dem Roddy wirds nicht helfen, aber es müsste schon mal geklärt werden, was Recht ist.
Mir kommt es so vor, als ob der niedersächsische Umweltminister nach seinen hochpeinlichen Debakeln mit dem angeblich gebissenen Friedhofsgärtner und seiner großspurig angekündigten Besenderungsaktion, bei der sich die Wölfe als wesentlich schlauer erwiesen als der Minister, nun unter Zugzwang seines Egos steht, eine große "Heldentat" mit viel Donnerhall vorweisen zu müssen.
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