Feuer frei: Rodewälder Rüde

Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein
Schattenwolf

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Schattenwolf »

Wieder mal sehr gut geschrieben.
Um im Jargon des Umweltministers zu bleiben, müsste es deshalb eigentlich heißen: …“Um das zu verhindern und den erwartbaren Schaden für die Weidewirtschaft abzuwenden, ist es nicht notwendig den Rüden des Rodewalder Rudels zu töten, sondern die Verbesserung des Herdenschutzes vollumfänglich zu unterstützen.”
Ein Argument was ja auch hier des öfteren aus Jagd und Gegnerkreisen geäußert wird, ist das die Jungtiere des Rudels das Verhalten übernehmen würden.
Die Mär von der Weitergabe irgendwelcher Untugenden an die Nachkommen, mit denen immer kokettiert wird, ist meines Wissens auch nur eine Vermutung und in der deutschsprachigen Literatur nicht belastbar belegt.
Ich selbst kenne keinen konkreten Fall, wo außergewöhnliches im Sinne von problemhaftem Verhalten nachweisbar an die nächste Generation Wölfe weitergegeben wurde. Schiefe Nasen und eng sitzende Augen schon, außergewöhnliches Verhalten – nein.
Sollte allerdings jemand einen solchen Fall in Mitteleuropa tatsächlich kennen, bitte ich um einen entsprechenden kurzen Quellenhinweis an redaktion@wolfsmonitor.de.
https://wolfsmonitor.de/?p=16624
Benutzeravatar
Nina
Beiträge: 1779
Registriert: 10. Feb 2016, 13:25

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

Bei Durchsicht der Abschussgenehmigung fällt auf, dass sich die Strategie vorwiegend auf die Risse der Rinder konzentriert, die man unter bestimmten Voraussetzungen angeblich nicht durch Herdenschutzmaßnahmen schützen müsste, weil von "einer ausreichenden Fähigkeit der Herde zum Selbstschutz gegenüber Wolfsangriffen auszugehen" sei. Diese Voraussetzungen wurden aber gar nicht in allen Fällen erfüllt; teilweise fehlen dazu auch die Angaben. Es sind auch Fälle aufgelistet, bei denen die Verursacherschaft nicht festgestellt werden konnte oder überhaupt nicht klar ist, ob es sich um eine nachgenutzte Totgeburt gehandelt haben könnte.

Und so sahen laut Abschussgenehmigung die Einzäunungen der Rinder aus:

a) Fall 678: 4 Reihen Stacheldraht
b) Fall 745: 4 Reihen Stacheldraht "ohne Elektrifizierung"
c) Fall 773: 3 Reihen Stacheldraht
d) Fall 776: 3 Reihen Stacheldraht
e) Fall 788: 1 Reihe Stacheldraht
f) Fall 811: 1 Stromlitze
g) Fall 852: 1 Stromlitze - Achtung: "Es ist nicht zu ermitteln gewesen, ob das Kalb lebend geboren wurde".
h) Fall 867: 3 Reihen Stacheldraht mit Elektrolitze
i) Fall 885: 3 Reihen Stacheldraht

Nachweis des Verursachers:

a) Fall 678: GW717m
b) Fall 745: GW717m
c) Fall 773: GW717m/GW745f - Indvidualisierung nicht eindeutig, da Mischprobe
d) Fall 776: "Wolf", aber Individualisierung nicht möglich
e) Fall 788: "Wolf", aber Individualisierung nicht möglich
f) Fall 811: GW717m
g) Fall 852: "Es ist nicht zu ermitteln gewesen, ob das Kalb lebend geboren wurde. Die Verursacherschaft durch einen Wolf ist festgestellt worden." (?)
h) Fall 867: Verletzung nach Ausbruch (3 Reihen Stacheldraht mit Elektrolitze!) "unspezifisch". Verursacher konnte nicht festgestellt werden.
i) Fall 885: Keine Angabe zur Verursacherschaft

Verletzte/getötete Tiere:

a) Fall 678: 1 Kalb (2 Monate)
b) Fall 745: 2 Kälber (4 Monate) - standen mit einer (!) Kuh in einer Herde - "kein ausreichender Selbstschutz"
c) Fall 773: 1 Färse (12 Monate) - gleichaltrige Färsenherde - "kein ausreichender Selbtsschutz"
d) Fall 776: 1 Kalb (6 Monate)
e) Fall 788: 1 Kalb (1 Tag alt) getötet, 1 Kuh verletzt
f) Fall 811: 1 Kuh verletzt. 13 tragende Rinder plus 4 Pferde waren mit einer einreihigen Stromlitze umzäunt (!)
g) Fall 852: 1 Kalb (1 Tag alt) - eines von 5 "Tieren". Keine Angabe zum Selbstschutz. Und "nicht zu ermitteln, ob das Kalb lebend geboren wurde".
h) Fall 867: 1 Mutterkuh verletzt (durch Stacheldrahtzaun mit Elektrolitze ausgebrochen). Verletzung unspezifisch, kein Verursacher feststellbar.
i) Fall 885: 1 Jungrind (12 Monate) in einer Herde mit 4 weiteren gleichaltrigen Jungrindern. Kein Selbstschutz.

Vgl. Umweltministerium veröffentlicht artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Tötung des Wolfsrüden GW 717m, Pressemitteilung 12/2019 http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktu ... 73831.html

Die ganze Sache steht auf richtig dünnen Füßen!
Benutzeravatar
Nina
Beiträge: 1779
Registriert: 10. Feb 2016, 13:25

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

Seit dem Frühjahr 2018 ist es im Territorium des Rodewalder Rudels im Landkreis Nienburg vermehrt zu Übergriffen von Wölfen auf Nutztiere gekommen. Dabei haben Wölfe nicht nur kleinere Nutztiere wie Schafe erbeutet, sondern darüber hinaus Rinderherden angegriffen und dabei Rinder sowie Kälber gerissen. Erwachsene Rinder im Herdenverband können sich selber und ihre Kälber gegenüber Wölfen grundsätzlich verteidigen, so dass Rinderrisse durch Wölfe die Ausnahme sind. Der Rüde GW 717m hat das Angreifen auf zum Selbstschutz befähigte Rinderherden aber gelernt und mehrfach Rinder gerissen.

Niedersächsisches Umweltministerium, Pressemitteilung 12/2019: Umweltministerium veröffentlicht artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Tötung des Wolfsrüden GW 717m http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktu ... 73831.html
Nachgewiesen wurde Rüde GW717m in nur 4 Fällen, davon in einem noch nicht einmal eindeutig:

a) Fall 678: GW717m
b) Fall 745: GW717m
c) Fall 773: GW717m/GW745f - Indvidualisierung nicht eindeutig, da Mischprobe
f) Fall 811: GW717m

Angaben zu den verletzten/getöteten Tieren:

a) Fall 678: 1 Kalb (2 Monate)
b) Fall 745: 2 Kälber (4 Monate) - standen mit einer (!) Kuh in einer Herde - "kein ausreichender Selbstschutz"
c) Fall 773: 1 Färse (12 Monate) - gleichaltrige Färsenherde - "kein ausreichender Selbtsschutz"
f) Fall 811: 1 Kuh (ohne Altersangabe) verletzt. 13 tragende Rinder plus 4 Pferde waren mit einer einreihigen Stromlitze umzäunt (!)

Herdenschutz:

a) Fall 678: 4 Reihen Stacheldraht, "Selbstschutz durch Herde"
b) Fall 745: 4 Reihen Stacheldraht "ohne Elektrifizierung" - kein "Selbstschutz durch Herde"
c) Fall 773: 3 Reihen Stacheldraht - kein "Selbstschutz durch Herde"
f) Fall 811: 1 Stromlitze, "Selbstschutz durch Herde"

Da sich Fall c) nicht eindeutig GW717m zuordnen lässt, hat der Rodewalder Rüde den "Selbstschutz durch Herde" nur ein einziges Mal zweifelsfrei überwunden.
Benutzeravatar
Dr_R.Goatcabin
Beiträge: 1239
Registriert: 29. Jan 2016, 13:36

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

Wie war das zuletzt .. ? "Wir lassen uns die Sache von solchen Leuten nicht kaputtmachen!" Ich glaube, mit solchen Leuten meint man auch Dich. ;)

Dieser ganze obige Aufstellung vom Amt ist echt zäh zu lesen. Danke fürs Aufräumen!
Zuletzt geändert von Dr_R.Goatcabin am 13. Feb 2019, 14:29, insgesamt 1-mal geändert.
"Though this be madness, yet there is method in 't ..."
Benutzeravatar
Nina
Beiträge: 1779
Registriert: 10. Feb 2016, 13:25

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

DNA-Proben hatten ergeben, dass die Wölfe mehrere Rinder gerissen hatten, die eigentlich durch Zäune geschützt waren.

NDR, 01.02.2019: Problemwolf: Streit über die Abschuss-Freigabe https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... f3802.html
Durch Zäune geschützt? Soll das ein Witz sein?

Rüde GW717m:

a) Fall 678: 4 Reihen Stacheldraht, "Selbstschutz durch Herde"
b) Fall 745: 4 Reihen Stacheldraht "ohne Elektrifizierung" - kein "Selbstschutz durch Herde"
c) Fall 773: 3 Reihen Stacheldraht - kein "Selbstschutz durch Herde"
f) Fall 811: 1 Stromlitze, "Selbstschutz durch Herde"

Die übrigen Fälle:

d) Fall 776: 3 Reihen Stacheldraht
e) Fall 788: 1 Reihe Stacheldraht
g) Fall 852: 1 Stromlitze - Achtung: "Es ist nicht zu ermitteln gewesen, ob das Kalb lebend geboren wurde".
h) Fall 867: 3 Reihen Stacheldraht mit Elektrolitze
i) Fall 885: 3 Reihen Stacheldraht
Benutzeravatar
Nina
Beiträge: 1779
Registriert: 10. Feb 2016, 13:25

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

"Risse von Großtieren sind kein wolfstypisches Verhalten", betonte die Sprecherin, "das ist ungewöhnlich". Bei den Rindern habe es sich immerhin um 300- und 400-Kilogramm-Tiere gehandelt. Zudem sei die Herde eigentlich Schutz, den ein Wolf normalerweise respektiere.

NDR, 23.01.2019: Rinder und Pony gerissen: Wird Wolfsrüde getötet? https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... f3780.html
300-400-Kilogramm-Tiere bei den Rindern? Da wurde in den allermeisten Fällen wohl recht großzügig geschätzt.

GW717m:

a) Fall 678: 1 Kalb (2 Monate)
b) Fall 745: 2 Kälber (4 Monate) - standen mit einer (!) Kuh in einer Herde - "kein ausreichender Selbstschutz"
c) Fall 773: 1 Färse (12 Monate) - gleichaltrige Färsenherde - "kein ausreichender Selbtsschutz"
f) Fall 811: 1 Kuh (ohne Altersangabe) verletzt. 13 tragende Rinder plus 4 Pferde waren mit einer einreihigen Stromlitze umzäunt (!)

Die übrigen Fälle:

d) Fall 776: 1 Kalb (6 Monate)
e) Fall 788: 1 Kalb (1 Tag alt) getötet, 1 Kuh verletzt
g) Fall 852: 1 Kalb (1 Tag alt) - "nicht zu ermitteln, ob das Kalb lebend geboren wurde".
h) Fall 867: 1 Mutterkuh verletzt (durch Stacheldrahtzaun mit Elektrolitze ausgebrochen). Verletzung unspezifisch, kein Verursacher feststellbar.
i) Fall 885: 1 Jungrind (12 Monate) in einer Herde mit 4 weiteren gleichaltrigen Jungrindern. Kein Selbstschutz.
Benutzeravatar
Nina
Beiträge: 1779
Registriert: 10. Feb 2016, 13:25

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

Dr_Goatcabin hat geschrieben:Dieser ganze obige Aufstellung vom Amt ist echt zäh zu lesen.
Böse Zungen könnten jetzt behaupten, dass das vielleicht ja sogar so gewollt sein könnte... Einfach zu verstehen ist dagagen die Präsentation, die irgendwie in Aufmachung und Inhalt dem bekanntesten deutschen Boulevard-Blatt ähnelt.

"Problemwölfe - Herausforderung für Artenschutz und Weidetierhaltung" Umweltausschuss Minister Lies Präsentation als pdf:
http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktu ... 73831.html

So ist die Präsentation aufgebaut:

1) plakativer Titel: "Problemwölfe"
2) Verbreitungskarte, als erstes Hinweis auf die Vermehrung der Wölfe ("Zunahme Population 30% jährlich", "flächendeckende Besiedlung absehbar")
3) Karte Nutztierschäden durch Wölfe
4) Reißerische Presseüberschriften ohne Quellenangabe, z. B. "Die Sicherheit ist nicht mehr gewährleistet", "Alle haben ein komisches Gefühl", "Wolfsrisse: So geht es nicht weiter", im Untertitel taucht oftmals die CDU auf
5) "Schadensbilanz" in Zahlen ohne Angaben zum Herdenschutz oder zur Tierart
6) Emotionalisierende Bilder zur "Situation im Territorium von GW717m" (Blut auf dem Boden, gerissenes Fohlen, gerissenes Kalb)
7) Hinweis auf soziale Medien mit der Überschrift "Häme, Drohungen Rache", namentlich Facebook-Seite Wolf ja bitte
8) einseitige Darstellung von fragwürdigen Kommentaren von vermeintlichen Wolfsbefürwortern bei Verschweigen der ebenso vorhandenen verbalen Entgleisungen der Wolfsgegner
9) Weitere Beispiele derselben einseitigen Darstellung
10) Weitere Beispiele derselben einseitigen Darstellung als Rechtfertigung für "Verzicht auf aktive Kommunikation" ("Störer", "von Unbekannten bedroht")
11) Eingeständnis, dass Schafe ungeschützt waren, dennoch Fokus auf die Fälle, in denen "wolfsabweisende Zäunung" (Definition fehlt) überwunden wurde - plus unklare Maximalangaben sonstiger gerissener Tiere ("bis zu 3 Ponys", "bis zu 10 tödliche Angriffe auf Rinder")
12) Gründe für Entnahmeentscheidung: "Prognose erheblichen Schadens durch Rinderrisse", und Beschränkung auf "angepasste Haltungsform im gemischten Herdenverband" als "zumutbarer" Herdenschutz. Für die "sorgfältige fachliche und rechtliche Abwägung" zugrundegelegt werden "nur Risse bei Anwesenheit ausreichender Zahl wehrhafter Rinder". (Steht im Widerspruch zu den in der Abschussgenehmigung aufgeführten Rissen):
13) "Grundsatz: Keine Zumutbarkeit zusätzlicher Herdenschutzmaßnahmen bei Rindern". Hanebüchene Gründe: "tierwohlgerechte Haltungsform", "Förderung der Artenvielfalt" und "touristischer Wert".
14) Konsequenzen der flächendeckenden Einzäunung: Emotionalisierende Bilder (Kröte, Igel, Reh in Elektronetzen) - Der Zaun, in dem das Reh starb, schützt allerdings ein Maisfeld und keine Schafe. Igel und Kröte stecken in handelsüblichen Euronetzen zur Erzielung der Hütesicherheit in der Schafhaltung, die mit der Rinderhaltung nichts zu tun haben und auch nicht auf eine wolfsabweisende Funktion beschränkt sind.
15) Nicht nachvollziehbare Berechnung der Zaunkosten durch den "Kreislandvolkverband Wesermarsch" - ohne Belege, ohne nähere Angaben
16) Rechtliche Rahmenbedingungen
17) Rechtliche Rahmenbedingungen
18) "Vollzugshinweise des Bundes"- "Prognose eines erheblichen Schadens" als ein Kriterium
19) Auszug Ausnahmegenehmigung
20) Gründe für Notwendigkeit der Entnahme, u. a. "Augenzeugenbericht über den Übergriff durch sechs Wölfe auf Ponys"
21) Prognose bei Verzicht auf Tötung des Rodewalder Rüden am Beispiel Cuxhaven (da wird es völlig abstrus!)
22) Lösungsansätze
23) Weiteres Vorgehen im Hinblick auf die eingelegten Rechtsmittel
24) "Konsequenzen des Nichthandels" - aufgedruckt auf dem detaillierten Rissbild eines Ponys (!): "Alleinlassen der Betroffenen", "Akzeptanzgefährdung für den Artenschutz", "Entnahmerisiko für weitere Wölfe"

Unsachlicher geht es kaum.
Benutzeravatar
Nina
Beiträge: 1779
Registriert: 10. Feb 2016, 13:25

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

Zumutbarkeit von Herdenschutzmaßnahmen für Rinder

Wie wir aus der Präsentation des Umweltministeriums und der Abschussgenehmigung ersehen, empfindet der Umweltminister Herdenschutzmaßnahmen für Rinder als nicht zumutbar und setzt stattdessen auf den Schutz durch den Herdenverband. Konkrete Lösungen für abgesetzte Kälber, die in Gruppen gehalten werden, habe ich seinen Ausführungen bislang nicht entnehmen können.
Grundsatz: Keine Zumutbarkeit zusätzlicher Herdenschutzmaßnahmen bei Rindern

Vorteile:
•tierwohlgerechte Haltungsform
•Förderung der Artenvielfalt
•touristischer Wert


Präsentation für den Umweltausschuss, Umweltministerium Niedersachsen, Anhang zu Pressemitteilung 12/2019: Umweltministerium veröffentlicht artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Tötung des Wolfsrüden GW 717m http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktu ... 73831.html
Elektrozäune keine "tierwohlgerechte Haltungsform"?

Einer "tierwohlgerechten Haltungsform" steht kaum entgegen, wie die Zäune beschaffen sind. Im Gegenteil - Die Stacheldrahtzäune, die vielfach in der Rinder- und auch Schafhaltung zum Einsatz kommen (auch bei den in der Abschussgenehmigung zitierten Fällen), stehen dem Tierwohl weitsaus mehr entgegen als ein Elektrozaun:

Schafe:
Eine Einzäunung darf keine Verletzungsgefahr für die Tiere darstellen und muss ausbruchsicher sein. Das Schaf stellt im Vergleich zum Rind höhere Anforderungen an die Qualität der Einzäunung, da Schafe in Abhängigkeit von Rasse und örtlichen Gegebenheiten eher zum Ausbrechen neigen. [...] Eine alleinige Einzäunung mit Stacheldraht ist aus Tierschutzgründen nicht zulässig, da sich Schafe beim Unter- oder Durchschlüpfen erheblich verletzen oder aber mit der Wolle verfangen können.

Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Tierschutz: Empfehlungen für die ganzjährige und
saisonale Weidehaltung von Schafen, Seite 31
Rinder:
Die Einzäunung darf keine erhöhte Verletzungsgefahr für die Tiere darstellen und muss ausbruchsicher sein. Folgende Einzäunungen haben sich bewährt und sind derzeit gebräuchlich:
Stacheldraht ist eine sehr sichere Abgrenzung. Nachteilig ist die Verletzungsgefahr für Tier und Mensch.
Der Elektrozaun ist in vielen Fällen das Mittel der Wahl. Er eignet sich als Außenzaun und besonders gut als Innenzaun zur Koppelunterteilung.

Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Empfehlungen für die saisonale und ganzjährige
Weidehaltung von Rindern, Seite 31
§ 3 Abs. 2 TierSchNutztV:
Haltungseinrichtungen müssen
1.
nach ihrer Bauweise, den verwendeten Materialien und ihrem Zustand so beschaffen sein, dass eine Verletzung oder sonstige Gefährdung der Gesundheit der Tiere so sicher ausgeschlossen wird, wie dies nach dem Stand der Technik möglich ist;
[...]
3.
so ausgestattet sein, dass [...] die Tiere, soweit möglich, vor Beutegreifern geschützt werden, [...]

Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung (Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung - TierSchNutztV), § 3 Allgemeine Anforderungen an Haltungseinrichtungen https://www.gesetze-im-internet.de/tier ... v/__3.html
Die niedersächsische Richtlinie Wolf sieht den erweiterten Herdenschutz für Rinder in den Gebieten, in denen Wolfsangriffe auf diese Tierart mehrfach vorgekommen sind, für sinnvoll und förderfähig an:
Höhere Zäune bieten einen besseren Schutz! Die angegebenen Mindesthöhen stellen immer einen Kompromiss zwischen Aufwand und Nutzen dar. [...] Flächen, auf denen Rinder gehalten werden, sind oft dauerhaft eingekoppelt. Dort kann (stellenweise mit nur wenig Mehraufwand) durch die Verwendung von höheren Zäunen insgesamt ein besserer Schutz der Tiere erreicht werden. Diese höheren Varianten werden ebenfalls gefördert.

Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz: Beantragung von Präventionsmaßnahmen zum Herdenschutz vor Wolfsübergriffen in der Rinderhaltung – Erläuterungen – (Stand Februar 2019), Praktische Erläuterungen für die Beantragung von Präventionsmaßnahmen zum Herdenschutz vor Wolfsübergriffen
in der Rinderhaltung im Rahmen der „Richtlinie Wolf“[...] im Gebiet zwischen Cuxhaven und Stade, im Raum Wietzendorf, im Raum Barnstorf und im Raum Nienburg (Rodewald), Seite 8
Elektrozäune beeinträchtigen die "Artenvielfalt"?

In der Präsentation des Umweltministeriums werden emotionsgeladene Bilder von einer in Elektronetzen verhedderten Kröte, einem Igel und einem Reh gezeigt.

Das Bild des verhedderten Rehs zeigt eine Einzäunung zum Schutz eines Maisfeldes und hat weder mit Rinder- noch mit Schafhaltung etwas zu tun. Ursprünglich stammt das Bild offenbar aus einem Merkblatt des Schweizer Tierschutzes zu dem Thema "Sichere Zäune für Nutz- und Wildtiere".

Bildunterschrift:
Dieses Reh ist in einem zum Schutz von Feldfrüchten zweckentfremdeten Weidenetz elendiglich verendet.

Schweizer Tierschutz STS: Sichere Zäune für Nutz- und Wildtiere http://www.tierschutz.com/publikationen ... zaeune.pdf
Die Zweckentfremdung des Bildes in der Präsentation des Umweltministeriums wird umso offensichtlicher, wenn man sich das Merkblatt des Schweizer Tierschutzes durchliest, insbesondere die Ausführungen zu den von Herrn Lies offenbar als zumutbar empfundenen Stacheldrahteinzäunungen der Rinder im Gebiet des Rodewalder Rudels:
Stacheldraht ist schlecht sichtbar und wegen der scharfen Stachelspitzen sehr gefährlich für Mensch und Tier. Wild- und Weidetiere können sich verletzen, wenn sie Stacheldraht überspringen, unterqueren oder wenn sie gegen einen solchen Zaun laufen. An den Verletzungen gehen Wildtiere
oft qualvoll ein. Die grösste Gefahr stellen Stacheldrahtzäune entlang von Waldrändern dar. Wildtiere flüchten bei Gefahr in den schützenden Wald und sehen die Zäune am Waldrand oft nicht.
[...]
Lösung: Verzicht auf Stacheldraht – es gibt praxistaugliche, sicherere und einfacher zu installierende Alternativen. Der Kanton GR geht mit gutem Beispiel voran: In Bündner Gemeinden ist der Stacheldraht seit Jahrzehnten verboten.

Schweizer Tierschutz STS: Sichere Zäune für Nutz- und Wildtiere http://www.tierschutz.com/publikationen ... zaeune.pdf
Der Schweizer Tierschutz empfiehlt feste Litzenzäune mit Stromführung oder mobile Elektrozäune mit Litzen und Bändern. (Da passen auch Igel und Kröte unterdurch).

Der mögliche Tod von Igel & Kröte bei Netzen ist nicht auf die wolfsabweisende Funktion beschränkt. Schon allein aus Gründen der Hütesicherheit ist eine Spannung von mindestens 4000 Volt angeraten:
Problematisch ist bei Schafen der hohe Übergangswiderstand zwischen Tierkörper und Zaundraht. Dieser „Wollwiderstand“ ist abhängig von Länge und Zustand der Wolle. Tiere mit kurzer, feuchter Wolle sind empfindlicher für den Strom als Tiere mit langer, trockener Wolle.
Erfahrungsgemäß sollte bei Schafen eine Hütespannung von 4000 V nicht unterschritten werden.

Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Tierschutz: Empfehlungen für die ganzjährige und
saisonale Weidehaltung von Schafen, Seite 33
Das von Herrn Lies angeführte Beispiel taugt unter der angeführten Gefahr für Igel und Kröte eher, die Schafhaltung insgesamt in Frage zu stellen. Was für ein peinliches Eigentor.

"Der touristische Wert"

Das ist der lächerlichste aller Gründe für eine angeblich fehlende Zumutbarkeit für den Einsatz sinnvoller Herdenschutzmaßnahmen bei Rindern.
Ich kenne niemanden, für den das Vorhandensein rostiger Stacheldrahtzäune jemals ein Urlaubskriterium war - genauso wenig wie Elektrozäune ein Ausschlusskriterium wären. Pferdehaltung ist für einen Teil der Touristen ein Kriterium - und genau hier ist der Einsatz von Stacheldraht zur Umzäunung aus tierschutzrechtlichen Gründen verboten.
Pferde auf Weiden zu halten, die nur mit Stacheldraht oder Schafdraht eingezäunt ist, ist tierschutzwidrig. Darauf weist in einer Pressemitteilung der Zweckverband Veterinäramt Jade/Weser (Schortens) hin. [...] Das Verbot, das jetzt höchstrichterlich bestätigt wurde, gilt unabhängig von Pferderassen, Weidegrößen und Bewuchs der Weide.

NWZ online, 28.06.2014: Urteil: Stacheldraht auf Pferdeweiden tabu https://www.nwzonline.de/region/kein-st ... 96837.html
By the way: Das Merkblatt des Schweizer Tierschutzes zeigt auch ein Bild eines in einem nicht stromführenden Knotengitter (aus Draht) verendeten Rehs - so wie für gewöhnlich Gatterwild eingezäunt wird, Autobahnen gesichert werden oder Forstkulturen vor Verbiss geschützt werden - in Niedersachsen immerhin auf einer Länge von 15.000 km - so lang wie die EU-Außengrenze.
Benutzeravatar
Nina
Beiträge: 1779
Registriert: 10. Feb 2016, 13:25

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Nina »

Die Landesjägerschaft in Niedersachsen fordert den Abschuss des "Problemwolfs", das "Landvolk Mittelweser" fordert den Abschuss des gesamten Rudels und "die Schafzüchter" fordern die Abberufung jener Wolfsberater, die ihre Fragen an den Umweltminister in einem offenen Brief formuliert haben.

Der Präsident der Landesjägerschaft, Helmut Dammann-Tamke:
Zudem wachse die Wolfspopulation in Niedersachsen und Europa so stark, dass die Balance im Natur- und Artenschutz gefährdet sei und die Politik um eine Regulierung nicht herumkomme, so Dammann-Tamke. "Der Wolf ist ein Prädator, ein Fleisch fressendes Raubtier, das an der Spitze der Nahrungspyramide steht. Wenn wir ihn lassen, wird er in den nächsten Jahren eine flächendeckende Besiedlung vornehmen", betonte er.

NDR, 13.02.2019: Landesjägerschaft fordert Abschuss von Problemwolf https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... el154.html
Eine flächendeckende Besiedelung ist doch der Sinn der Sache - sowas nennt man Artenschutz.
"Diese Wolfsberater lassen es an der für dieses Amt notwendigen Neutralität vermissen. Deshalb beantragen wir, diese Wolfsberater wegen Befangenheit von ihrem Amt abzuberufen", schreiben die Schafzüchter. Und weiter: Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sei deshalb nicht mehr möglich.

NDR, 14.02.2019: Schafzüchter wollen Wolfsberater ablösen lassen https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... f3864.html
"Diese Wolfsberater" waren nach ihrem offenen Brief übelsten Beschimpfungen im Netz ausgesetzt.
Auf einer einschlägigen Facebook-Seite von Wolfsgegnern etwa ist zu lesen: "Angezeigt gehören diese Wolfsberater". Ein anderer User schreibt: "Als ob die den Biestern hörig sind. Den Vergleich mit Satanisten möchte ich aber noch nicht machen." Oder: "Das sind keine unabhängigen Fachleute. Es ist grausam den geistigen Durchfall dieser angeblichen Experten zu hören und zu lesen."

Lünepost, Print-Ausgabe 9./10. Februar 2019, Seite 3: Hetze gegen Wolfsberater - Nach offenem Brief wird auch eine Lüneburgerin übel beschimpft
https://www.luenepost.de/topnews/wolfsb ... -beschuss/
Das Geld der Steuerzahler in Form einer 100%-Förderung kommt aber bei den Züchtern gut an. Das sei "ein Schritt in die richtige Richtung".
Unterdessen hat der Verband der Heidschnuckenzüchter die Ankündigung des Umweltministeriums begrüßt, den Förderzusatz für Herdenschutzmaßnahmen gegen Wolfsrisse anzuheben. Der Vorsitzende des Verbands bezeichnete den Beschluss als Schritt in die richtige Richtung. Zäune und sogenannte Herdenschutzhunde sollen statt mit 80 Prozent künftig mit 100 Prozent gefördert werden.

NDR, 14.02.2019: Schafzüchter wollen Wolfsberater ablösen lassen https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... f3864.html
Benutzeravatar
Dr_R.Goatcabin
Beiträge: 1239
Registriert: 29. Jan 2016, 13:36

Re: Feuer frei: Rodewälder Rüde

Beitrag von Dr_R.Goatcabin »

Nina hat geschrieben: 14. Feb 2019, 16:46 Die Landesjägerschaft in Niedersachsen fordert den Abschuss des "Problemwolfs", das "Landvolk Mittelweser" fordert den Abschuss des gesamten Rudels und "die Schafzüchter" fordern die Abberufung jener Wolfsberater, die ihre Fragen an den Umweltminister in einem offenen Brief formuliert haben.

Der Präsident der Landesjägerschaft, Helmut Dammann-Tamke:
Zudem wachse die Wolfspopulation in Niedersachsen und Europa so stark, dass die Balance im Natur- und Artenschutz gefährdet sei und die Politik um eine Regulierung nicht herumkomme, so Dammann-Tamke. "Der Wolf ist ein Prädator, ein Fleisch fressendes Raubtier, das an der Spitze der Nahrungspyramide steht. Wenn wir ihn lassen, wird er in den nächsten Jahren eine flächendeckende Besiedlung vornehmen", betonte er.

NDR, 13.02.2019: Landesjägerschaft fordert Abschuss von Problemwolf https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... el154.html
Eine flächendeckende Besiedelung ist doch der Sinn der Sache - sowas nennt man Artenschutz.
In dem Interview vom Deutschlandfunk fand es dieser Herr wichtig, extra nochmal zu betonen, dass die Jägerschaft seit '79 ein anerkannter Naturschutzverein (!) sei. Wenn es so Einer zum Präsidenten seiner Landeszunft schafft, bringt es jetzt wohl nicht mehr allzu viel ... Bescheid zu stoßen, wie vergurkt sein Verständnis von Arten- und Naturschutz ist, und warum der Wolf strengstens geschützt ist. Muss auch generelles Symptom sein; siehe Bauernverbände. Die größten Vollpfosten werden an die Spitze gewählt.
Einerseits wird Kreide gefressen und der Presse mitgeteilt, dass man Naturschutz (und so auch die Wiederkehr des Wolfes) hochhält, gleichzeitig gilt in der zweiten Spur die Linie der wolfshassenden Hardliner, die doch angeblich in der Minderheit sein soll. Und komm' mir keiner mit "die sehen das insgesamt nur kritisch". Ja nee, is klar! :?
"Though this be madness, yet there is method in 't ..."
Antworten