Sollte tatsächlich ein Wolf als Verursacher nachgewiesen oder nicht ausgeschlossen werden können, zeigt uns dieser Riss, dass die Zahl der Wölfe für solche Ereignisse irrelevant ist. Auch ohne nachgewiesene Rudel und einer geringen Zahl von Nachweisen sind solche Vorfälle möglich. Würde man die Zahl der Wölfe beispielsweise in Brandenburg, Sachsen oder Niedersachsen auf das Niveau von Baden-Württemberg durch Bejagung verringern, gäbe es trotzdem keine Garantie, dass sich solche Vorfälle nicht mehr auftreten würden.
Andererseits wäre es hilfreicher, die Ergebnisse erst einmal abzuwarten, als das Geschehen mal wieder voreilig als Wolfsriss in die Welt hinauszuposaunen. Ich erinnere mal an den Fall 20 aus dem Jahr 2013 in Niedersachsen (Heidekreis), als 90 tote Schafe entdeckt worden waren. Ergebnis: Kein Wolf - die Tiere waren nur unvollständig eingezäunt, wurden ins Wasser getrieben und ertranken.
Im Fall 234 (Wesermarsch) war 2015 ein Hund ursächlich für den Verlust von 26 Schafen.
Leider gerät bei den medialen Aufbereitungen solcher Fälle - die für den betreffenden Halter durchaus als katastrophal empfunden werden mögen - die Relationen ins Ungleichgewicht. Herden mit 150 Schafen und mehr dienen sicherlich nicht lediglich dem Kuschelbedürfnis der Halter, sondern sind in der Regel knallhartes Geschäft. Diese Tiere sind meist nicht für ein langes Leben bestimmt, an dessen Ende der natürliche, "friedliche" Tod steht, sondern früher oder später dienen die Schafe dem Erwerb und werden verkauft - zur Schlachtung, bestenfalls innerhalb der EU.
Rund 1,6 Mio. Schafe werden in Deutschland gehalten. Mehr als eine Mio. Schafe werden jährlich geschlachtet, was zwangsläufig bedeutet, dass der jährliche Zuwachs durch Schlachtung oder Export abgeschöpft wird oder in unbekannter Zahl durch vorzeitiges Verenden in der Tierkörperverwertung landet.
Sind die Schafe erst einmal an Händler zur Schlachtung verkauft, wird kaum noch jemand Zeuge, was dann mit ihnen geschieht. In der Schlachtung werden sie auch zerlegt, nur dass das dann niemanden mehr interessiert. Bestenfalls sterben sie durch Ausbluten nach vorheriger Betäubung, mit behördlicher Genehmigung auch ohne. Wie oft präsentieren uns Medien denn die Bilder vom betäubungslosen Schlachten? Das Tierleid wird spätestens dann geradezu unvorstellbar, wenn die Schafe in Drittländer außerhalb der EU verkauft werden. Wenn sie den langen Transport unter widrigsten Bedingungen überleben, folgt meist ein noch qualvolleres Sterben mit ungeeigneten Werkzeugen, unzureichend ausgebildeten Menschen und unnötigen Quälereien wie dem Durchtrennen der Beinsehnen und/oder dem Ausstechen der Augen noch vor der eigentlichen Schlachtung ohne Betäubung.¹
Die Fleischwirtschaft freut sich über die boomenden Lebendexporte:
Der Anteil der von Wölfen gerissenen Schafe lag dabei beispielsweise 2016 bei nicht einmal 0,1%.Noch größer als bei den Rindern ist bei den Schafen der Anteil des Lebendexports an den Gesamtausfuhren. Laut EU-Kommission wurde im vergangenen Jahr die Rekordsumme von 2,62 Millionen Schafen und Lämmer, ohne die Berücksichtigung von reinrassigen Zuchttieren, in Drittländer verkauft.
Fleischwirtschaft, 03.12.2017: EU importiert weniger http://www.fleischwirtschaft.de/wirtsch ... iger-35832
Und während beim Wolf alle Zahlen akribisch gesammelt und dokumentiert werden, hält es die Bundesregierung nicht für nötig, die Zahlen der vorzeitig verendeten Nutztiere, die zum Teil nach langem Leiden und mit deutlich sichtbaren Beeinträchtigungen in den Tierkörperverwertungsanstalten landen, zahlenmässig zu erfassen.
Lediglich zu Rindern liegen Zahlen vor, nach denen die Zahl der verendeten oder notgetöteten Tiere, die es nicht mehr bis zur Schlachtung geschafft haben, 2015 gegenüber 2013 um rund 2% und 2016 gegenüber 2013 um rund 8% auf 579.111 verendete Tiere gestiegen ist.
Zu den Ursachen verweist der Bund lediglich aus Studien zu Schweinen und Rindern aus Deutschland und Österreich.
Oder wie es ein Amtsveterinär in einem Beitrag von Report Mainz ausgedrückt hat:Nach der in Deutschland durchgeführten Studie [...] stellte der Befund einer hochgradigen allgemeinen Auszehrung einen der häufigsten Hinweise auf länger anhaltende Leiden dar. Häufig waren auch chronische Erkrankungen des Bewegungsapparates (v. a. eitrige Gelenkentzündungen) oder der Haut (v. a. infizierte Bissverletzungen) festzustellen.
Bundestagsantwort 19/1756 vom 19.04.2018 auf die Kleine Anfrage 19/1523 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/017/1901756.pdf
Die tiefreichenden eitrigen Wunden des gezeigten sezierten Rindes wurden übrigens verpixelt dargestellt - anders als bei Wolfsrissen, wo die Verletzungen in vielen Medien geradezu genüsslich herangezoomt werden.Tiefgreifenden Vereiterungen, Abschürfungen, das geht hin bis zum Abmagern, bis zum Verhungern. Sowas finden wir hier alles.
Report Mainz, 20.03.2018: Millionen Schweine sterben für den Müll http://www.ardmediathek.de/tv/REPORT-MA ... d=50999848
Auch die Ergebnisse der Studie der Tierärtzlichen Hochschule in Hannover, auf deren Ergebnis sich auch die Bundestagsantwort der Bundesregierung stützt, legen nahe, welchem Ausmaß an Leid Nutztiere in Deutschland generell ausgesetzt sein müssen. Demnach wurden beispielsweise nur 38,2% der notgetöteten Schweine fachgerecht und korrekt getötet - bei 61,8% wurden "erhebliche" Mängel hinsichtlich Betäubung und/oder Tötung festgestellt.²
Bei fast 12% der Zucht- und mehr als 13% der Mastschweine wurden zudem Befunde dokumentiert, die "mit länger anhaltenden erheblichen
Schmerzen und/oder Leiden verbunden waren".²
Wenn man jetzt also nicht einmal 0,1% durch den Wolf getötete Schafe als zu hoch bewertet, wäre es nur transparent, Zahlen und Gründe für die sonstigen Todesfälle von Schafen, die in den Tierkörperverwertungsanstalten landen, zu dokumentieren und in ein Verhältnis zu setzen.
Indizien wären z. B. Feststellungen, wie sie der Zweckverband Veterinäramt Jade-Weser getroffen hat:
Dieses Phänomen ist bekannt und lässt sich eigentlich nur minimieren, wenn die Schafe beaufsichtigt werden (Behirtung!):Häufigste Mängel in der Schafhaltung sind einerseits die nicht rechtzeitige Schur von Schafen. Kommen diese Tiere in Seiten oder Rückenlage kann es dazu führen, dass diese Tiere sich nicht mehr aufrichten können und festliegen. [...] In Rücken- oder gekippter Seitenlage festliegende Tiere gasen schnell auf, was zum raschen Tod durch Kreislaufversagen führen kann.
Zweckverband Veterinäramt Jade-Weser: Tierschutz in der Schafhaltung http://www.jade-weser.de/Tierschutz/Lan ... fault.aspx
Jüngst war in den einschlägigen sozialen Medien von so einem Fall zu lesen, bei dem das Muttertier vor seinen beiden Lämmern auf genau diese Weise verendete. Die Wolfsgegner monierten tatsächlich, dass eine wolfsabweisende Einzäunung es unbeteiligten Spaziergängern nun unmöglich machen würde, den Schafen wieder aufzuhelfen. Damit sei wieder einmal der Wolf schuld an der Misere.„Wenn die Schafe sehr dicke Wolle haben, weil sie kurz vor der Schur stehen oder wenn sie hochtragend sind, klappt es mit dem Aufstehen manchmal nicht. Das hat nichts mit ihrem Alter zu tun oder mit einer Krankheit, es ist einfach nur ihr Gewicht” [...] „Sie versuchen dann sich hochzuschaukeln und kippen dabei manchmal auf den Rücken. Aus dieser Lage kommen sie ohne Hilfe nicht mehr alleine hoch.” Zwar fahren die Landwirte jeden Tag zu ihren Schafherden raus und sehen nach dem Rechten, doch solche „Unfälle” können sie nicht vermeiden. Bis sie am nächsten Morgen wieder bei der Herde sind, kann es mitunter schon zu spät sein.
shz, 03.08.2016: Warum "Schafe-Schubsen" Leben rettet https://www.shz.de/lokales/sylter-runds ... 39476.html
Die Frage ist ja, ob nicht der Halter Vorkehrungen treffen müsste, das bekannte Risiko zu minimieren. Sich auf zufällig vorbeikommende Passanten zu verlassen, ist mehr als fragwürdig.
Nicht behandelte Ektoparasiten sind "ein weiterer häufiger Mangel":Von Februar bis Mai kommt es besonders häufig vor, dass man Schafe sieht, die auf dem Rücken liegen.Hilft man ihnen nicht, sind ihre Stunden gezählt.
NOZ, 21.02.2018: Jede Minute zählt: Wie "Schafe-Schubsen" Leben retten kann https://www.noz.de/video/35595/jede-min ... etten-kann
Auch sie fördern das Festliegen:Ein weiterer häufiger Mangel ist der nicht behandelte Parasitenbefall der Schafe. Schafe sind sehr empfindlich gegenüber Endoparasiten (innere Parasiten) und Ektoparasiten (äußere Parasiten wie zum Beispiel die Schaflausfliege). Bei starkem Parasitenbefall verlieren die Tiere soviel Blut und Eiweißstoffe, dass sie sterben. Parasitenbefall ist eine der häufigsten Todesursachen bei Schafen.
Zweckverband Veterinäramt Jade-Weser: Tierschutz in der Schafhaltung http://www.jade-weser.de/Tierschutz/Lan ... fault.aspx
Neben dem Lammen bei nasskalter Witterung, bei dem die Jungtiere durch Unterkühlung verenden können, wird ein weiteres Problem beobachtet:Verharren Schafe längere Zeit in dieser unnatürlichen Position, kann es im geringsten Fall zu erheblichen Verletzungen am Kopf, insbesondere Anschwellungen im Augenbereich (sogenannte Hämatome) kommen, da die Tiere durch Kopfschlagen versuchen, sich aus dieser misslichen Situation zu befreien. Auch Aborte und Todesfälle infolge Kreislaufversagens werden beschrieben.
Ursächlich handelt es sich um einen meist durch Ektoparasiten, in der Regel Haarlinge, provozierten Juckreiz im Rückenbereich, den die hochtragenden Tiere durch Wälzen in seichten Bodenwellen oder Fahrrinnen versuchen zu stillen. Die Trägheit des Fruchtwassers in der Gebärmutter verhindert ein rasches Drehen des Körpers um die Längsachse.
Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen: Kleine Tiere mit großer Wirkung: Festliegende Schafe auf der Weide https://www.landwirtschaftskammer.de/la ... iegend.htm
Auch das Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) hat in einem Merkblatt die Tücken der Schafhaltung auch ohne Wolf und deren Abhilfe zusammengefasst. Es sieht eine deutliche Verschiebung von der Berufs- zur Hobbyschäferei und damit einen zunehmenden Mangel an Ausbildung und Fachkompetenz der Schafhalter:Ein weiterer Missstand in einigen Schafhaltungen ist häufig die mangelhafte Weidebeaufsichtung. Dann stellen wir fest, dass sich beispielsweise Lämmer in den Zäunen verfangen haben und dort unentdeckt elendig verendet sind.
Zweckverband Veterinäramt Jade-Weser: Tierschutz in der Schafhaltung http://www.jade-weser.de/Tierschutz/Lan ... fault.aspx
In Uferbereichen, an Gräben und Grüppen sind Schafe besonders gefährdet. Zum einen nutzen gebärende Schafe die schrägen Ränder als Sicht- und Windschutz zum Ablammen, wobei die Lämmer ertrinken können. Zum anderen können auch erwachsene Schafe bei dem Versuch, aus dem Gewässer zu trinken, dort abrutschen:Die Haupterwerbsschäfereien mit ausgebildeten Fachkräften haben abgenommen, dafür ist die Zahl der Nebenerwerbs- und Hobbyschaf
haltungen, deren Betreiber das Schäferhandwerk i. d. R. nicht erlernt haben, stark gestiegen. Fehlende Erfahrung, mangelndes Fachwissen und eine zeitlich unzureichende Betreuung können zu erheblichen Problemen in der Schafhaltung führen.
LAVES: Empfehlungen für die ganzjährige und saisonale Weidehaltung von Schafen http://www.jade-weser.de/Portals/0/Down ... 090305-940
Übrigens dürfen männliche Lämmer unter vier Wochen ohne Betäubung (und nicht einmal zwingend durch einen Veterinär) kastriert werden. Den Schwanz darf eine "sachkundige Person" bei unter acht Tage alten Lämmern ohne Betäubung kupieren.Die Wolle saugt sich voll Wasser, die Schafe liegen fest und verenden, wenn sie nicht rechtzeitig gefunden
und geborgen werden. Todesursache bei ausgewachsenen Schafen ist neben Ertrinken häufig Unterkühlung und totale Erschöpfung.
LAVES: Empfehlungen für die ganzjährige und saisonale Weidehaltung von Schafen http://www.jade-weser.de/Portals/0/Down ... 090305-940
Häufig sieht man auch Schafe hinter Stacheldraht.
Und die Beschaffenheit der Wolle stellt für sich schon einen hohen Anspruch an die Hütesicherheit des Elektrozaunes:Eine alleinige Einzäunung mit Stacheldraht ist aus Tierschutzgründen nicht zulässig, da sich Schafe beim Unter- oder Durchschlüpfen erheblich
verletzen oder aber mit der Wolle verfangen können.
LAVES: Empfehlungen für die ganzjährige und saisonale Weidehaltung von Schafen http://www.jade-weser.de/Portals/0/Down ... 090305-940
Das mal als kleine Übersicht dazu, dass Schafhaltung bei einer Bejagung von Wölfen für sich genommen eigentlich ganz easy wäre.Problematisch ist bei Schafen der hohe Übergangswiderstand zwischen Tierkörper und Zaundraht. Dieser „Wollwiderstand“ ist abhängig von
Länge und Zustand der Wolle. Tiere mit kurzer, feuchter Wolle sind empfindlicher für den Strom als Tiere mit langer, trockener Wolle.
Erfahrungsgemäß sollte bei Schafen eine Hütespannung von 4000 V nicht unterschritten werden.
LAVES: Empfehlungen für die ganzjährige und saisonale Weidehaltung von Schafen http://www.jade-weser.de/Portals/0/Down ... 090305-940
Die Wölfe sind wohl eher das geringere Problem für die Schafe...
¹ https://presseportal.zdf.de/pressemitte ... /seite/13/
² Bundestagsantwort 19/1756 vom 19.04.2018 auf die Kleine Anfrage 19/1523 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/017/1901756.pdf