Wölfe regulieren sich nicht selbst

Die Beziehung zwischen Mensch und Wolf, Zusammenleben, Herdenschutz, Konflikte und Lösungen.
Erklärbär
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Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von Erklärbär »

Sehr lesenswertes Interview mit einem Mann der Praxis über die Unmöglichkeit von Herdenschutz, über manipulative Fehlinterpretation des Anteils an Nutztierrissen, den Aberglauben an die Selbstregulation der Wolfsbestände u.v.m.

https://www.hersfelder-zeitung.de/lokal ... 330704.htm
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SammysHP
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Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von SammysHP »

Ahnung von Schafen zu haben heißt nicht, Ahnung von Wölfen zu haben.
Lutra
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Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von Lutra »

Was er von der Lausitz sagt, ist absoluter Unsinn. Erstens macht nicht der NABU die Losungsuntersuchungen. Zweitens leben die Wölfe hier durchaus nicht nur auf Truppenübungsplätzen. Drittens gibt es hier genau so Weidetiere wie bei ihm. Allerdings gibt es hier Schäfer, die es durchaus schaffen, mit ordentlichen Zäunen und Herdenschutzhunden Wolfsrisse zu verhindern. Bei denen sollte er sich mal erkundigen, wie es geht.
zaino
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Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von zaino »

Mich frustriert immer diese Sturheit: Es geht nicht, weil wir es nicht wollen, und wir wollen nicht, dass es geht, also weg mit dem Wolf (und manch anderem Wildtier). Da können Experten machen, was sie wollen, von X Studien bis Kopfstand. Wenn sie nicht die Null-Lösung bzw. das Null-Risiko versprechen können, sind sie gleich Lügner, Traumtänzer, Ahnungslose, Wolfskuschler, kurz, des Zuhörens nicht wert. :(
Aber wenn einer kommt und Rotkäppchen-Horror berichtet, DEM hören alle zu, DER weiss er, Dem glauben wir....
Selber denken, Herz und Logik mal in Kombi einsetzen? Nö, ist nicht. (
Erklärbär
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Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von Erklärbär »

Lutra hat geschrieben: 8. Jun 2019, 19:43 Was er von der Lausitz sagt, ist absoluter Unsinn. Erstens macht nicht der NABU die Losungsuntersuchungen. Zweitens leben die Wölfe hier durchaus nicht nur auf Truppenübungsplätzen. Drittens gibt es hier genau so Weidetiere wie bei ihm. Allerdings gibt es hier Schäfer, die es durchaus schaffen, mit ordentlichen Zäunen und Herdenschutzhunden Wolfsrisse zu verhindern. Bei denen sollte er sich mal erkundigen, wie es geht.
Moin Lutra,

Habe mal eben in die Studie reingeschaut, Holzapfel et al. Ich nehme an, dass sich darauf bezogen wird. Die Daten sind nur bis 2009 gesammelt worden. Bis dahin hat sich womöglich einiges verändert, da sowohl die Zahl der Wölfe als auch die Zahl der Nutztierrisse gestiegen ist. Über die Finanzierung der Studie konnte ich keine Erklärung finden. Es ist daher nicht ganz abwegig, dass der NABU die Studie finanziert hat. Wäre dann ein Interessenskonflikt. Wer sind die Geld/Drittmittelgeber?
Wie hoch der Anteil Nutztierhalter im untersuchten Gebiet sein soll, darüber konnte ich keine Angabe finden.
Ist aber logisch, dass sich der Speiseplan des Wolfes nicht den Zielen einer Studie unterordnet, sondern vom Nahrungsangebot abhängt. Entsprechend ändert sich die Zusammensetzung der Losung nach Verfügbarkeit der Beutetiere. Auf Truppenübungsplätzen oder stillgelegten Kohlehalden werden sich schon nicht so viele Nutztierhalter finden, gelle?

Die Durchführbarkeit von Herdenschutz hängt anscheinend von der Haltungsform ab. Das habe ich so verstanden. Für Wanderschäfer mit mehreren Herden wohl nicht praktikabel.

Schönen Pfingstsonntag!

Erklärbär
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Lutra
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Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von Lutra »

Erklärbär hat geschrieben: 9. Jun 2019, 07:07 Es ist daher nicht ganz abwegig, dass der NABU die Studie finanziert hat. Wäre dann ein Interessenskonflikt. Wer sind die Geld/Drittmittelgeber?
Die Untersuchungen wurden vom Land Sachsen finanziert und beauftragt unter Federführung des Naturkundemuseums Görlitz.
Wanderschäferei ist doch der absolut kleinste Teil bei der Schafshaltung heute in Deutschland. Überwiegend werden die Schafe in Koppeln gehalten und genau dort sind sie auch durch Wölfe gefährdet, nicht wenn ein Schäfer sie hütet. Nun kommt es drauf an, wie die Koppeln beschaffen sind. Da nützt es nichts, wenn sie schön aussehen und trotzdem ihre Schwachstellen haben in Bezug auf Wolf.
Über das Nahrungsangebot brauchst Du Dir keine Gedanken zu machen. Schalenwild ist auch in der Lausitz mehr als genug da. Nutztiere werden nur als Sonderangebot gerne mal genutzt.
TheOnikra

Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von TheOnikra »

Erklärbär hat geschrieben: 8. Jun 2019, 06:39 Sehr lesenswertes Interview mit einem Mann der Praxis über die Unmöglichkeit von Herdenschutz, über manipulative Fehlinterpretation des Anteils an Nutztierrissen, den Aberglauben an die Selbstregulation der Wolfsbestände u.v.m.
Erklärbär hat geschrieben: 9. Jun 2019, 07:07 Habe mal eben in die Studie reingeschaut, Holzapfel et al. Ich nehme an, dass sich darauf bezogen wird. Die Daten sind nur bis 2009 gesammelt worden. Bis dahin hat sich womöglich einiges verändert, da sowohl die Zahl der Wölfe als auch die Zahl der Nutztierrisse gestiegen ist.
Da wurde der Kot der Wölfe untersucht und man kam auf die legendäre Angabe von 0,8 Prozent Nutztieranteil. Darauf wird seit Jahren herumgeritten, obwohl diese Angabe wissenschaftlich völlig unhaltbar ist. Es gibt in der untersuchten Region kaum Nutztiere, es handelt sich um Truppenübungsplatzgelände und rekultivierten Braunkohletagebau
Es könnte auch einfach daran liegen das die Verbreitung der Wölfe nur dieses Gebiet umfasste und es gab auch Kotproben aus Sachsen und Brandenburg.
Außerdem ist diese Zahl veraltet. Was hier verschwiegen wird ist das es bereits augeweitete Untersuchungen gibt. Zahl bis 2016 1,1%
Ebenso wird bei Selbstregulierung ein wichtiger Faktor vergessen. Die intraspezifische Konkurrenz und der vorhandene notwendige Lebensraum. z.B. zur Aufzucht von Jungen.
=> So viel zur manipulativen Fehlinterpredation. Nicht sehr lesenswert.
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Nina
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Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von Nina »

Erklärbär hat geschrieben:Über die Finanzierung der Studie konnte ich keine Erklärung finden. Es ist daher nicht ganz abwegig, dass der NABU die Studie finanziert hat. Wäre dann ein Interessenskonflikt. Wer sind die Geld/Drittmittelgeber?
Ist es nicht ein bisschen warm für den Aluhut? Es ist Feiertag, die Sonne knallt vom Himmel - also warum das olle Ding nicht einfach mal absetzen und dem Enzephalon ein bisschen Frischluft gönnen?

Wie wäre es z. B. mit einer Studie von Vertretern der Landesjägerschaft Niedersachsen, der Tierärztlichen Hochschule Hannover und dem Institut für Biologie und Chemie der Universität Hildesheim mit dem Titel: "Untersuchungen zur Nahrungsökologie des Wolfes (Canis lupus) in Niedersachsen", für die 504 Wolfs-Kotproben aus dem Zeitraum 2013 - 2017 ausgewertet wurden?

Das Ergebnis:

- Anteile einzelner Nahrungskategorien an der gesamten Biomasse:
Domestizierte Tiere: 0,49 Prozent

- Häufigkeiten einzelner Nahrungskategorien in der Stichprobe:
Domestizierte Tiere: 0,4 Prozent

Quelle: Landesjagdbericht Niedersachsen 2017/2018, Seite 104-107
https://www.ljn.de/fileadmin/dateien/lj ... _18Web.pdf

So, ich gehe jetzt wieder raus, noch ein Insektenhotel aufhängen und an meiner Blühwiese weiterarbeiten. Solltest Du auch tun; da tut man was Nützliches - und es macht auch noch gute Laune und bringt einen auf andere Gedanken, als nach Chemtrails Ausschau zu halten und über mögliche Verschwörungen zu fabulieren. :)
Erklärbär
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Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von Erklärbär »

Was wollt Ihr mir denn für einen Bären aufbinden? Dass der Anteil an Nutztierrissen bei Wölfen hierzulande verschwindend gering sein soll? Mag sein, für Betroffene ist es dennoch fürchterlich.

Aber weiten wir unseren Horizont.

In einer Studie von Vadim et al. wurde gezeigt, dass der Anteil an domestizierten Tieren in der Wolfsnahrung abhängig ist vom Gesamtnahrungsangebot. Geht dieses zurück, geht der Wolf vermehrt in menschliche Siedlungen und holt sich Nutztiere. Im Kot wurden bis zu 38 % nachgewiesen. Auch für Menschen wurde es gefährlich.

Das zeigt mir, dass das Risiko für Wolfsangriffe gering ist, solange reichlich Nahrung in der Wildnis vorhanden ist. Kippt das Verhältnis, wird es kritisch.
In der Studie wird auch erwähnt, dass die Anzahl an Wölfen durch Bejagung reduziert werden kann und die Gefährdung der Menschen entsprechend abnimmt. Vergrämung funktioniert.
Quod erat demonstrandum.

Gruss Erklärbär
Wolf Canis lupus numbers, diet and damage to livestock in relation to hunting and ungulate abundance in northeastern Belarus during 1990–2000
Vadim E. Sidorovich, Larisa L. Tikhomirova,Bogumiła Jędrzejewska

Wildlife Biology, 9(4):103-111 (2003).https://doi.org/10.2981/wlb.2003.032

Abstract

Wolf Canis lupus relationships with wild ungulates, domestic animals and humans were studied in an area of ca 800 km2 at the head of the Lovat River in northeastern Belarus during 1990–2000. The region was dominated by natural habitats (78%) consisting mainly of forests and bogs, but also lakes and rivers. The abundance of wild ungulates, such as moose Alces alces, wild boar Sus scrofa, and roe deer Capreolus capreolus, as censused by snow tracking and assessed by game wardens, declined 5 to 6-fold between 1990 and 1996, most probably due to uncontrolled exploitation and poaching. During 1997–2000, the numbers of ungulates began to recover. Wolves responded to the shortage of wild ungulates by a strong shift in feeding habits. When wild ungulates were numerous, wolf diet as studied by scat analysis was composed of wild ungulates (80–88% of consumed biomass), with small additions of medium- and small-sized wild animals (7–13%), mainly beaver Castor fiber and hare Lepus sp., and domestic animals (4–6%), mainly cattle. In the years when the recorded numbers of wild ungulates were at their lowest, wolves preyed on domestic animals (38% of biomass consumed), wild ungulates (32%), and medium- and small-sized wild prey (29%). Wolf damage to domestic animals (28 head of cattle and 247 dogs killed) and wolf-human interaction (100 observations of wolves in and near villages, including one attack by a rabid wolf on 11 people) were recorded in 14 villages. The rate of wolf predation on domestic animals and their appearances in villages increased exponentially with the declining biomass of wild ungulates and ceased again when wild ungulates began to recover; a one-year time lag in wolf response to changes in ungulate abundance was observed. The numbers of wolves as estimated by snow tracking and assessed by game wardens played a weaker role in shaping wolf-livestock and wolf-human interaction. The wolf population was strongly affected by hunting during the study. Wolves responded numerically with a 1 to 2-year time lag to the varying intensity of harvest by humans. Our study showed the role of the human factor in shaping wolf numbers and wolf-livestock interaction in eastern Europe. The three major components of this relationship were: 1) the manifold decline in wild ungulate abundance, which was most probably caused by uncontrolled exploitation by humans in the years of political transformation and economic regress, made wolves shift to predation on domestic animals; inevitably, wolves were frequently seen in the rural areas; 2) people interpreted the growing rates of wolf damage and appearances near the settlements as an effect of greatly increasing numbers of wolves, and demanded that authorities and hunters fight the ‘wolf plague’; 3) hunting impact on wolves increased and led to a marked reduction in wolf numbers and a decline in wolf-human conflicts. This scenario was most probably repeated in many areas of eastern Europe during 1990–2000, which was a decade of political and economical transformation. From a management perspective, we suggested that predation levels and wolf-human conflicts could be reduced not only by increased wolf harvest but also by enhancing the density and diversity of wild ungulates.
https://bioone.org/journals/Wildlife-Bi ... 3.032.full
Will you walk out of the air, my lord?
TheOnikra

Re: Wölfe regulieren sich nicht selbst

Beitrag von TheOnikra »

Erklärbär hat geschrieben: 9. Jun 2019, 23:59 In einer Studie von Vadim et al. wurde gezeigt, dass der Anteil an domestizierten Tieren in der Wolfsnahrung abhängig ist vom Gesamtnahrungsangebot. Geht dieses zurück, geht der Wolf vermehrt in menschliche Siedlungen und holt sich Nutztiere. Im Kot wurden bis zu 38 % nachgewiesen. Auch für Menschen wurde es gefährlich.

Das zeigt mir, dass das Risiko für Wolfsangriffe gering ist, solange reichlich Nahrung in der Wildnis vorhanden ist. Kippt das Verhältnis, wird es kritisch.
Daran war wie deutlich aus der Studie hervorgeht der Mensch Schuld. Da haben wir doch die Ursache und die sollte man bekämpfen und nicht die Symtome. Wie man sieht ist Wolfschutz immer auch allg. Naturschutz.
Erklärbär hat geschrieben: 9. Jun 2019, 23:59 In der Studie wird auch erwähnt, dass die Anzahl an Wölfen durch Bejagung reduziert werden kann und die Gefährdung der Menschen entsprechend abnimmt. Vergrämung funktioniert.
Das hat hat nichts mit Vergrämung zu tun. (Kein Lerneffekt)
Durch die Reduktion hat man nur das Verhältnis künstlich wieder begradigt. Sehr verwerflich, da sie selbst an den Missständen Schuld waren. Eine Alternative wurde ja genannt. Die Erhöhung der Beute. Was den gleichen Effekt hat und Jagt somit unnötig macht.
Zu bedenken dass auch vorher der Wolf bejagt wurde und es trotzdem zu eine Anstieg kam =>Vergrämung funktionert eben nicht!

Außerdem wer hätte es gedacht:
The numbers of wolves as estimated by snow tracking and assessed by game wardens played a weaker role in shaping wolf-livestock and wolf-human interaction.
Daraus ergibt sich doch es für Deutschland keinen Anlass für die Bejagung von Wölfen gibt.

Danke für diese Studie.

P.S. Nach dem Nahrungsangebot an Wild könnten wir in Deutschland über 10.000 Wölfe haben.
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