Old Trapper hat geschrieben:Eine Warnung bezüglich dort spazierender kleinerer Kinder mit Hunden halte ich für durchaus gerechtfertigt.
Nicht, dass der Wolf das Kind anginge, aber dass der Hund ihn anziehen könnte, das kann man nicht ganz ausschließen.
Daher gilt hier wohl:
Besser 10 mal zuviel als einmal zu wenig gewarnt.
Auch im Sinne des Wolfes!
Panikschürerei in Form von "Warnungen" im Fall unbestätigter Wolfssichtungen sind weder im "Sinne des Wolfes" noch im Sinne einer sachlichen Information der Bevölkerung.
Allein die Konstruktion "spazierende kleinere Kinder mit Hunden" erscheint äußerst realitätsfremd, da die Kombination von dem unbeaufsichtigten kleineren Kind allein mit einem Hund auch ohne Wolfsanwesenheit berechtigte Fragen aufwirft, was die Sicherheit betrifft.
Die Gefahr für ein Kind, durch den eigenen oder einen bekannten Hund durch einen Biss verletzt zu werden, manifestiert sich in Deutschland regelmäßig: Zwei Drittel der Opfer von Hundebissen sind Kinder. In 90% der Fälle ist dabei der eigene oder ein bekannter Hund Verursacher dieser Bissverletzungen, wie eine Kinderärztin eindrucksvoll in einer ARD-Dokumentation schildert. Was Häufigkeit und Schwere der Bissverletzungen anbelangt, spielt es den Erkenntnissen der Kinderärztin zufolge keine Rolle, ob es sich um große oder kleine Hunde handelt.
Dort gibt auch Prof. Dr. Jansjoachim Hackbarth von der Tierärztlichen Hochschule Hannover folgende Stellungnahme ab:
[...]
Kinder können Hunde überhaupt nicht lesen, also nicht interpretieren, sein Verhalten nicht einschätzen, seine Reaktion nicht einschätzen.
Darum verhalten sich Kinder gegenüber Hunden wie gegenüber anderen Kindern. Und das kann zu fatalen Folgen führen.
Prof. Dr. Jansjoachim Hackbarth in der ARD-Dukumentation: Wie gefährlich sind Kampfhunde? August 2018
https://www.daserste.de/information/rep ... e-100.html
Wenn nun die "kleineren Kinder", die angeblich für gewöhnlich mutterseelenallein mit ihrem Hund Gassi gehen, vielleicht gerade nicht vom eigenen Hund gebissen werden, welche Gefahrensituation stellt sich dann aber dar, wenn sie mit ihrem Hund anderen Hunden begegnen, teils unangeleinten oder den eigenen angeleinten Hund nicht halten können?
Da es aktuell keine bundesweite Statistik gibt, schauen wir doch mal auf die Zahlen allein von Berlin aus dem Jahr 2017, in dem 584 Fälle registriert worden sind, bei denen Menschen durch Hunde "angesprungen oder verletzt" worden sind - allein in Berlin (!).
Außerdem listet die Statistik 398 Fälle auf, in denen Hunde von anderen Hunden verletzt wurden. Im Vorjahr 2016 gab es 480 entsprechende Meldungen.
rbb24, 24.04.2018: Hundebiss-Statistik 2017 Berlin Knapp 600 Mal Menschen angesprungen oder verletzt https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2 ... erlin.html
Das Risiko für das "kleinere Kind", mit seinem Hund in eine Beißerei mit einem anderen Hund involviert zu werden, liegt also weitaus höher als eine Beißerei des Hundes mit einem Wolf. Und wie wir nun ja gelernt haben, fehlen dem "kleineren Kind" noch sämtliche Fähigkeiten, den eigenen oder den anderen Hund überhaupt entsprechend einschätzen zu können. Erscheint es verlässlich, dass das "kleinere Kind", kräftemäßig den eigenen, vielleicht größeren Hund mit seinem kraftvolleren "Vierrandantrieb", bei einer Begegnung mit einem fremden Hund überhaupt an der Leine zu halten vermag?
Ein Blick in die Hundehalterverordnung in Brandenburg z. B. offenbart die Unzulässigkeit, "kleinere Kinder" allein mit dem Hund Gassi zu schicken:
§ 2
Führen von Hunden
(1) Wer Hunde außerhalb des befriedeten Besitztums führt, muss körperlich und geistig die Gewähr dafür bieten, jederzeit den Hund so beaufsichtigen zu können, dass Menschen, Tiere oder Sachen nicht gefährdet werden. Der Hundeführer hat den Hund ständig zu beaufsichtigen und sicher zu führen.
[...]
(6) Der Hundehalter hat sicherzustellen, dass sich der Hund nicht unbeaufsichtigt außerhalb des befriedeten Besitztums aufhält. Hunde dürfen nur Personen überlassen werden, die die Gewähr dafür bieten, dass die Vorschriften dieser Verordnung eingehalten werden.
Ordnungsbehördliche Verordnung über das Halten und Führen von Hunden (Hundehalterverordnung - HundehV) https://bravors.brandenburg.de/de/verordnungen-211875
Wieviel Sinn macht es also, anlässlich des allgemeinen hohen Risikos, ein "kleineres Kind" allein mit einem Hund durch die Gegend zu schicken, vor
einem Wolf zu
warnen?
Das größere Kind, das das Verhalten des Hundes einschätzen und angemessen reagieren kann, könnte man dagegen über das richtige Verhalten im Falle einer Wolfsbegegnung
aufklären, was sich für ganz Niedersachsen anbietet, da jederzeit überall eine Wolfsbegegnung möglich ist.
Old Trapper hat geschrieben:Besser 10 mal zuviel als einmal zu wenig gewarnt.
Welchen Sinn sollen 10 inhaltsleere, aber medial mächtig aufgebauschte Warnungen denn haben, wenn nicht die Absicht, Angst und Unsicherheit zu verbreiten?
Die DBBW hat verständliche und leicht nachvollziehbare Handlungsempfehlungen ausgearbeitet, wie im Falle ungewöhnlich erscheinender Wolfssichtungen vorzugehen ist. Dazu zählt ja nun erst einmal, als vermeintlich "auffällig" gemeldetes Verhalten zu untersuchen und die Bevölkerung vor Ort aufzuklären.
Die meisten Meldungen von auffälligem Wolfsverhalten stellten sich bisher als unproblematisch heraus. Es kam allerdings wiederholt vor, dass besonders spektakuläre Meldungen, wie Wolfangriffe auf Menschen, frei erfunden waren. Dies ließ sich nur durch eine zeitnahe und
intensive Vor-Ort-Recherche belegen.
Ilka Reinhardt, Petra Kaczensky, Jens Frank, Felix Knauer, Gesa Kluth: Konzept zum Umgang mit Wölfen, die sich Menschen gegenüber auffällig verhalten - Empfehlungen der DBBW, BfN-Skripten 502, 2018, Seite 21 https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/servic ... ipt502.pdf
Wie waren noch einmal die genauen Worte des CDU-Bürgermeisters, als er seine "Wolfswarnung" herausgab?
„Ich selbst habe keinen Wolf gesehen und weiß daher nicht, ob es wirklich stimmt“, erklärt Timpker im Gespräch mit unserer Redaktion.
Neue Osnabrücker Zeitung, 09.10.2018: Gemeinde gibt Warnhinweis heraus - angebliche Wolfssichtung in Spahnharrenstätte
https://www.noz.de/lokales/soegel/artik ... renstaette
Das ist eine recht dünne Grundlage für "Warnungen" an die Bevölkerung, zumal in den Jahren zuvor in Niedersachsen bereits mehr als 6.000 Wolfshinweise dokumentiert worden sind, ohne dass irgendjemand hätte gewarnt werden müssen.
Unbegründet Angst und Unsicherheit zu verbreiten, um dann die eigenen Leute mit einer vermeintlich einfachen Lösung aufwarten zu lassen, erscheint wie ein bekanntes PR-Muster so einiger Parteien. Der freie Fall von CDU und SPD in der Wählergunst lässt allerdings auch den hoffnungsvollen Schluss zu, dass man Wählern nicht unbegrenzt ein X für ein U vormachen kann, nur um an der Mehrheit der Bevölkerung vorbei einer bestimmten, kleinen Klientel dienlich zu sein.