30 Stück Thamm-Wildpret in Stolpen gerissen

Die Beziehung zwischen Mensch und Wolf, Zusammenleben, Herdenschutz, Konflikte und Lösungen.
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Lutra
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30 Stück Thamm-Wildpret in Stolpen gerissen

Beitrag von Lutra »

Da gegenwärtig nicht viel los ist und sich scheinbar ein Sommerloch aufgetan hat, mal eine nicht ganz taufrische Meldung:
Im Jahre 1691, den 28. August, hatte sich ein Wolf in den hiesigen Tiergarten gefunden, der am Wildprete großen Schaden tat, indem binnen etlichen Nächtenüber 30 Stück niedergebissen wurden. In demselben Jahre 1691, den 31. Oktbr., langten Se. Churfürstl. Durchl. Johann George IV. nebst dero Herrn Bruder Herzog Fr. Augusto Vorm. gegen 10 Uhr von Moritzburg allhier an, da sie sodann in dem Tiergarten gegen 104 Stück Thamm-Wildpret schossen und sich darnach aufs Scloß begaben, allwo sie dem Herrn Landeshauptmann v. Schönberg Audienz erteilten, welcher im Namen sämtlicher Stände des Markgrafentums Oberlausitz wegen angetretener Churfürstl. Regierung die unterthänigte Gratulation abstatteten. Nach aufgehobener Tafel gingen sie von hier nach Dresden.
zitiert aus der Chronik der Stadt Stolpen von Carl Christian Gercken, 1764, in "Was die Heimat erzählt", Friedrich Bernhard Störzner 1904
maxa67

Re: 30 Stück Thamm-Wildpret in Stolpen gerissen

Beitrag von maxa67 »

Also ich find diese historischen Exkurse richtig schick - danke Lutra. Alte Chroniken und Kirchenbücher sind Schätze der Alltagsgeschichtsschreibung. Obs nun wie oben ein Wolfsriß ist oder eine verheerende Windhose, sowas liest sich phantastisch.
Lutra
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Re: 30 Stück Thamm-Wildpret in Stolpen gerissen

Beitrag von Lutra »

maxa67 hat geschrieben: 21. Jun 2019, 08:43 Also ich find diese historischen Exkurse richtig schick - danke Lutra. Alte Chroniken und Kirchenbücher sind Schätze der Alltagsgeschichtsschreibung. Obs nun wie oben ein Wolfsriß ist oder eine verheerende Windhose, sowas liest sich phantastisch.
Da leg ich doch gleich mal was nach aus dem Abschnitt "Frühere Dienste einiger Dörfer in der Stolpener Pflege" aus dem gleichen Buch:
Vor allen Dingen hatten die Bewohner genannter Dörfer bei den kurfürstlichen Jagden zu fronen. Die Fischbacher mußten 2 Wagen mit den nötigen Mannen "auf den Künzelbaß, Karswald und Fischbacher Holz" stellen. Sie erhielten keinerlei Vergütung, nur denen "so das Wildpret stachen, wurden für jedes Stück 2 Groschen gegeben". Diese Jagddienste wurden von den Bewohnern als eine große Last empfunden. Damals gab es in der Stolpener Gegend außer zahlreichem Hochwilde noch allerlei Raubtiere, wie Bären, Wölfe, Luchse und Wildkatzen.Am gefürchtetsten waren die Wolfs- und Luchsjagden. Diese wurden gewöhnlich in den strengsten Wintertagen abgehalten, und Dörfer und Städte hatten die nötigen Treiber zu stellen. Bei mancher Jagd waren weit über 500 Treiber nötig. Diese Jagddienste unterlagen keiner allgemeinen Regelung und Begrenzung, sondern es mußten die Untertanen, "so oft sie erfordert", dazu erscheinen, und nicht etwa nur zu den Jagden, die in ihrem Ante abgehalten wurden, sondern auch in fremden, entlegenen Gegenden. So mußten die Bewohner von Fischbach, Seeligstadt, Schmiedefeld, Wilschdorf bis nach Hohnstein in die Sächsische Schweiz kommen....
...Schlupfwinkel für die zahlreichen Wölfe waren früher in der Stolpener Gegend die waldreiche Masseney bei Seeligstadt und der umfangreiche Karswald bei Fischbach oder der Fischbacher Wald. Noch im Jahre 1750 wurden hier Wölfe erlegt.
zaino
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Re: 30 Stück Thamm-Wildpret in Stolpen gerissen

Beitrag von zaino »

*seufz* Es wird wie immer sinnlos sein, aber
- der Wolf jagt selektiv, besser als jeder menschliche Jäger das kann. Das wissen moderne Wildbiologien so gut wie es jeder Native schon vor zig Tausend Jahren wusste. Damit sorgt der Wolf für gesunde Bestände.
- Studien haben nachgewiesen, dass das Wild in Wolfsrevieren nicht irgendwie panisch, scheu, angstgejagt, sondern vom Verhalten her völlig normal reagiert.
- Studien haben auch dokumentiert, dass der Wolf zu über 90% Wildpret gegenüber Hausgetier bevorzugt.
- In der angeblichen Kulturlandschaft gab es schon vor vielen Jahrhunderten ganz andere Probleme als den Wolf. Manche Regionen wurden z. B. im 30jg Krieg und davor und danach durch die Pest komplett entvölkert. Der Wolf spielte da eher eine Rolle als Zweitverwerter - das ist auch einer seiner Jobs, nämlich aufzuräumen, was sonst vergammeln und weitere Krankheitsherde entstehen lassen würde. Damit ging womöglich phasenweise eine "Habituierung" einher und man fraß halt, was so herumlag, ob mit oder ohne Kleider und Stiefel. Makaber - aber Mutter Natur verschwendet ungern. Und vor dem Homo Sapiens erstarrt sie mitnichten in Ehrfürchtiger Scheu.
- wenn man den Linné- und andere Reporte liest, fragt man sich wieder, warum der Mensch sich über den Wolf so hysterisch aufregt. Die meisten Verluste hat immer noch der Mensch dem Menschen zugefügt, die gesamte Geschichte hindurch.
maxa67

Re: 30 Stück Thamm-Wildpret in Stolpen gerissen

Beitrag von maxa67 »

Der Wolf war anno dazumal - also > 19. Jahrhundert ein direkter Konkurrent auf dem Lande. Da gings um Existenzen von Bauern, um Dezimierung des adligen Wildbestandes, um Gefahr - besonders durch Tollwut. Und ich gehe davon aus, daß die Population ebenso ganz andere Dimensionen hatte als heute.
Netter geschichtlich gruseliger Exkurs in einem älteren WELT Artikel:
https://www.welt.de/geschichte/article1 ... d-Tod.html

Passender Satz zur aktuellen Lage den ich grinsend zitieren möchte
Wo Wölfe auftauchten, waren staatliche und kirchliche Ordnung schwach oder gänzlich zusammengebrochen.
zaino
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Re: 30 Stück Thamm-Wildpret in Stolpen gerissen

Beitrag von zaino »

Interessanter Bericht. Bezeichnend, dass überall, wo die Massen-Haltung (Seuchendruck) und die Kriegführung des Homo Sapiens sich bemerkbar machten, die "Gesundheitspolizei" der Natur anrückte. Bedenken wir auch, dass von der ungewollten Säuglingsleiche bis zu Schlachtabfällen alles schlicht nach draußen gepfeffert wurde. Klar, dass Fuchs, Schakal, Krähen, Raben, Geier und ja, auch die Wölfe, anrückten. DAS ist ihr Job, jedenfalls einer davon. Ich will da gar nichts verharmlosen.
Hätten wir heute hier Kriegshandlungen am Laufen und besagten Zusammenbruch aller Strukturen, würde die Natur wieder in diese Lücken rutschen. Und bisherige Grenzen gnadenlos überschreiten.
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