Deshalb möchte ich ab heute die Gelegenheit an dieser Stelle nutzen, für schlechten Journalismus im Zusammenhang mit dem Wolf den Rotkäppchen-Award für Sensationsmeldungen zu vergeben und beginne mit einem Print-Artikel der Lüneburger Landeszeitung vom 21.05.2016 - beworben auf der Facebook-Seite des Blattes am 20.05.2016:
Lüneburger Landeszeitung ruft anhand eines einzelnen Amateur-Videos "den nächsten Kurti" aus:
So geht Journalismus heute: Am 20.05.2016 kündigt die Lüneburger Landeszeitung einen Artikel in der Print-Ausgabe vom 21.05.2016 an.
Plakative Überschrift:
Das dazugehörige Video ist auf der LZ-Facebook-Seite abrufbar.¹Der nächste Kurti in der Ostheide? Wildriss beobachtet - Wolf ohne Scheu
Es zeigt einen Wolf auf einem Acker, der sich von dem Filmenden entfernt. Das reicht dem Filmer offenbar nicht - er pfeift noch zweimal lautstark hinterher, worauf sich der sich davon trollende Wolf jeweils kurz umdreht und in die Richtung des pfeifenden Menschen blickt, um danach seinen Weg fortzusetzen.
Es ist genau dieses Video, das die Landeszeitung zu der Feststellung "Wolf ohne Scheu" kommen lässt. Gedreht worden sei es von einem "LZ-Kontakt", welcher seinen Namen "aus Sorge vor Anfeindungen" nicht erwähnt wissen möchte. Er habe den Wolf bei einem Spaziergang in Gifkendorf beobachtet, als sich dieser über ein Reh "hermachte". Der Filmer eilte nach Hause, um sich für Foto- und Filmaufnahmen mit entsprechender Technik auszurüsten und fand den Wolf nach seiner Rückkehr auch noch vor. Das Tier habe von dem Menschen dann "Wind" bekommen, sei hochgeschreckt und davongelaufen. Auf die Pfiffe des Filmers habe es sich zweimal umgedreht, worauf die Schlussfolgerung dieser Person von der LZ zitiert wird:
Der Mann stehe laut LZ zukünftigen Spaziergängen nun mit "gemischten Gefühlen" gegenüber und begründet seine Aussage:Das ist der nächste Kurti! Der Wolf hat keinerlei Scheu gezeigt - auf mein Pfeifen hat er sich sogar zu mir umgedreht, so etwas machen doch wilde Tiere nicht!
Dieser sogenannte "LZ-Kontakt", hat der LZ das Video des Wolfes und "Fotoaufnahmen von einem frisch gerissenen Stück Rehwild" vorgelegt.Jetzt war er ja satt, aber was, wenn er Hunger hat? Ich bin mir sicher, dass der Wolf auch vor Menschen keinen Halt machen wird.
Was die LZ verschweigt: Bei diesem besorgten Bürger, der zukünftigen Spaziergängen nun mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen will, ist ein "LAND & Forst"-Leser, der sein Video diesem Magazin bereits am 04.05.2016 zur Verfügung gestellt hat.² Ein diesbezüglicher Hintergrund dürfte damit nicht ganz unwahrscheinlich sein - die Agrarzeitschrift versteht sich schließlich selbst als Magazin für Land- und Forstwirtschaft in Niedersachsen.
Unklar bleibt unterdessen, warum ein vermeintlich besorgter Bürger, der nach eigenen Worten damit rechnet, dass der gefilmte Wolf zukünftig auch "vor Menschen keinen Halt" machen wird, den selben durch lautes und gezieltes Pfeifen noch extra auf sich aufmerksam macht, um das Filmchen dann der land- und forstwirtschaftlichen Fachpresse und in den Lokalmedien mit einer Portion angstschürender Aussagen feilzubieten.
Autor(in?) jdr hat die Geschichte offensichtlich dankbar aufgegriffen und es auch nicht für notwendig befunden, die abenteuerlichen Aussagen des Filmers im Zusammenhang mit dem Video von einem unabhängigen Experten bewerten zu lassen.
Wenigstens lassen die Facebook-Kommentare auf der LZ-Seite erahnen, was die Menschen von solch einer Art Journalismus halten.
Für diese tolle Wolfsstory überreiche ich daher jdr von der Lüneburger Landeszeitung den Rotkäppchen-Award der Woche.
¹ https://www.facebook.com/landeszeitung/ ... 824521473/
² https://de-de.facebook.com/pages/LAND-F ... 6705462374 Eintrag vom 04. Mai 2016, 3:32 Uhr